Märkte & Unternehmen

Herausfordernde Zeiten für die Chemieindustrie

Trends 2024: Strategisch Kurs halten, operativ profitabel bleiben und nachhaltig entwickeln

24.01.2024 - Das Management ist gefordert, um das Jahr 2024 erfolgreich für das eigene Unternehmen zu gestalten und benötigt dafür die passende Strategie.

Nach einem Jahr zum Abhaken sehen Ökonomen eine kleine konjunkturelle Erholung am Horizont für 2024. Für die Chemie- und Kunststoff­industrie bleiben die Zeiten jedoch herausfordernd. Im Vordergrund steht für die Branche dabei die Bewältigung der Dreifach-Transformation aus der Klima- und Energiewende, der Digitalisierung und KI-Revolution sowie der demografische Wandel mitsamt seinem Fachkräftemangel.

Aber auch kurzfristiger ist das Management gefordert, um das Jahr 2024 erfolgreich für das eigene Unternehmen zu gestalten. Drei Themen stehen dabei ganz oben auf der Management-Agenda:

Strategisch Kurs halten
Der Abgesang auf die Strategie erklingt wieder häufiger, mit den bekannten Argumenten, dass die Zukunft nicht mehr planbar sei. Abgeleitet wird dies z.B. aus einer meist anlassgesteuerten und wenig konstanten Wirtschafts- und Subventionspolitik. Manifeste Standortnachteile gerade in Deutschland bei Energiepreisen und Rohstoffverfügbarkeiten werden im globalen Wettbewerb nicht kompensiert, so dass durch die Subventionspolitik in den USA und in China weitere Investitionshemmnisse für die heimische Industrie dazu kommen. Aus Brüssel und Berlin kommen dann on-top weitere regulatorische Anforderungen und teilweise ideologisch aufgeladene Gesetzes­initiativen zu Themen wie CCS/CCU, chemischem Recycling, Titandioxid und Fluorkunststoffen. Fazit der Auguren: In einem solchen Umfeld versagen früher oder später Strategien und strategische Planungen. 

„Um nachhaltig erfolgreich zu sein, braucht es strategische Ziele aus einer konsistenten Unternehmens- und Nachhaltigkeitsstrategie.“


Richtig ist aber vielmehr, dass die Zukunft auch früher nie einfach planbar war und gerade in turbulenten Zeiten robuste Zielvorgaben für das Management und die Unternehmens­entwicklung gebraucht werden. Abkürzungen und Verweise auf Mission und Purpose ersetzen keine strategische Auseinandersetzung mit Märkten und dem Wettbewerb, da Entscheidungen ohne klare Richtung und Leitplanken beliebig werden und maximal zufällig auf ein Ziel einzahlen. 

Das Top-Management ist also gefordert, eine belastbare Strategiediskussion zu initiieren, die den turbulenten Rahmenbedingungen Rechnung trägt. Verändern müssen sich hierzu jedoch das Vorgehen und die Instrumente im Strategieprozess. Zentrale Elemente sind Szenarien und Risikobetrachtungen. Daraus können dann No-Regret-Maßnahmen abgeleitet werden, die Szenario-unabhängig sinnvoll oder notwendig sind. Weiterhin muss der Strategieprozess in ein kontinuierliches Strategiemonitoring überführt werden, das Veränderungen im Umfeld verfolgt und bewertet, um dann Szenarien und Maßnahmenplanungen anzupassen. So wird die Zukunft zwar nicht weniger „VUCA“, aber für die strategische Unternehmensentwicklung und das Management beherrsch- und gestaltbar.

Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit

Ist ein Jahresabschluss mit Lagebericht eine Unternehmensstrategie? Sicher nicht. Also wird auch kein Nachhaltigkeitsreporting die unternehmerische Willensbildung und Definition einer Nachhaltigkeitsstrategie für Unternehmen ersetzen. 

Diese Feststellung ist aus zwei Gründen für die neben wenigen Konzernen stark mittelständisch geprägte Chemie- und Kunststoff­industrie wichtig. Erstes bedingt die Klima- und Energiewende, dass sich die Branche von einer in Dekaden optimierten Wertschöpfung auf Basis von fossilen Rohstoffen und Energieträgern verabschiedet und neue Ressourcen findet. Und zweitens werden Unternehmen durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die zugehörigen Reporting Standards (ESRS) vor sportliche bürokratische Herausforderungen gestellt. 

Von der detaillierten Pflichtberichterstattung sind jetzt schätzungsweise allein in Deutschland 15.000 Unternehmen betroffen, wo es bisher nur ca. 500 Konzerne waren. Das ist eine Ausweitung der berichtspflichtigen Unternehmen um 3.000 %. Da mag es für viele Unternehmer im ersten Impuls nahe liegen, zu sagen, dass es damit zum Thema Nachhaltigkeit genug sein muss. Damit wird einerseits jedoch der eigene Ambitionsgrad relativiert, der vielfach höher ist als „Compliant only“. Andererseits geraten so Wachstumschancen aus dem Blick. 

Die Nachhaltigkeitswende ist eine tiefgreifende und dauerhafte Transformation von Märkten und der Art, wie die Chemieindustrie wirtschaftet. In der Konsequenz steht die Branche vor einer schöpferischen Zerstörung, die mit neuen Spielern, Ressourcen, Wertketten und Wertschöpfungsverfahren viele Chancen bietet und zugleich Nichtstun bestrafen wird. 
Dass es sich dabei nicht nur um Zukunftsmusik handelt, zeigt sich bereits heute mit der Substitution von Primärrohstoffen durch Rezy­klate, in der Verschiebung von Marktanteilen und höheren Wachstumsraten von nachhaltigen gegenüber konventionellen Lösungen. Dazu kommen die Erwartungen von Fachkräften und Berufseinsteigern an die Nachhaltigkeitsaktivitäten und -ziele eines Arbeitgebers. Um also nachhaltig erfolgreich zu sein, braucht es eine konsistente Firmen- und Nachhaltigkeitsstrategie. 

„Für jedes Geschäftsfeld ist zu prüfen, welchen Erfolgsbeitrag es langfristig für das Unternehmen stiftet.“


Business Performance steigern

Der massive Absatzeinbruch und die Ergebniserosion beim Gros der Unternehmen in der Chemie- und Kunststoffindustrie aus dem vergangenen Jahr setzt sich gerade im Europa-Geschäft vieler Unternehmen in 2024 fort. Als Akutmaßnahmen haben viele Unternehmen daher Programme zur Kostensenkung und zum Abbau von Leerkapazitäten initiiert, die sich vielfach auch in dieses Jahr ziehen.

Diese operativen Maßnahmen zur Krisenbewältigung im Jetzt sind absolut wichtig, zugleich aber keine ausreichende Antwort auf die kontinuierlichen Veränderungen in Absatzmärkten, bei Kundenerwartungen und Wettbewerbsstrukturen. Wie zuvor mit der Nachhaltigkeitswende gezeigt, sind die Märkte von morgen nicht die von heute und so sind Gesundschrumpfen und freiwillige Verzwergung auch keine guten strategischen Ziele für den langfristigen Unternehmenserfolg. 

Vielmehr gilt es neben der Steigerung der Business Performance auch die Frage nach der Zukunftsfähigkeit von Geschäftsfeldern und Produktsegmenten zu stellen. Zur Vermeidung einer Strategiekrise, dem Verlust von Marktanteilen und der Marginalisierung im Wettbewerb, braucht es daher eine ehrliche und analytisch fundierte Bewertung des aktuellen Geschäftsportfolios. 

Für jedes Geschäftsfeld ist zu prüfen, welchen Erfolgsbeitrag es langfristig für das Unternehmen stiftet. Das bedeutet entscheidungsreife Transparenz zu schaffen, welche Wachstumsdynamik zu erwarten ist, wie sich die Ertragsstärke in den Stufen der industriellen Wertschöpfung durch Kostensteigerungen bei Energie, Rohstoffen und Personal verschiebt und wie sich die Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kontext entwickelt. Mit dem Blick ins Unternehmen ist zu erarbeiten, was es an Investitionen für die erfolgreiche Entwicklung von Geschäftsfeldern braucht und welche Risiken damit verbunden sind. 

Aus der zusammengeführten Bewertung für die einzelnen Geschäftsfelder sind dann robuste Entscheidungen abzuleiten, die neben der Förderung von Geschäftsfeldern auch konsequente Maßnahmen zum Ausstieg für andere umfassen. Nur mit der aktiven Gestaltung des Geschäftsfeldportfolios können die weniger werdenden Investitionsmittel zielgerichtet in die weitere Entwicklung des Gesamtunternehmens investiert werden. Die Fortsetzung eines in Boomjahren gewachsenen Portfolios und einer Investitionspolitik der „tiefen Taschen“ ist in Krisenzeiten keine Option.

Nachdem in jedem Unternehmen zu den Trendthemen für das Top-Management meist noch weitere interne Aufgaben dazu kommen, verspricht dieses Jahr erneut anspruchsvoll und intensiv zu werden. Mit klugem Priorisieren und konsequentem Anpacken werden die Unternehmen der Chemieindustrie aber ohne Zweifel auch Erfolge schaffen, wie es in den nicht weniger turbulenten zurückliegenden Jahren auch immer der Fall war.

Stephan Hundertmark, Partner, Dr. Wieselhuber & Partner GmbH, München


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Zur Person

Stephan Hundertmark ist Partner und Leiter Chemie & Kunststoffe bei Dr. Wieselhuber & Partner (W&P). Zusätzlich verantwortet er die Themenfelder Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sowie die zukunftsorientierte Ausgestaltung von Unternehmens- und Führungsorganisationen. Er ist Dozent an der TU München und verfasst regelmäßig praxisorientierte Beiträge zur strategischen Ausrichtung von Unternehmen.

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