Märkte & Unternehmen

Trends 2022: Strategie, Nachhaltigkeit, Hybrid Sales

Ausblick auf die Transformationsagenda in der Chemieindustrie

17.01.2022 - Aufgrund aktueller Entwicklungen ist das Management in der Chemie- Kunststoff- und Bauzulieferindustrie mit Reagieren, dem Steuern auf Sicht und der Reduzierung von Risiken beschäftigt.

Die Top-Trends des Jahres 2022 verlangen Marathon-Mentalität von Unternehmen in der Chemie- und Kunststoffindustrie: Strategie, Nachhaltigkeit, Hybrid – diese grundlegenden Transformationsthemen sind nicht auf die Schnelle zu erledigen und werden die Branche weit über das nächste Jahr beschäftigen.

Die Pandemieentwicklung, Störungen der Lieferkette, Preis-Rallyes bei Rohstoffen und Energie, Force-­Majeure-Ereignisse und plötzliche Hamsterkäufe von Kunden - was hat das Management in 2021 nicht alles auf Trab gehalten? Entsprechend war und ist das Management in der Chemie-, Kunststoff- und Bau­zu­liefer­industrie mit Reagieren, dem Steuern auf Sicht und der Reduzierung von Risiken beschäftigt.

Wellenreiten mit Corona oder Long-term Strategy?

Was nutzt da noch eine strategische Planung, die ohnehin in wenigen Monaten von der Realität überholt und abgelöst wird? Die Antwort: Viel! Für die grundlegenden Transformationen im Branchenumfeld, im Konsumverhalten, aus der Nachhaltigkeitswende und der konsequenten Digitalisierung aller Unternehmensbereiche sind übergeordnete Ziele und ein Orientierungsrahmen unabdingbar. Wie sonst sollen kurzfristige Entscheidungen getroffen und langfristige Investitionen auf den Weg gebracht werden, die eine dauerhaft überlegende Markt- und Wettbewerbsposition schaffen? Für Unternehmer und das Top-Management bleibt Strategie also das zen­tral In­strument der Unternehmensführung.

 

Die Top-Trends des Jahres 2022
verlangen Marathon-Mentalität von Unternehmen
in der Chemie- und Kunststoffindustrie.“



Verändert haben sich jedoch die Strategieinhalte und Perspektiven. Viel mehr als früher wird über den Purpose des Unternehmens, über Generationenperspektiven und 10-jährige Planungshorizonte in einer Strategie 2030 oder gar 2035+ gesprochen. Kern eines solchen Strategieprozesses ist die Antizipation von grundlegenden Veränderungen im Unternehmensumfeld, die Eröffnung neuer Perspektiven und deren Abbildung in alternativen Zukunftsbildern. Über unternehmerischen Weitblick, Innovationskraft und Kreativität werden aus diesen Zukunftsbildern strategische Optionen abgeleitet. In einer Strategie formuliert und quantifiziert ergibt sich dann der notwendige Transformationspfad und die Transforma­tionsgeschwindigkeit.

Alles andere, vor allem einseitige Diskussionen, z. B. zum Nearshoring oder Reshoring als Antwort auf Störungen der Lieferkette, sind ohne strategischen Unterbau purer Aktionismus. Auch dieser führt im besten Fall zu einer tragfähigen, robusten und zukunftsfähigen Positionierung des Unternehmens – im wahrscheinlichsten Fall jedoch zu einer Erosion der Marktstellung und einer mangelnden Vorbereitung auf künftige Krisen und Chancen.

Nachhaltigkeit …was sonst?

Richtigerweise hat das Wirtschaften ohne Rücksicht auf Verluste keine Zukunft mehr. Im Umkehrschluss ist die Orientierung an der Nachhaltigkeit des eigenen Tuns aber auch keine Gewähr für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. So ist es für Chemieunternehmen und Kunststoffverarbeiter bereits heute eine große Herausforderung, bei vorhandenen regulatorischen Vorgaben und solchen, die aktuell diskutiert werden, „nur“ compliant zu bleiben.

Hinzu kommt der Veränderungsdruck von sämtlichen Anspruchsgruppen rund um das Unternehmen. Angefangen bei Gesellschaftern, deren Bindungsfaktoren an das Unternehmen nicht mehr nur durch Wachstum und Ertragskraft geprägt sind, sondern gerade in der jüngeren Unternehmergeneration auch die Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt umfassen. Getrieben von industriellen Abnehmern, Markenherstellern und privaten Konsumenten gibt es in vielen Spezialitätenbranchen der Chemie bereits einen Market Pull für nachhaltige oder kreislaufbasierte Produkte. Die Frage, welchen Beitrag ein Lieferant zu den Nachhaltigkeitszielen seines Kunden liefert, muss jedes Unternehmen über Kurz oder Lang beantworten können. Zuletzt wird die Gewinnung von Mitarbeitenden und der Zugang zu Unternehmensfinanzierungen in 2022 noch stärker als bisher nach einer konsequenten und messbaren Nachhaltigkeitsorientierung verlangen.

Wieso also nicht aus der Not eine Tugend machen und gleich konsequent Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie verankern und auf die Kreislaufwirtschaft setzen? Hier hilft der Einstieg über die Verortung der eigenen Geschäftsbereiche in eine Sustainabilty-Impact-Matrix, um zu bewerten, welche strategischen Stoßrichtungen sich bieten. In jedem Fall gibt es dann ausreichend Raum für Kreativität und zur Differenzierung im Spielfeld, das Ansoff bereits in den frühen 1970ern beschrieben hat: Chancen aus dem Zusammenspiel von neuen und bestehenden Produkten und Märkten. Gerade die Kreislaufwirtschaft ist ein Paradebeispiel für die Substitution bestehender Produkte, die Verschiebung von Marktanteilen und Entstehung gänzlicher neuer Produkt-Markt-Kombinationen.

Hybrid Sales

Wie schon 2020 ist man mit Blick auf 2021 geneigt, ungläubig zurückzublicken und zu fragen, wie Vertrieb trotz Kontaktbeschränkungen, Absagen von Messen und nur mittels Telefon, E-Mail und Videokonferenzen funktioniert hat. Mehr noch, wie kann es sein, dass viele Unternehmen in der Chemie-, Kunststoff- und Bauzulieferindustrie von einer Nachfragewelle überrollt wurden, die es nach alten Maßstäben nicht gegeben hätte? Ist 100 % „digital“ und „remote“ also die Zukunft von Vertrieb und Marketing?

Wohl eher nicht, da persönliche Kontakte und gewachsene Verbindungen weiterhin Grundlage einer guten Kundenbeziehung und einer konsequenten Kundenzentrierung bleiben. Die Aufgabe ist also, ein hy­brides Vertriebsmodell zu entwickeln, das Effizienzvorteile des digitalen Vertriebs über gesparte Reisekosten, reduzierte Messebudgets und mit der optimalen Ressourcennutzung im Präsenzvertrieb kombiniert. Der Schlüssel dazu liegt im systemgestützten Customer Journey Management, das über Besuchsberichte, eine Adressverwaltung sowie Kontakt- und Kaufhistorie hinaus geht.
Ziel ist eine vollständige Abbildung von Marketing-Aktionen im Pre- und After-Sales, die Erfassung und Qualifizierung des jeweils relevanten Buying Centers und alle Kontakt- und Entscheidungspunkte im Verkaufsprozess. Werden diese Inhalte dann noch in synchronen Prozessen und Datenmodellen erfasst, können diese auch als entscheidungsrelevante Informationen verfügbar gemacht werden, die eine Ressourcensteuerung und Erfolgskontrolle ermöglichen.

In Abhängigkeit des individuellen Reifegrads im Vertrieb und Marketing als Startpunkt ist mit dieser Umstellung ein weitreichendes Change-Management in der Organisation verbunden. Wenn als Begründung dafür das Ergebnis mit einer effizienten und zugleich gesteigerten Vertriebsperformance noch nicht reicht, ist zusätzlich der große Schritt zur Digitalisierung des Unternehmens mit einem schnellen ROI zu nennen.
Das Geschäft einfach laufen lassen? Sicher nicht in 2022. Denn diese Transformationsagenda verlangt Durchhaltequalitäten – und das von allen Unternehmen in der Chemie- und Kunststoffbranche.

Autor: Stephan Hundertmark, Partner der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH, München

ZUR PERSON

Stephan Hundertmark ist Partner und Leiter Chemie & Kunststoffe bei Dr. Wieselhuber & Partner (W&P). Zusätzlich verantwortet er die Themenfelder Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sowie die zukunftsorientierte Ausgestaltung von Unternehmens- und Führungsorganisationen. Vor seinem Einstieg 2011 bei W&P war er u.a. als Projektmanager, Lehrbeauftragter und Management-Trainer tätig. Er ist Dozent an der TU München und verfasst regelmäßig praxisorientierte Beiträge zur strategischen Ausrichtung von Unternehmen.

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