Verhaltenstraining neu gedacht
Heute schon wie in der Zukunft trainieren
In verfahrenstechnischen Anlagen sind ständig Entscheidungen zu treffen, z.B. um teure ungeplante Stillstände zu vermeiden. Informationsflut, verteiltes Wissen, Zeitdruck, Multitasking und eingeschränkte Kommunikationswege öffnen Fehlern Tür und Tor. Die Qualität von Entscheidungen hängt davon ab, ob Mitarbeiter bzw. Teams unter Zeitdruck notwendige Maßnahmen erfolgreich umsetzen können. Anhand einer fiktiven Herausforderung können Trainingsteilnehmer im Interpersonal Skills Lab spielerisch individuelle Handlungskonzepte erarbeiten, um anspruchsvolle Sachverhalte besser zu meistern.
Im Interpersonal Skills Lab begeben sich die Teilnehmer auf eine spannende Mission ins All. Plötzlich havariert das Raumschiff. Die Crew muss blitzschnell reagieren. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, lässt sich das Problem lösen. Mit diesem fiktiven Szenario gelingt es, fachliche Aspekte auszublenden und den Fokus zu 100 % auf das Verhalten zu lenken. Die Trainingsmethode basiert auf den Grundlagen von Human Factors (HF) und Non Technical Skills (NTS) und ermöglicht ein handlungsorientiertes Training unter realitätsnahen Bedingungen, das sich leicht im Alltag umsetzen lässt.
Human Factors, d.h. die psychischen, kognitiven und sozialen Eigenschaften jedes Einzelnen, beeinflussen die Interaktion mit der sozialen (Team) und technischen Umgebung. Der Faktor Mensch ist auch in modernen, hoch automatisierten Anlagen nicht zu unterschätzen, die Top 3: Beurteilungs- und Kommunikationsfehler sowie Defizite bei der Teamarbeit. Computergestütztes Training im Interpersonal Skills Lab kann helfen, Fehlentscheidungen zu vermeiden.
1998 erhielt unser Kooperationspartner Ninecubes den Auftrag, eine Simulation zu entwickeln, die sicherheitsgerichtetes Verhaltenstraining von Piloten einer großen deutschen Luftfahrtgesellschaft intensivieren und die Transferlücke zwischen Theorie und Praxis minimieren sollte. Im Gegensatz zu technisch orientierten Weiterbildungen ändert sich menschliches Verhalten in der Regel nicht von heute auf morgen – eine besondere Herausforderung an die Konzeption des Trainings.
„Der Faktor Mensch ist auch in modernen, hoch automatisierten Anlagen nicht zu unterschätzen.“
Schnell zeigte sich, dass sich das Setting für beliebige Zielgruppen eignet. Eine Vielzahl an Praxiseinsätzen und eine wissenschaftliche Untersuchung lieferten wertvolle Erkenntnisse für das Design nachhaltiger Trainings für komplexe Szenarien – insbesondere von Team-Skills. Über Jahrzehnte wurde die Methode für Industrien immer weiter verfeinert, in denen sicheres Handeln von einzelnen Mitarbeitern und Teams einen besonders hohen Stellenwert einnimmt.
Eine zentrale Rolle bei der Trainingsmethode spielen Verhaltensmarker, die sich als nicht technische Fertigkeiten auch im Team erfolgreich üben und weiterentwickeln lassen. Hierzu gehören insbesondere Führungs- und Kommunikationsverhalten, Umgang mit Stress, Workload-Management, Entscheiden in komplexen Konstellationen, situative Aufmerksamkeit oder Vermeiden von Wahrnehmungsfallen. In verschiedenen Branchen ist das Training der NTS in Simulatoren seit langem etabliert. Bestes Beispiel dafür sind Astronauten oder Piloten. Doch auch andere anspruchsvolle Handlungsabläufe lassen sich im interdisziplinären Team trainieren, ob im Krankenhaus oder in Anlagen der Prozessindustrie u. v. m. Kompetenzen zu HF und NTS sind für die Entscheidungsfindung in vielen Bereichen relevant.
Mission im Weltraum
Das „Lab“ ist eine digitale Methode für systematisches Verhaltenstraining und stützt sich auf Know-how aus dem Hochleistungsmanagement, High-Reliability-Organisationen (HRO) und agilem Projektmanagement. Über eine Echtzeit-Computersimulation tauchen die Teilnehmer in das Abenteuer Weltraummission ein. Unerwartet treten Probleme auf, die Energie fällt aus. Es gilt, wie damals bei Apollo 13, die Mission zu retten. Dies ist nur durch gutes Teamwork und effiziente Kommunikation zu schaffen. In Teams zu je zwei bis vier Personen gehen die Teilnehmer an die Arbeit. Die Anwendung läuft auf je zwei Laptops vis-à-vis. Wichtig: Kommuniziert wird von Mensch zu Mensch. Die Zeit läuft unerbittlich ab (jeweils für 10 – 30 min). Hinzu kommen Konkurrenzdruck durch andere Teams, unterschiedliche Arbeitsperspektiven, Informationsflut etc. Die Teilnehmer verhalten sich wie im richtigen Leben. Genau hier setzen die Trainer an, begleiten die Reflexion, steuern den Lernprozess und unterstützen den Transfer erfolgreicher Verhaltensweisen in die tägliche Routine.
Und warum muss es gleich eine Weltraummission sein? Aus praktischer und lerntheoretischer Sicht ist die Antwort so einfach wie bestechend: Indem die Simulation kein typisches Szenario aus der eigenen Arbeitsumgebung widerspiegelt, aber alle relevanten Randbedingungen – Zeitdruck, Aufbau einer Situational Awareness im Team usw. – berücksichtigt, fokussieren die Teilnehmer vollständig auf HF und NTS und setzen die gewonnenen Erkenntnisse in kurzen, wiederholbaren Simulationszyklen sofort ein. Verhaltensmessung, schnelle Lernerfolge und die direkte Anwendung im Alltag machen dieses Training zu einem Prozessbeschleuniger bei der Entwicklung von Führungs- und Teamkompetenzen. Kommunikation, Koordination, Entscheidungsfindung und Führungsverhalten im Team wie auch des Einzelnen werden rein handlungsorientiert trainiert. Jeder Teilnehmer erfährt, wie er das eigene Verhalten bewusst verbessern kann. Die eingesetzte Technik ist dabei Teil eines übergeordneten didaktischen Konzeptes, welches die Trainingszyklen (Lehrgespräch, Simulation, Feedback und Reflexion) mehrfach durchläuft.
Spielend lernen
Unter der Bezeichnung Game-Based Learning (GBL) hat sich ein pädagogisches Konzept etabliert, das die Vorteile spielerischer Lernzugänge aufgreift und Lerninhalte mit Hilfe von Medien gezielt vermittelt. Spielen bedeutet „Konsequenzen von Entscheidungen erleben“. Die Spielkomponente motiviert die Teilnehmenden, im Vordergrund steht jedoch das soziale Miteinander im Team. Es wird eine Situation konstruiert, die es ermöglicht, konstruktiv mit- und voneinander zu lernen. Die Überzeugung eines Teilnehmers bezüglich der Wirksamkeit seines optimierten Verhaltens steigt, je umfassender das Training drei Anforderungen erfüllt:
- Vernetzung – wie im echten Leben;
- Transferierbarkeit – tiefer Bezug zum Alltag und
- Erfolgserlebnisse – unmittelbar nach jedem Trainingszyklus.
Effektiver Kompetenz-Booster
Gutes Training bedingt eine Folge von Wiederholungszyklen unter gleichen Bedingungen. Um den Trainingseffekt zu verstärken, sind Messungen unerlässlich. Sie sind eine neutrale und direkt verfügbare Form von Feedback und machen die Verbesserung durch Anwendung des Gelernten sichtbar. Erfolgserlebnisse sind immer emotional. Fast jeder erinnert sich wohl an seine ersten Meter ohne Stützräder. Wer ein solches Gefühl aus dem Training mitnehmen kann, hat optimale Voraussetzungen gelernte Verhaltensweisen umzusetzen, wenn es darauf ankommt. Das Training im Interpersonal Skills Lab beschleunigt den Lernprozess von Soft-Skills, baut Kompetenzen in den Bereichen Leadership, Kommunikation und Teamwork auf, schließt die Transferlücke zwischen Seminarraum und Praxis und steigert in kurzer Zeit die Performance der Teilnehmer.
Autor: Andreas Becker, Institut Prof. Dr. Becker, Rösrath
„Die Qualität von Entscheidungen hängt davon ab, ob Teams unter Zeitdruck notwendige Maßnahmen erfolgreich umsetzen können.“