Strategie & Management

Von der Kunst zur künstlichen Intelligenz: Überall Chemie

VAA-Serie Lebenswege (Teil 2): Christina Goursot, Energiemanagerin bei Air Liquide

19.02.2025 - In Wissenschaft und Industrie fehlt es an qualifiziertem MINT-Nachwuchs. Um zur Popularisierung dieser Berufsfelder beizutragen, lassen wir in Kooperation mit dem VAA junge Wissenschaftler zu Wort kommen. Im zweiten Teil der Serie berichtet Christina Goursot, Energiemanagerin bei Air Liquide, über ihren Lebensweg.

MINT-Berufe, die Kompetenzen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik erfordern, sind von entscheidender Bedeutung für unsere Zukunft. Sie bilden die Grundlage für viele wichtige Entwicklungen und Innovationen. Doch in Wissenschaft und Industrie fehlt es an qualifiziertem MINT-Nachwuchs. Um zur Popularisierung dieser Berufsfelder beizutragen, lassen wir in Kooperation mit dem VAA, der Vertretung der Fach- und Führungskräfte in Chemie und Pharma, sechs junge Wissenschaftler zu Wort kommen. Im zweiten Teil der Serie berichtet Christina Goursot, Energiemanagerin bei Air Liquide, über ihren Lebensweg. 

Wenn ich in die Augen meiner Kinder schaue, sehe ich die Perfektion der Natur, die ein so komplexes Organ mit wunderschönen farbigen Iriden geschaffen hat. Ich sehe darin auch das Mittel, das dem Menschen zur Verfügung steht, um die Welt zu begreifen und zu verstehen – die Intelligenz, die sich in den Augen der Kinder von klein auf widerspiegelt und ausstrahlt.


Meine Faszination für Farben und meine Wertschätzung für die Kunst der Malerei haben mich zur Chemie geführt. Die Chemie ist die Wissenschaft, die es ermöglicht, Farben herzustellen und ihren Ursprung zu verstehen. Welche chemische Verbindung war für die Tiefe des altägyptischen Blaus und des Blaus des ­Ischtar-Tors verantwortlich? Warum war die Tönung mit dem Purpur von Tyros so schwierig? Welche wirtschaftlichen Folgen in der chemischen Industrie hatte die Entdeckung der Indigosynthese durch Baeyer? Ich suchte – und fand – Antworten auf molekularer und atomarer Ebene, natürlich durch ein Studium in Chemie.


Später, als ich über die reine Faszination der Farben hinausging und während meiner studentischen Auslandspraktika nicht nur inspirierende Wissenschaftler, sondern auch immer spannendere Moleküle kennenlernte, stellte ich fest, dass die Lebendigkeit der Farben oft mit sehr interessanten physikalisch-chemischen Eigenschaften verbunden ist. Gleichzeitig war ich mir immer der Herausforderungen unserer Gesellschaft bewusst und wollte, wie so viele andere auch, meinen Beitrag leisten, um Lösungen zu finden. Ich habe z. B. Käfigmoleküle entwickelt, die den Wirkstoff von Medikamenten durch den menschlichen Körper transportieren und erst am Zielort, typischerweise in Tumorzellansammlungen, wieder freisetzen. Oder molekulare CO2-Sensoren und -Speicher. 

Durch den regelmäßigen Austausch mit Freunden, die bei Big-Tech-Unternehmen arbeiteten, wurde mir eine besondere Herausforderung bewusst: Wie kann man die ständig wachsende Menge an digitalen Daten, die wir täglich produzieren, sicher auf möglichst kleinen Datenträgern speichern, ohne der Umwelt zu schaden? Überall auf der Welt stoßen Rechenzentren an ihre physikalischen Speichergrenzen, und herkömmliche Materialien werden aus teuren und begrenzten Ressourcen hergestellt. Gibt es keine kostengünstigere und umweltfreundlichere Alternative?

 

 

„La lumière du monde
se reflète dans les yeux des enfants –
Das Licht der Welt
spiegelt sich in den Augen der Kinder wider.“

- Christina Goursot, Energiemanagerin, Air Liquide

 

 

 

Mein Forschungsgebiet wurde mir immer klarer und konzentrierte sich schließlich auf molekulare Magnete, die Übergangsmetalle enthalten, die für ihre faszinierende Farbe und magnetische Eigenschaften verantwortlich sind. Der molekulare Magnet, ein farbiges, nanoskopisches Molekül aus organischen Liganden, die den Spin des paramagnetischen Metallzentrums einfangen und stabilisieren, könnte der künftige physische Träger unserer digitalen Daten werden. Denn es verhält sich wie ein Computerbit, das zwischen den beiden Positionen 0 und 1 umschaltet, und das in einem viel kleineren Volumen als die heute ausgereiften Technologien. Daraus ergeben sich zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten, sei es in der Quanteninformation, der Datenspeicherung mit mindestens hundertfach erhöhter Dichte, die bspw. die Leistungsfähigkeit von Systemen der künstlichen Intelligenz verbessert, oder im Bereich der Spintronik in innovativen elektrischen Geräten.


Die Forschung auf diesem spannenden Gebiet ist noch nicht abgeschlossen, und vor der Markteinführung stehen noch einige Herausforderungen. Die Betriebstemperatur solcher Magnete ist für industrielle Anwendungen noch zu niedrig, und die Stabilität des magnetischen Spins muss verbessert werden. Jeder neue Durchbruch scheint jedoch zu bestätigen, dass das Potenzial dieser molekularen Magnete in greifbare Nähe rückt.


Ich weiß nicht, ob ich persönlich zu unserem Problem der Datenspeicherung beigetragen habe. Aber ich weiß, dass ich mich damals ehrlich und neugierig für ein Chemiestudium entschieden habe und diese Entscheidung bis heute nicht bereut habe. Die Chemie ist ein sich ständig erneuerndes, innovatives und transdisziplinäres Gebiet: Von der Kunst bis zur künstlichen Intelligenz ist sie der Schlüssel zur Lösung vieler unserer aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und liefert Antworten, die den persönlichen Wissensdurst befriedigen.

Christina Goursot, Energiemanagerin bei Air Liquide

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ZUR PERSON
Nach einem internationalen Chemiestudium und einem MBA-Abschluss promovierte Christina Goursot am Institut für anorganische Chemie an der Georg-August-Universität Göttingen. Nach zweieinhalb Jahren in der Strategieberatung für die Energie- und Chemiebranchen in München ist sie heute als Energiemanagerin bei Air Liquide in Belgien tätig.

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Der Beitrag wurde für das VAA-Jahrbuch 2024 „Lebenswege“ verfasst, in dem rund 30 Frauen und Männer der jüngeren Generation berichten, warum sie sich für eine Ausbildung, ein Studium oder einen Beruf auf dem Gebiet der MINT-Fächer entschieden haben. Das Jahrbuch kann kostenfrei im Internet heruntergeladen werden: Download

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