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Chemiekonjunktur – Globale Chemieindustrie weltweit im Abschwung

In Europa wird insbesondere die Chemieindustrie unter der Rezession leide

05.12.2022 - Für das Jahr 2023 ergeben sich sehr unterschiedliche Perspektiven für die Chemieindustrie auf den großen Chemiemärkten USA, China und Europa.

Die Weltwirtschaft hat im Laufe des Jahres 2022 deutlich an Schwung verloren. Aufholprozesse nach der Coronaviruspandemie liefen allmählich aus. Die Schwierigkeiten in den Lieferketten und in der Logistik zeigten sich resistent. Und es kamen neue Probleme hinzu. In Europa führte der Krieg in der Ukraine zu einer Energiekrise mit einem deutlichen Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise. Die Versorgungs­sicherheit bei Gas ist durch den russischen Lieferstopp gefährdet und massive Einsparungen beim Gasverbrauch sind nötig. Weltweit stiegen die Preise für Nahrungsmittel. In vielen Ländern erhöhte sich die Inflation kräftig. Die Reallöhne gingen zurück und dämpften den privaten Konsum. Gleichzeitig verschlechterten sich die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen durch die Zinserhöhungen der Notenbanken. Dies und die gestiegenen Unsicherheiten durch die zunehmenden geopolitischen Spannungen bremsten  Investitionsentscheidungen. Nach einem weltweiten Wachstum des Bruttoinlands­produkts (BIPs) im Jahr 2021 von fast 6 %, schwächte sich das Wachstum der Weltwirtschaft in diesem Jahr auf knapp 3 % ab. Im kommenden Jahr dürfte sich diese Entwicklung weiter fortsetzen (Grafik 1).

Häufig noch stärker als die Gesamtwirtschaft ist die Industrie von den aktuellen Problemen betroffen. Engpässe bei Vorprodukten, Logistikprobleme und zuletzt stark steigende Preise für Rohstoffe und Energie behindern vielerorts die Produktion. Im Vergleich zu 2021 nimmt das Wachstum der Industrie in allen Regionen kräftig ab. Entsprechend stark kühlte sich auch die globale Chemienachfrage und damit die Chemieproduktion ab. Die Unterschiede zwischen den Regionen sind allerdings groß. Während in China vor allem die scharfen Lockdowns im Zuge der Null-Covid-Strategie das Wachstum bremsen, ist in den USA die Geldpolitik der Bremsklotz. In Europa hingegen dominiert die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise das Geschehen.

USA: Wettbewerbsvorteile von Industrie und Chemie

Die US-Wirtschaft wurde aufgrund der hohen Inflationsraten und der steigenden Zinsen bereits am Jahresanfang 2022 deutlich gebremst. Im Gesamtjahr dürfte nur noch ein Wachstum des BIPs von 1,8 % zu Buche schlagen. Dagegen konnte sich die Industrie mit einer robusten Produktionsentwicklung im Jahresverlauf deutlich besser behaupten. Der positive Trend betraf auch nahezu alle Branchen. Die Probleme in den Lieferketten nahmen ab und die Unternehmen profitierten gegenüber Europa und China von niedrigeren Energiepreisen. Im Gesamtjahr dürfte die US-Industrie um 3,5 % zulegen. Entsprechend dynamisch steigt dort auch die Chemienachfrage.

Zu den Profiteuren zählt daher auch die US-Chemieindustrie, deren Wettbewerbsfähigkeit sich gegenüber Konkurrenten aus Europa und Asien deutlich verbesserte. Weil keine Energieknappheiten drohten, stiegen dort die Strom- und Gaspreise deutlich moderater als in Europa. Das gab der US-Chemie zusätzlichen Auftrieb. Damit erholte sich die Branche von den Einbrüchen durch Corona-Lockdowns und Winterstürme der Vorjahre (Grafik 2). Aber auch in der US-Industrie und -Chemie machen sich allmählich Bremseffekte bemerkbar. Diese gehen aber weniger von der Angebotsseite als von der Nachfrageseite aus. Hohe Inflationsraten und steigende Zinsen schlagen sich negativ auf Konsum und Investitionen nieder. Damit sinkt auch die Nachfrage nach Industriewaren und letztlich auch nach Chemikalien.

China: Lockdowns behindern Produktionsentwicklung

Chinas Wirtschaft wuchs 2022 im Vergleich zu den Vorjahren nur sehr gedämpft. Im Gesamtjahr kann nur mit einem Wachstum des BIPs von gut 3 % gerechnet werden. Das ist deutlich weniger als von der Regierung ursprünglich angepeilt worden war. Ursächlich für die moderate Entwicklung ist v. a. die strikte No-­Covid-Politik. Umfangreiche Lockdowns zur Eindämmung von Covid-19-Ausbrüchen lähmen immer wieder die wirtschaftlichen Aktivitäten. Bremsend wirkt zudem die sich ausweitende Krise am Immobilienmarkt. In den Sommermonaten kamen noch Energieknappheiten und Stromra­tionierungen hinzu. Die Industrieproduktion wurde durch die Lockdowns immer wieder gebremst. Die Erholung nach diesen Rückgängen fiel verhalten aus. Eine schwache Inlandsnachfrage und die Abschwächung auf den Weltmärkten bremsten die Entwicklung. Im Gesamtjahr dürfte die Industrie nur um 3 % zulegen. Für chinesische Verhältnisse ein schwaches Wachstum. Die Chemieindustrie konnte sich von dieser Entwicklung nicht entkoppeln (Grafik 3). 

Europa: Energiekrise hat die Chemie im Griff

Die europäische Wirtschaft leidet insbesondere unter den Folgen des Krieges in der Ukraine. Die hohen Energie- und Rohstoffpreise befeuern nicht nur die Inflation. Sie verschlechtern die Wettbewerbsposition der europäischen Unternehmen, erhöhen deren Kosten und machen einzelne Produktionsanlagen unrentabel. Insbesondere in den energieintensiven Industrien ist die Produk­tion bereits deutlich gesunken.

In der Chemieindustrie lag die Produktion zuletzt fast 10 % unter Vorjahr (Grafik 4). Aber nicht nur in den energieintensiven Branchen sieht die aktuelle Lage schlecht aus. Die Zahlen zum dritten Quartal 2022 zeigen, dass bis auf die großen Branchen Automobilindustrie, Maschinenbau, Elektroindustrie und Pharmaindustrie nahezu alle Industriebranchen im Vergleich zum Vorquartal rückläufig waren. Und auch das Vorjahr wurde bereits häufig verfehlt (Tabelle 1). Immer wieder auftretende Knappheiten bei Vorprodukten, steigende Preise und eine nachlassende Nachfrage im In- und Ausland bremsen die Indus­triekonjunktur. Europa steuert in eine Industrierezession. Das wiederum bedeutet, dass die Chemieunternehmen in Europa zunehmend ein Nachfrageproblem bekommen werden.

In der Gesamtwirtschaft sieht es nicht viel besser aus. Hier führten zwar Nachholeffekte beim Konsum und ein starker Tourismus bis in den Herbst hinein noch zu einem moderaten Wachstum, so dass auch im Gesamtjahr noch ein Plus des BIPs von gut 3 % erreicht werden dürfte. Aber die Aussichten haben sich auch hier deutlich eingetrübt.

Ausblick: Abschwächung mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten

Die Weltwirtschaft ist in einer Phase des Abschwungs. Das Ausmaß und die Geschwindigkeit sind allerdings unterschiedlich. Das chinesische Wirtschaftswachstum wird im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr wieder etwas zulegen können. Insgesamt ist das Wachstum aber für chinesische Verhältnisse sehr moderat. Die strikte No-Covid-Politik und die Immobilienkrise verhindern eine weitere Beschleunigung und bergen auch Risken für einen erneuten Einbruch. Produktionsbehinderungen und Energieknappheiten bremsen auch die Industrie- und Chemieproduktion.

 

 

„Insbesondere die Industrie –
und hier in besonderem Maße die Chemie –
werden unter der Rezession in Europa leiden.“

- Henrik Meincke, Chefvolkswirt, Verband der Chemischen Industrie



In den USA wirkt sich die starke geldpolitische Straffung der Notenbank negativ auf die Immobilienmärkte aus, und der private Konsum leidet unter der hohen Inflation. Die Wirtschaft dürfte insgesamt in eine Rezession rutschen. Diese wird aber vergleichsweise mild verlaufen. Die Abschwächung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage kommt auch in der Industrie an. Die Industrieproduktion dürfte stagnieren. Eine gute Wettbewerbsposition und Nachholeffekte aus den Vorjahren ermöglichen noch ein leichtes Plus in der Chemieproduktion.
Ganz anders sehen die Perspektiven für Europa aus. Die Folgen des Kriegs in der Ukraine, die Energiekrise, hohe Inflationsraten und die zögerlichen Eingriffe der Regierungen werden die europäische Wirtschaft in eine Rezession stürzen. Insbesondere die Industrie – und hier in besonderem Maße die Chemie – werden unter der Rezession in Europa leiden. 2023 ergeben sich insgesamt sehr unterschiedliche Perspektiven für die Chemieindustrie auf den großen Chemiemärkten USA, China und Europa (Grafik 5).

Autor: Henrik Meincke, Chefvolkswirt, Verband der Chemischen
Industrie e.V., Frankfurt am Main

ZUR PERSON
Henrik Meincke ist Chefvolkswirt beim Verband der Chemischen Industrie. Er ist seit dem Jahr 2000 für den Branchenverband tätig. Meincke begann seine berufliche Laufbahn am Freiburger Materialforschungszentrum. Der promovierte Chemiker und Diplom-Volkswirt studierte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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