Chemie & Life Sciences

Technologietransfer als Schlüssel zum Erfolg

Kompetenz und Effizienz bei industrieller Produktion für hochregulierte Produkte entscheidend

17.08.2022 - Kommt in einem hochregulierten Markt ein neuer Wirkstoff (z. B. in einem neuen Arzneimittel oder einem neuen Pflanzenschutzmittel) erstmals in den Verkauf, wenden die Vertriebsspezialisten oft die üblichen Kriterien an: Laufen Marketingkampagne und Werbung wie geplant?

Kommt in einem hochregulierten Markt ein neuer Wirkstoff (z. B. in einem neuen Arzneimittel oder einem neuen Pflanzenschutzmittel) erstmals in den Verkauf, wenden die Vertriebsspezialisten oft die üblichen Kriterien an: Laufen Marketingkampagne und Werbung wie geplant? Liegen die Zulassungen der Behörden vor? Wurde die Preisstrategie des Produkts intern bewilligt? Liegt genügend formuliertes Produkt in den richtigen Verpackungen und mit den korrekten Etiketten vor? Die Verfügbarkeit der Aktivsubstanz selbst wird dabei meistens als gegeben angenommen. Heutzutage wird die Produktion eines Life-Sciences-Wirkstoffs mehrere Male transferiert: vom Labor in die Pilotanlage, von dort in eine industrielle Anlage, von interner Produktion zu einem externen Partner usw.

Für den Erfolg auf dem Markt sind daher sowohl ein effizienter Technologietransfer von entscheidender Bedeutung als auch kompetente Ressourcen, um den Transfer zu organisieren und zu beaufsichtigen.

„Gerade bei einem Transfer zwischen verschiedenen Ländern oder Kontinenten sind die behördlichen Auflagen zu berücksichtigen…“


Produktion
Moderne Arzneimittel, Pflanzenschutzmittel bzw. generell Produkte für hochregulierte Märkte (Grafik 1) basieren auf Wirkstoffen, deren chemische oder biotechnologische Herstellung oftmals über zehn chemische/biochemische Stufen und mehr erfolgt. Diese Produktionsverfahren werden im Labor entwickelt und müssen parallel mit der Bedarfs­entwicklung am Markt in Produktionsanlagen steigender Kapazität übertragen werden. 
Früher erfolgte dieser Transfer meistens nur ein- bis maximal zweimal, nämlich vom Labor in den Pilotmaßstab und dann von der Pilotanlage in die dedizierte Produktionsanlage. Heute ist die Situation wesentlich komplexer:

Vielstufige Syntheserouten werden

  • oft vom Labor direkt in den Großmaßstab übertragen,
  • dabei meistens in Mehrzweckanlagen produziert,
  • aufgrund spezieller benötigter Technologien bei externen Partnern realisiert, teilweise sogar verschiedene Teile der Synthese an unterschiedlichen Standorten,
  • aus kommerziellen Gründen oft mehrmals von einem an einen anderen externen Partner verlagert,
  • am Ende des Produkt-Lebenszyklus oft umgebaut, um Wirkstoffe kostengünstiger herstellen zu können usw.

Somit ist es unerlässlich, jederzeit bei Bedarf auf fachkundige Kompetenzen für einen Technologietransfer zurückgreifen zu können.

Wichtige Kriterien für Technologietransfers
Um ein Produktionsverfahren in einer modernen Mehrzweckanlage effektiv und kostengünstig zu gestalten, sind zuallererst die chemische Ausbeute und die Leistung, also wie viele Kilogramm oder Tonnen pro Tag hergestellt werden können, zu nennen.
Eine hohe Ausbeute garantiert einen kostensparenden Umgang mit Rohmaterialien, die zugekauft werden müssen. Bei heutigen komplexen Syntheserouten für einen mehrstufigen Produktionsprozess tragen die Rohmaterialkosten etwa 40 % zu den Gesamtherstellkosten bei.
In etwa der gleichen Größenordnung schlagen die direkten Produktionskosten (Abschreibung der Anlage und Personal) bei der Produktekalkulation zu Buche. Der Hebel zur Kosteneffizienz liegt hier in der Effektivität, d. h. wie lange eine moderne und teure Produktionsanlage belegt werden muss.
In Grafik 2 ist die typische Lernkurve eines angenommenen drei­stufigen Syntheseverfahrens dargestellt. Eine zunehmende Kosteneffizienz wird dabei einerseits durch die Anzahl der Produktionskampagnen als auch durch die kumuliert produzierte Menge erreicht. Erfahrungsgemäß tragen viele kleine Produktionskampagnen weniger zur Optimierung bei als wenige große Produktionen.

Weitere Fragen, die man sich beim Technologietransfer stellen sollte, sind:

  • Welche Investitionen werden benötigt, um die bestehende Mehrzweckanlage optimal an das Produktionsverfahren anzupassen?
  • Gibt es die Möglichkeit der Rückgewinnung von Einsatzstoffen, insbesondere von Lösungsmitteln, und wie sieht es mit der Behandlung von Abfallströmen aus?
  • Wie wird sichergestellt, dass die Qualität bei einem Transfer erhalten bleibt?
  • Ändern sich die regulatorischen Rahmenbedingungen, insbesondere wenn es um Produktionsverlagerungen zwischen verschiedenen Ländern oder Kontinenten geht?

Es ist unerlässlich, jederzeit bei Bedarf auf fachkundige Kompetenzen für einen Technologietransfer zurückgreifen zu können.


Ausbeute und Leistung
Wie eingangs erwähnt, sind Rohmaterial- und Produktionskosten für einen Großteil der gesamten Produktionskosten verantwortlich (Grafik 3). 
Kommt es zu einer Produktionsverlagerung des beispielhaft vorgestellten 3-stufigen Produktionsprozesses, erfolgt dies oft mitten in der Lernkurve des Verfahrens. Dabei ist man selbstverständlich bestrebt, den Wissenstand des Verfahrens bestmöglich mit zu übertragen.
Doch die Rahmenbedingungen bei zwei verschiedenen Produktions­standorten sind nie deckungsgleich. So kann es in einem Fall zu einer tieferen Ausbeute und höherer Leistung, im anderen Fall zu einer höheren Ausbeute und tieferer Leistung kommen. Hier muss der Technologietransfer alle Variationen mitberücksichtigen, damit die bestmöglichen Entscheidungen getroffen werden können.
 

Investitionen
Life-Sciences-Firmen, die Produk­tionen an externe Partner verlagern, tun dies mehrheitlich, um kein eigenes Kapital bzw. Produktionsanlagen zu binden. Im Idealfall wird erwartet, dass der eigene Prozess in die gegebene externe Mehrzweckanlage ohne Anlageanpassungen transferiert werden kann.
Sehr oft ist dies aber nicht der Fall und die externe Anlage muss angepasst oder umgebaut werden. Es obliegt dem kommerziellen Verhandlungsgeschick beider Parteien, wie mit dieser Investition umgegangen wird (Investment Fee, Kampagnen, einmalig oder über mehrere Jahre verteilt etc.).
Davor sind jedoch mit technischer Expertise verschiedene Optionen zu vergleichen, wie z. B., dass eine hohe Tagesleistung – also niedrige Produktionskosten – nur mit einer größeren Investition erreicht werden kann bzw., dass eine niedrigere Tagesleistung – also höhere Produktionskosten – mit einer geringeren Investition erreicht werden kann.
Eine detaillierte technische Analyse von Experten hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Entsorgung
Im eingangs erwähnten Produk­tionsbeispiel trägt ein Kostenblock „Lösungsmittel und Entsorgung“ zum Gesamtbild bei. Nicht nur aus kommerzieller Sicht sind diese Ausgaben zu optimieren, sondern auch aus Gründen der Nachhaltigkeit und des Schutzes der Umwelt.
Wird im Idealfall ein Produktionsprozess über die Jahre in der gleichen Mehrzweckanlage optimiert, werden die Rückgewinnung der Lösungsmittel (im selben Prozess oder am Standort) optimiert und der zu entsorgende Abfall minimiert.
Bei einem Transfer an einen anderen Standort gilt es, die Situa­tion eingehend zu bewerten und zu verstehen. Dabei können u. a. die folgenden Fragen helfen: Können die Lösungsmittel ebenso zurückgewonnen werden? Oder vielleicht sogar besser, weil andere Prozesse am neuen Standort diese besser verwerten können? Wie ist der Einfluss unterschiedlicher Vorgaben die Abfallzusammensetzung für die Kläranlage an verschiedenen Standorten betreffend?

Qualität und Regulierungen
Die Produktqualität ist von großer Bedeutung. Schon kleinste Abweichungen können dazu führen, dass Produktionsbatches aufgearbeitet oder schlimmstenfalls vernichtet werden müssen. 
Um auch bei einem Standortwechsel des Produktionsverfahrens vor solchen Fehlern gefeit zu sein, gilt es, den Qualitätsbegriff viel weiter zu fassen: Entspricht das Qualitätssystem des neuen Standortes den eigenen Vorstellungen bzw. Vorgaben? Entsprechen auch alle Inprocess-Kontrollen den Vorgaben?
Gerade bei einem Transfer zwischen verschiedenen Ländern oder Kontinenten sind die behördlichen Auflagen zu berücksichtigen, denen die Produktion am neuen Standort genügen muss.

Schlussfolgerungen
Bei der erfolgreichen Übertragung eines mehrstufigen und hoch regulierten Produktionsprozesses in eine andere Produktionsumgebung müssen die unterschiedlichsten Kriterien berücksichtigt und miteinander abgestimmt werden.
Hierzu ist ein großer technischer und regulatorischer Sachverstand notwendig. Anstatt diesen mit großem Aufwand intern aufzubauen und beständig vorzuhalten, kann gezielt und effizient auf externe Ressourcen zurückgegriffen werden, die dann mit einem großen Erfahrungsschatz die internen – oft knappen – Ressourcen unterstützen. 


Michael Helwig, Leiter Business Development, Alpha Lyncis AG, Veyras, Schweiz

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