Hoffnungsträger Wasserstoff
Power-to-X-Technologien ermöglichen die Speicherung von Strom aus erneuerbaren Energien
Die Frage, wie der Umstieg auf eine klimaneutrale Produktion gelingen kann, ist nicht nur für das langfristige Ziel der Treibhausgasneutralität, sondern auch für den Industriestandort Deutschland von zentraler Bedeutung. Der Maschinenbau agiert dabei als Enabler und bietet innovative Technologien und Lösungen an, so bspw. bei den Power-to-X-(P2X)-Technologien, die eine zentrale Rolle für die Energie- und Rohstoffwende spielen. Die Arbeitsgemeinschaft Power-to-X for Applications im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) befasst sich mit diesen Themen. Die branchenübergreifende Informations- und Kooperationsplattform für die P2X-Community will einen ganzheitlichen und technologieoffenen Ansatz für die Transformation von Energiesystemen fördern. Carola Kantz, die als stellvertretende Geschäftsführerin die Plattform betreut, erläutert deren Ziele, die Hürden auf dem Weg in die Wasserstoffwirtschaft und die Chancen, die die P2X-Verfahren bieten.
CHEManager: Alle reden über Wasserstoff als Wundermittel für die Energie- und Rohstoffwende. Wie beurteilen Sie das Potenzial? Ist das nur ein Hype oder ein realer Trend, der bleibt?
Carola Kantz: Durch Elektrolyse mit Strom und Wasser erzeugter grüner Wasserstoff ist sicher kein Wundermittel, aber er ist ebenso wie die P2X-Verfahren ein großer Hoffnungsträger, wenn es darum geht, die globalen CO2-Emissionen schnell zu senken. Denn wird Wasserstoff direkt genutzt, ist er CO2-frei. Werden durch P2X-Verfahren erzeugte Wasserstoffprodukte verwendet, etwa eFuels, Methanol oder Ammoniak, ist die Nutzung, beispielsweise im Verbrennungsmotor, CO2-neutral. Das umreißt die große Chance, die Wasserstoff und Co. uns künftig bieten. Das Interesse an Wasserstoff ist aktuell denn auch enorm.
„Die Wasserstofftechnologie insgesamt hat Marktreife erreicht.“
Wie weit ist es noch vom Hoffnungsträger bis zur realen Wasserstoffwirtschaft?
C. Kantz: Meiner Meinung nach sind zumindest die wichtigsten Weichen für den Weg in die Wasserstoffwirtschaft gestellt, auch wenn es noch nicht alles perfekt ist. Aber man muss klar konstatieren, die Rahmenbedingungen haben sich im Vergleich zur Situation vor einigen Jahren immens verbessert. Die Wasserstofftechnologie insgesamt hat Marktreife erreicht. Die deutschen und europäischen Unternehmen des Maschinenbaus treten an, die Marktführerschaft zu erobern und zu behaupten. Der Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind- und Solarkraft, der zur Erzeugung von grünem Wasserstoff eingesetzt wird, ist auch im Vergleich zu herkömmlicher Energie deutlich günstiger geworden.
Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Wasserstoff haben sich, wie ich meine, erheblich verbessert. Über Klimaneutralität, wie sie bis 2050 in der EU und schon bis 2045 in Deutschland angestrebt ist, wird heute nicht mehr diskutiert. Die Bevölkerung ist bereit dafür.
Hinzu kommt ganz aktuell die Diskussion über Versorgungssicherheit, über mehr Unabhängigkeit und eine breitere Aufstellung, was die Lieferländer von Energie angeht. Auch hier kann Wasserstoff eine Antwort sein. Nicht zu vergessen: je teurer Gas wird, umso wettbewerbsfähiger wird Wasserstoff. Insgesamt bin ich mir daher sicher: Wasserstoff ist kein Trendthema. Er ist gekommen, um zu bleiben.
Wasserstoff ist das Zwischenprodukt, mit dem erneuerbare Energie speicherbar gemacht werden kann. Hier kommt Power-to-X ins Spiel. Was genau bedeutet P2X?
C. Kantz: Power-to-X ist das zentrale Verfahren der Wasserstoffwirtschaft, das uns in der Lage versetzt, aus Strom gespeicherte Energie zu machen. Die erzeugte Energie lässt sich auf unterschiedliche Weisen herstellen, speichern, weiterverarbeiten und nutzen – deshalb verwenden wir die Variable „X“ für die verschiedenen Speicherformen. P2X ermöglicht es also, klimaneutral erzeugte Energie einfach zu speichern und zu transportieren und damit Industrie wie Verbraucher zu versorgen.
Wo überall wird Wasserstoff künftig eingesetzt werden?
C. Kantz: In der Stahlerzeugung zum Beispiel; dort wird bisher Koks beziehungsweise daraus bei der Verbrennung entstehendes Kohlenstoffmonoxid als Reduktionsmittel eingesetzt. Der damit verbundene CO2-Ausstoß ist sehr hoch, so dass nun erste Unternehmen bereits dabei sind, auf eine Stahlerzeugung mit Wasserstoff als Reduktionsmittel umzustellen.
Für die Chemieindustrie ist Wasserstoff außerordentlich bedeutend und Ausgangspunkt langer Wertschöpfungsketten. Schon heute kommen in Deutschland jährlich etwa 12,5 Mrd. m3 Wasserstoff zum Einsatz. Das Wasserstoffderivat Ammoniak ist seinerseits Ausgangstoff für die Synthese zahlreicher Verbindungen. Er wird zu Düngemitteln weiterverarbeitet, oder in der organischen Chemie zur Produktion von Kunststoffen und synthetischen Fasern eingesetzt. Ammoniak kann aus grünem Wasserstoff und Stickstoff hergestellt werden und wird auch als Schiffstreibstoff aktuell hoch gehandelt. Das gilt sinngemäß auch für Methanol. Auch grünes Methanol kann aus Wasserstoff erzeugt und in Verbrennungsmotoren etwa von Schiffen klimaneutral eingesetzt werden. Gleichzeitig ist auch Methanol eine wichtige Basischemikalie. Stahl-, Chemie- und Zementindustrie sowie Schwerlast- und Flugverkehr werden nach meiner Überzeugung künftig sicher Wasserstoff beziehungsweise seine Derivate nutzen. In vielen Bereichen hat der Umbau bereits begonnen.
„Wenn wir unsere Technologieführerschaft behaupten wollen, muss in Deutschland schnell ein starker Heimatmarkt etabliert werden.“
Wo wird Wasserstoff künftig erzeugt werden, und welche Rolle können Deutschland und Europa dabei spielen?
C. Kantz: Der Weltenergierat meint in einer Prognose, dass Wasserstoff in Zukunft vor allem aus Norwegen, Saudi-Arabien, Chile und Australien kommen wird. Also aus Regionen, in denen Wind oder Sonne und damit potenziell erneuerbare Energie im Überfluss vorhanden ist. Für Schwellenländer, die erst ihre Energieversorgungssysteme aufbauen, kann Wassersstoff ebenfalls von großer Bedeutung sein. Mittelfristig wird Wasserstoff wohl auch für die Staaten im Nahen Osten, die derzeit noch Rohöl exportieren, noch viel wichtiger werden. Die Ölnachfrage wird sinken, und diese Länder zeigen schon jetzt, dass sie gewillt sind, in die Zukunft zu investieren. Es werden tatsächlich immense Investitionen nötig sein. Nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur müssen die globalen Investitionen in die Wasserstoffwirtschaft bis 2030 auf 1,2 Bio. EUR steigen, damit das Netto-Null-Ziel bei Emissionen bis 2050 zu schaffen ist.
Viele Staaten – China, Japan und Korea, Australien, die USA und Chile, aber auch eine ganze Reihe europäischer Länder wie Frankreich und Deutschland – haben die Weichen für künftige Wasserstoffnutzung gestellt. In Deutschland dezentral erzeugter Wasserstoff wird künftig auch immer dann eine Rolle speziell im Rahmen der Versorgungssicherheit spielen, wenn gerade keine erneuerbaren Energien verfügbar sind, also wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint. Auf EU-Ebene gibt es längst eine ambitionierte Wasserstoffstrategie. 10 Mio. t erneuerbaren Wasserstoff will die EU nach den Plänen von REPowerEU bis 2030 innerhalb der Union produzieren, zusätzliche 10 Mio. t sollen importiert werden. Das zeigt: Die Chance für Deutschland und Europa ist da.
Welche Branchen profitieren von diesem Trend?
C. Kantz: Der Aufschwung der Wasserstoffwirtschaft bietet insbesondere dem deutschen Maschinen- und Anlagenbau vielfältige Wachstumschancen. Durch den Einsatz von Wasserstoff und Power-to-X entstehen neue Wertschöpfungsketten – von den Anlagen für erneuerbare Energien über die Verfahrenstechnik und deren Komponenten bis zu den Anwendungen. Aber wenn wir unsere Technologieführerschaft behaupten wollen, muss in Deutschland schnell ein starker Heimatmarkt etabliert werden.
Was muss jetzt geschehen, damit Wasserstoff den schnellen Durchbruch schafft?
C. Kantz: Wir müssen gemeinsam in möglichst kurzer Zeit die besten Antworten auf eine Reihe offener Fragen finden und Probleme lösen, die oft im Detail liegen. Um dabei Fehlentwicklungen zu vermeiden und die Wasserstoffwirtschaft möglichst schnell wachsen zu lassen, müssen sich die technischen Experten insbesondere aus unterschiedlichen Branchen entlang der enorm langen Wertschöpfungskette gegenseitig informieren, voneinander lernen, sich austauschen und vernetzen. Dazu bieten wir als Arbeitsgemeinschaft ein Forum: Die VDMA Power-to-X for Applications ist die zentrale, branchenübergreifende Informations-, Kommunikations- und Kooperationsplattform für die P2X-Community. Sie wächst rasant – aktuell zählt sie über 170 Unternehmen aus der Industrie als Mitglieder – und bindet alle wichtigen Stakeholder und Akteure von der Entwicklung der Fertigungsverfahren über die Herstellung synthetischer Kraft- und Rohstoffe mittels Power-to-X-Technologien bis hin zum Endabnehmer ein.
Welches Konzept verfolgt die AG und worauf liegt der Fokus?
C. Kantz: Wir treten für einen ganzheitlichen, technologieoffenen Ansatz ein und sind fest davon überzeugt, dass P2X den vielversprechendsten Ansatz bietet, regenerativ erzeugten Strom in andere Energieformen zu überführen und so langfristig aus der Nutzung fossiler Energieträger wie Kohle, Öl und Gas auszusteigen.
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From Production to Application: The #P2X Conference
Die internationale Konferenz zu Power-to-X-Technologien am 19. und 20. September 2022 in Düsseldorf stellt konkrete Projekte und praktische Fragen rund um P2X in den Mittelpunkt. Zentrale Themen sind Elektrolyse und andere Produktionsverfahren für Wasserstoff, Synthesen für eFuels und Power-to-Liquid-Produkte wie Ammoniak und Methanol, die Anwendung im Schwerlastverkehr, in der Schifffahrt und Luftfahrt oder in den Prozessindustrien Stahl & Chemie, sicherheitsrelevante Fragestellungen, Transport und Logistik sowie die technisch-wirtschaftliche Bewertung ganzer Lieferketten und deren Business Cases im nationalen und internationalen Kontext.
www.p2xconference.com
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