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So reicht das nicht!

Nationale Maßnahmen zum Klimaschutz werden den Klimawandel nicht stoppen

15.06.2022 - Ernst Ulrich von Weizsäcker fordert ein deutlich entschlosseneres Handeln gegen die Klimakrise und eine neue Klima-Außenpolitik.

So reicht das nicht! lautet der Titel des gerade erschienenen Buchs von Ernst Ulrich von Weizsäcker. Darin fordert der Physiker und Biologe ein deutlich entschlosseneres Handeln gegen die Klimakrise. Die oft nur nationalen Maßnahmen und Ideen zum Klimaschutz werden den Klimawandel nicht stoppen. Andrea Gruß sprach mit dem Ehrenpräsidenten des Club of Rome über mögliche Wege aus der Krise und darüber, welche Entwicklungen ihm Hoffnung geben.

CHEManager: Herr Professor von Weizsäcker, Deutschland verursacht weniger als 2% der weltweiten Treibhausgas-Emissionen; die aktuelle Bundesregierung hat ehrgeizige Maßnahmen zum Klima­schutz beschlossen. Was können wir noch gegen den Klimawandel tun?

E. U. von Weizsäcker: Das eine ist, den Klimaschutz innerhalb Deutschlands zu optimieren. Hier macht die gegenwärtige Bundesregierung vieles richtig. Was jedoch fehlt, ist eine Klimaaußenpolitik, mit der auch die übrigen 98 % der Emissionen stark reduziert werden. Wir könnten zum Beispiel dazu beitragen, dass Länder wie Bangladesch oder Costa Rica – die sehr interessiert sind an gutem Klimaschutz – ökonomisch bessergestellt werden, um hier wirksam zu werden. Ein Weg dahin ist der sogenannte Budget-Ansatz, den der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung schon 2009 verfasst und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit auf ihre Reise zur UN-Klimakonferenz in Kopenhagen gegeben hat.

Welche Idee steckt hinter dem Budget-Ansatz?

E. U. von Weizsäcker: Nach dem Budget-Ansatz erhält jedes Land der Erde ein pro Kopf gleichgroßes Anrecht auf die für das 1,5- oder 2-Grad-Ziel noch zulässigen ­Emissionen. Die alten Industrieländer haben diese Lizenzen zur Verschmutzung der Atmosphäre jedoch im Wesentlichen schon in der Vergangenheit verbraucht. Sie müssten, um weiter mit klassischen Verbrenner-Pkw zu fahren oder mit Gas zu heizen, Lizenzen bei den Entwicklungsländern einkaufen – zu Preisen, die es für diese Länder profitabel machen, das Richtige gegen die Klimakrise zu tun. Dann würde es in Ländern wie Indien – in denen derzeit noch neue Kohlekraftwerke gebaut werden – lukrativ, auf Solarenergie oder Windenergie umzusteigen und die dadurch freiwerdenden Lizenzen an andere Nationen zu verkaufen.

Im Prinzip ein ähnlicher Gedanke, wie er dem europäischen Emissionshandel zugrunde liegt…

E. U. von Weizsäcker: Richtig. Nur beim bisherigen Emissionshandel wird nicht berücksichtigt, welchen Beitrag wir bereits in der Vergangenheit zur Klimaverschmutzung geleistet haben. Bei der COP26 Konferenz in Glasgow kam das Denken in Richtung des Budget-Ansatzes wieder in Gang. Deutschland könnte den im Koalitionsvertrag von Dezember 2021 vereinbarten „Klimaclub“ so gestalten, dass man den Budget-Ansatz akzeptiert. Es würde ein Club mit Ländern entstehen, die ökonomisch und technologisch gewinnen, weil sie das Richtige für den Klimaschutz tun. Manche Länder würden neidig auf die Klima­pioniere schauen und um Aufnahme in den Club bitten.

Neben einer neuen Klima-Außenpolitik fordern Sie auch eine neue Aufklärung, damit wir auch in unser heutigen „vollen Welt“ gut leben können. Was verstehen Sie darunter?

E. U. von Weizsäcker: Die europäische Aufklärung war etwas absolut Großartiges. Sie bedeutete Befreiung von mythischen zum rationalen Denken. Sie fand in einer nachhaltigen, „leeren“ Welt statt, in der weniger als eine Milliarde Menschen auf der Erde lebten und die Welt viel größer war als die Erfordernisse menschlichen Wirtschaftens. Sie brachte uns die industrielle Revolution, die Europa fantastisch reich gemacht hat. Die Aufklärung hatte aber auch ihre Schattenseiten. Die Überlegenheit Europas schlug in Arroganz um und mündete in den Kolonialismus. Staaten, die noch nicht durch die Aufklärung gegangen waren, wurden einfach erobert. Für die Länder der früheren Kolonien hat der Begriff Aufklärung daher noch heute oft einen stark bösen Beigeschmack.
Heute leben wir in einer vollen, nicht nachhaltigen Welt, in der Harmonie und biologische Vielfalt kaputtgegangen sind. Wir brauchen eine neue Aufklärung, die diese Zerstörung als Rückschritt erkennt und Strategien für ein gutes Überleben in der vollen Welt entwickelt. Wir brauchen Balance und Ausgeglichenheit zwischen Mensch und Natur, Staat und Markt, zwischen Nord und Süd auf der Landkarte sowie zwischen Gleichheit/Gerechtigkeit und Leistungsanreiz.

Um den Klimaschutz voranzubringen, plädieren sie für eine Aufwärtsspirale der Energiepreise. Wie lässt sich dies sozialverträglich gestalten?

E. U. von Weizsäcker: Energie sollte jedes Jahr um gerade so viel Prozent teurer werden, wie im abgelaufenen Jahr die Energieeffizienz zugenommen hat. Damit steigen die Preise langsam von Jahr zu Jahr und es wird immer lukrativer, die Energieeffizienz zu verbessern. Da moderne Effizienztechnologien bei den wohlhabenden Familien und Firmen etwas früher ankommen als bei ärmeren, sollte dieser Effekt durch einen Sozialtarif kompensiert werden.
Eine vergleichbare Preisspirale gab es im Übrigen bei der industriellen Revolution. Damals ging es nicht um Energieeffizienz, sondern um Arbeitseffizienz. Jeder technische Fortschritt, der eine höhere Arbeitsproduktivität herbeigeführt hat, erleichterte es der Arbeiterschaft, höhere Löhne einzufordern. Stieg die Arbeitsproduktivität, stiegen die Löhne.
Dies hat zu einer Verzwanzigfachung der Arbeitsproduktivität geführt. Das ist für Energie tendenziell auch möglich. Allerdings lernen Ingenieure in den Hochschulen noch heute, dass Energieverschwendung eigentlich etwas ganz Vernünftiges ist, weil die Energie ja nicht viel kostet. Sie wurde 200 Jahre lang immer billiger.

Mehr Energieeffizienz ist ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz. Darüber hinaus müssen wir weg von fossilen Energieträgern. Welchen Beitrag können Elektroautos hier leisten?

E. U. von Weizsäcker: Ein Elektroauto ist etwas sehr Schönes. Es ist physikalisch effizienter als ein Benziner. Daher ist es vernünftig, im Rahmen des Klimaschutzes in Deutschland auf Elektroautos zu setzen. Doch weltweit gibt es mehr als eine ­Milliarde Verbrenner-Pkw und wir müssen uns fragen: Wie viele Eigentümer eines funktionsfähigen Verbrenners sind bereit, diesen zu verschrotten und stattdessen ein Elektroauto zu kaufen? Ich würde schätzen, dass weltweit nur etwa 15 % ihren Verbrenner verschrotten lassen. Dann bräuchten wir noch für 85% den klimaneutralen Sprit.

Wie lassen sich klimaneutrale Treibstoffe herstellen?

E. U. von Weizsäcker: Hier kommt die Chemie ins Spiel. In Sonnenländern wie Algerien oder Saudi-Arabien können Sie eine Kilowattstunde Fotovoltaik-Strom bereits für einen Euro­cent herstellen. Je nach Standort gelingt die Produktion von grünem Wasserstoff heute für acht bis zehn Eurocent. Setzt man diesen Wasserstoff mit CO2 um, entsteht dabei klimaneutrales Methanol. Gleichzeitig wird CO2 vom klimaschädlichen Abfallprodukt zum Rohstoff. Das so hergestellte ­Methanol eignet sich als Benzinersatz in vorhandenen Verbrennern. Es ist allerdings pro Liter nur etwa halb so effizient wie Benzin. Der eigentliche Kostenpunkt ist bisher noch das Einfangen des CO2.
Chinesen verbrennen übrigens bereits heute eine ganze Menge an Methanol, um Geld für Ölimporte einzusparen. Sie stellen das Methanol jedoch hauptsächlich aus Kohle und Gas her. Das ist natürlich nicht klimafreundlich.

Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Thema Klimawandel. Lange Zeit ist wenig passiert. Was macht Ihnen Hoffnung, dass sich dies ändert und wir die Erderwärmung noch aufhalten könnte?

E. U. von Weizsäcker: Ich nenne Ihnen drei Beispiele: Das eine ist Fridays for Future. Die Bewegung der jungen Generation hat das Bewusstsein für die Klimakrise weltweit deutlich verändert und zu einem erheblichen Sinneswandel auch in der deutschen Wirtschaft geführt. Und damit bin ich beim zweiten Beispiel: Mein Optimismus kommt von den exzellenten deutschen Ingenieuren und Chemikern. Ich traue ihnen zu, dass sie sich allerlei Großartiges einfallen lassen, sobald die Energiepreise dies zulassen. Viele klimaneutrale Technologien dafür haben sie schon in der Tasche.
Das dritte Beispiel ist die Politik: Etwas wie den ­European Green Deal, den Ursula von der Leyen kurz nach ihrer Wahl zur Kommissionspräsidentin ausgerufen hat, hat es in der europäischen Geschichte noch nicht gegeben. Und der Wahlkampf 2021 in Deutschland war etwa zur Hälfte ein Kampf um ehrgeizigere Klimaschonungsvorschläge.

Das Interview mit Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker führte Andrea Gruß.

 

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So reicht das nicht!
Ernst Ulrich von Weizsäcker
Bonifatius Verlag, 2022
ISBN 978-3-89710-909-4

ZUR PERSN
Ernst Ulrich von Weizsäcker ist ein deutscher Umweltwissenschaftler und Politiker. Von 2012 bis 2018 war er Co-Präsident des Club of Rome, von 1998 bis 2005 Mitglied des Deutschen Bundestags. Nach dem Studium der Physik promovierte von Weizsäcker 1969 in Biologie. 1972 wurde er auf den Lehrstuhl für Interdisziplinäre Biologie an der Universität Essen berufen und wechselte drei Jahre später als Präsident an die Universität Kassel. 1991 gründete er das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, dem er bis zum Jahr 2000 als Präsident vorstand.

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