New Work braucht New Pay
Transparenz und Partizipation schaffen die Basis für faire Entlohnung
Für die einen ist New Work eine neue Art, Leben und Arbeit zu verbinden, andere verstehen darunter Digitalisierung, Agilität, flache Hierarchien oder neue Formen der Zusammenarbeit in Unternehmen. Ein Aspekt bleibt oft außen vor: das Vergütungsmodell. Nur wenige Unternehmen trauen sich, bestehende Entlohnungssysteme zu hinterfragen. Andrea Gruß sprach mit Stefanie Hornung, Mit-Autorin des Buchs „New Pay“, über New Work in Zeiten der Coronakrise und die herausfordernde Suche nach einer fairen Vergütung in der neuen Arbeitswelt.
CHEManager: Frau Hornung, worauf geht der Begriff 'New Work' zurück?
Stefanie Hornung: Begründer von New Work ist der Philosoph Frithjof Bergmann. Er prägte den Begriff in den 1970er Jahren, zur Zeit der ersten Automatisierungswelle in der Automobilindustrie. Damals verlor in der US-Stadt Flint ein großer Teil der Belegschaft eines Autobauers seinen Job. Bergmann schlug daher vor, dass die Mitarbeiter nur noch einen Teil ihrer Arbeitszeit Lohnarbeit verrichten und ansonsten herausfinden, was sie „wirklich, wirklich wollen“, also ihrer eigenen Berufung nachspüren können. Die dritte Säule von New Work nach Bergmann – neben Lohnarbeit und Berufung – bildet die Selbstversorgung. Jeder sollte sich mit modernen Technologien selbst herstellen können, was er oder sie zum Leben braucht.
Ein Trend, der auch in der aktuellen Krise wieder an Bedeutung gewinnt.
S. Hornung: Ja, das stimmt. Viele Menschen haben angefangen, in ihrem Garten oder auf dem Balkon Nahrungsmittel anzubauen und nähen sich ihre Schutzmasken selbst.
… oder drucken sie auf dem 3D-Drucker.
S. Hornung: Genau. Das ist im Übrigen eine Technologie, die Bergmann bereits vorausgesehen hat und die zur Selbstversorgung dienen sollte.
Was hat Bergmanns visionärer Begriff von New Work mit der heutigen Arbeitswelt zu tun?
S. Hornung: Was heute in der Unternehmenspraxis als New Work bezeichnet wird, ist meist etwas völlig anderes. Die Spanne reicht von Agilität über Hierarchieabbau bis zum modernen Großraumbüro mit Tischkicker. Professor Carsten Schermuly von der SRH Hochschule Berlin bringt es in seinem Buch „New Work – gute Arbeit gestalten“ auf den Punkt: „New Work hat sich zu einem Containerbegriff entwickelt, in den jeder hineinwerfen darf, was er will.“ Für mich hat New Work heute vor allem zwei Dimensionen: Die Komponente der persönlichen Entwicklung, wie ursprünglich von Bergmann angedacht, und wie Unternehmen mit den Themen Führung, Selbstorganisation, Selbstverantwortung umgehen; hier gibt es Überschneidungen mit der Agilitätsbewegung.
Wird der Trend zu New Work durch die Coronakrise verstärkt oder eher abgeschwächt?
S. Hornung: Ich beobachte eine zweischneidige Entwicklung. Einerseits gewinnen viele Mitarbeiter im Homeoffice neue Freiräume, sie können mehr ausprobieren und Mechanismen von New Work in ihrer täglichen Arbeit praktizieren und üben. Andererseits ist Homeoffice per se noch nicht New Work. Es gibt auch die Gegenbewegung, dass Arbeitgeber weiterhin viel kontrollieren und das teils vielleicht auch müssen – ich denke hier an die neueste Rechtsprechung zur Arbeitszeiterfassung. Und die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten der Kontrolle.
Hinzu kommt, dass in der Krise die Priorität auf schnellen Entscheidungen liegt. Obwohl für eine höhere Qualität der Entscheidungen mehrere Menschen gemeinsam zu besseren Lösungen finden, wünschen sich viele Menschen in der Krise eine starke Führung zurück, jemanden der ihnen sagt, wo es lang geht. Neuste empirische Studienergebnisse zeigen gleichzeitig, dass CEOs und Top-Manager oft in einer Scheinwelt leben: Sie halten ihre Kultur für deutlich moderner als sie tatsächlich ist. Das lähmt die Chancen von echter Transformation in der Krise.
Für Ihr Buch haben Sie sich gemeinsam mit Nadine Nobile und Sven Franke intensiv mit Arbeits- und Entlohnungsmodellen im Kontext von New Work beschäftigt. Mit welchem Ergebnis?
S. Hornung: Die Art und Weise, wie Unternehmen das Thema Vergütung anpacken, zeigt ganz deutlich, wie sie es mit New Work halten. Vergütung ist ein Spiegel der Unternehmenskultur. Unternehmen, die auf kollaborative Zusammenarbeit setzen, sollten auch ihre Vergütungssysteme überdenken. Sie können Mitarbeiter nicht mehr Verantwortung und Entscheidungen übertragen, nur beim Gehalt bitteschön nicht. New Work wird dann schnell zum Greenwashing.
Allerdings ist über Gehalt oder Geld zu reden, besonders in Deutschland noch ein großes Tabu. Dabei kommen viele Emotionen hoch. Deshalb gibt es bislang nur wenige Unternehmen, die sich an dieses Thema herangetraut haben.
Einige dieser Unternehmen und deren Weg zu einer neuen Vergütung stellen Sie in Ihrem Buch „New Pay“ vor. Welche Lösungen haben diese Unternehmen gefunden?
S. Hornung: Die Bandbreite der Ansätze reicht vom Einheitsgehalt über ein Wunschgehalt, Gehaltsformeln und Gehaltschecker bis hin zu partizipativen Ansätzen, bei denen die Führungskräfte gemeinsam mit den Mitarbeitern ein neues Vergütungssystem erarbeiten, mit Bausteinen wie einem FMK-Anteil, der das Füreinander, Miteinander und die Kundenorientierung vergütet. Bei unseren Recherchen und Gesprächen haben wir gelernt: Ein Vergütungssystem macht eine Organisation dann erfolgreich, wenn es möglichst viele Beschäftigte als fair empfinden.
Wann ist das der Fall?
S. Hornung: Bei Fairness geht es um gefühlte Gerechtigkeit und diese hängt von der individuellen Unternehmenskultur ab. Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit sowie Transparenz spielen dabei eine wichtige Rolle. Interessant dabei ist, dass Menschen ungleiche Gehälter oder hohe Managergehälter durchaus akzeptieren, wenn transparent wird, warum jemand mehr verdient.
Welche Möglichkeiten für New Pay sehen Sie in tarifgebundenen Unternehmen?
S. Hornung: Ich würde es nicht unbedingt New Pay nennen, aber es geht in Richtung: Die Deutsche Bahn hat 2018 ein neues Wahlmodell eingeführt mit einer kollektivrechtlichen Lösung. Danach können sich Mitarbeiter für ein höheres Gehalt oder eine kürzere Arbeitszeit beziehungsweise sechs Tage mehr Urlaub entscheiden. Diese Wahlfreiheit des Einzelnen in ein Tarifmodell mit einzubinden, ist eine Neuheit mit partizipativem Charakter.
Interessant ist auch das Vorgehen bei Bosch. Hier wurden schon vor längerer Zeit die individuellen Boni zugunsten von Team- und Unternehmensboni abgeschafft. Gemeinsam mit der IG Metall wurde im vergangenen Jahr im Tarifbereich ein Vergütungssystem für agile Einheiten kreiert. Das Besondere daran sind Lohnstufen, sogenannte Grading Groups, mit einer hohen Durchlässigkeit. Zudem wird seit 2019 systematisch abgefragt, wie die Mitarbeiter sich selbst einschätzen und was sie verdienen möchten. Natürlich kann ein großes Unternehmen wie Bosch nicht jedem Mitarbeiter sein Wunschgehalt zahlen, wie es das Berliner Unternehmen Wigwam seit einigen Jahren praktiziert, aber das partizipative Element kann Mitarbeiter motivieren, darüber nachzudenken: Was brauche oder wünsche ich mir an Gehalt? Was ist mein Part im Unternehmen? Und was kann mein Arbeitgeber zahlen? Das fördert das Wir-Denken. Unternehmen, die dieses schon vor der Krise glaubhaft praktiziert haben, können nun davon profitieren, etwa wenn es um Kosteneinsparungen geht.
Können Sie uns das an einem Beispiel erläutern?
S. Hornung: Bei Lilly Deutschland gab es 2017 aufgrund von Patentabläufen und hohen Umsatzausfällen zwei Personalabbauwellen. Die erste wurde zentral aus den USA gesteuert. Die deutschen Manager hatten wenig Gestaltungsspielraum. Mitarbeiter wussten nicht, in welchem Umfang und nach welchen Kriterien Personalabbau stattfinden sollte und wen es genau betreffen würde. Das führte zu starker Kritik. Der zweite Schritt des Personalabbaus wurde daher mit mehr Transparenz und „auf Augenhöhe“ umgesetzt, so wie es der Unternehmenskultur am deutschen Standort entsprach. Dieses Mal handelte die Geschäftsführung eine komplett freiwillige Vorruhestandsregelung aus und informierte wöchentlich über den Stand der Dinge. Es wurde nicht von oben bestimmt, wer gehen sollte, sondern jeder konnte sich unverbindlich informieren. Hierzu wurden viele ergebnisoffene Gespräche geführt. Schließlich gelang der Personalabbau in den vorgegebenen sechs Wochen auf freiwilliger Basis. Betriebsbedingte Kündigungen wurden verhindert. Ein Beispiel, wie New Work zu einer höheren Resilienz in Krisensituationen beitragen kann.
Seit dem 15. März 2020 ist die Wortmarke „New Pay“ beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragen. Warum haben Sie sich den Begriff schützen lassen?
S. Hornung: Wir betrachten New Pay als einen fortlaufenden Prozess, der eine möglichst gute Passung des Vergütungssystems mit der Unternehmenskultur und deren Entwicklung zum Ziel hat. Wir sprechen von New Pay, wenn Organisationen sich um die sieben Prinzipien: Fairness, Transparenz, Selbstverantwortung, Partizipation, Flexibilität, Wir-Denken und Permanent Beta bemühen. Diese können in jeder Organisation unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Transparenz kann sich zum Beispiel auf die Gehaltshöhe einzelner Mitarbeiter oder auf das Verfahren der Gehaltsfindung beziehen. Wir sehen uns dabei als eine Art Hüter von „New Pay“, indem wir uns dafür einsetzen, dass dieses Verständnis als generisches Gesamtkonzept gewahrt bleibt. So möchten wir den Begriff vor einseitiger Vereinnahmung schützen und jenseits von Blaupausen eine breite Debatte rund um neue Vergütungsformen anregen. Gerade in der aktuellen Zeit erleben wir: Geld ist ein Hebel für Veränderung.