Großbaustelle Gaskavernenspeicher
Ex-Schutz und funktionale Sicherheit sind Kernthemen
Von Genehmigung über Planung und Bau bis zur Erstbefüllung eines Kavernenspeichers zur Lagerung von Erdgas vergehen in der Regel viele Jahre. Bei Projekten dieser Art steht die Sicherheit der Anlagenbetreiber, der umliegend lebenden Menschen, der Umwelt und der Anlage selbst im Mittelpunkt. Deshalb sind Experten gefragt, die Automatisierungslösungen für die jeweiligen Projektabschnitte zuverlässig planen und realisieren können.
Erdgas eignet sich als idealer „Pufferpartner“ für die schwankenden Leistungen erneuerbarer Energien. Und auch der unterschiedliche Energiebedarf zwischen Sommer und Winter kann damit teilweise abgedeckt werden. Allerdings braucht es dann Speichermöglichkeiten. Zum Lagern von Erdgas nutzt man natürlich vorkommende Porenspeicher oder speziell dafür hergestellte Kavernenspeicher. Für Letztere werden in unterirdischen Salzstöcken durch Aussolen künstliche Hohlräume erzeugt. Salzstöcke bilden eine gasundurchlässige Barriere und garantieren so eine natürliche Dichtheit der Kaverne.
Der Speicher im niedersächsischen Jemgum ist mit einem Arbeitsgasvolumen von über 900 Mio. m3 einer der größten Erdgaskavernenspeicher Deutschlands. Hier kann der Jahresverbrauch für circa 700.000 Einfamilienhäuser gelagert werden. Er wird von Astora und VNG Gasspeicher betrieben, wobei Astora gut 80 % der gesamten Speicherkapazitäten vermarktet.
Von der ersten Probebohrung in den achtziger Jahren über die ersten Bohrungen auf dem Sammelplatz im Jahr 2009/2010 bis zum heutigen Betrieb war ein langer Weg. Rösberg hat diesen über die Jahre an vielen Stationen begleitet.
Angefangen hat alles mit der Frischwasserentnahme und der Aussolung der ersten Kavernen. Dazu wurde Wasser aus der nahe gelegenen Ems in ein Bohrloch in ca. 1.500 m Tiefe eingeleitet und damit die Kaverne über ca. zwei Jahre hinweg ausgespült. Dabei wurde die Rohrtour stetig nach oben zurückgezogen, so dass die Kaverne nach oben hin zylindrisch wächst. Das Wasser löste das Salz, die dabei entstehende Sole wurde in ein Absetzbecken geleitet, gereinigt und dann bei Rysum ins Meer geleitet. So entstanden über die Jahre zehn Kavernen mit einer Höhe von ca. 400 m, die mit Sole gefüllt sind. Zum Vergleich: Der Berliner Fernsehturm mit seiner Höhe von 368 m würde gut hineinpassen.
„Ein Gasdurchschlag muss mit Hilfe funktionaler Sicherheitstechnik unbedingt vermieden werden.“
Anlage für die Gaserstbefüllung
Auch die Gas-Erstbefüllung einer Kaverne ist ein umfangreiches Projekt, das zwischen 100 und 120 Tagen in Anspruch nimmt. Klaus Kerner, Process Control Technology Project Manager bei Rösberg, betreut das Projekt Jemgum seit den Anfängen. Er berichtet: „Die Gasbefüllung der ersten zwei Kavernen hat Astora selbst übernommen. Da das dafür geliehene Equipment aber sehr teuer war, sollten für die weiteren Befüllungen bzw. Entleerungen – Soleentleerung und Gasbefüllung gehen ja Hand in Hand – eigene Soleentleerungsanlagen angeschafft werden. Hier kamen wir wieder einmal ins Spiel.“ Angeschafft wurden drei Altanlagen. Jede Anlage bestand aus drei Schaltschränken (Steuerung, Kompressor und Elektroverteilung mit Frequenzumrichter), einem Entgasungstank, Messgeräten und Armaturen, einer Pumpe und diversen Rohrleitungen zur Anbindung an die Solanlage.
„Die mechanischen Komponenten konnten wir größtenteils weiterverwenden. Die notwendige Steuerungs- und Regelungstechnik jedoch musste neu konzipiert und angeschafft werden. Installation, Montage der Mess- und Regeltechnik und die Verkabelung der Automatisierungskomponenten war also unsere Aufgabe“, erläutert Kerner. Im sicherheitskritischen Umfeld galt es für die Steuerungstechnik natürlich, die einschlägigen Vorgaben für den Ex-Schutz und die funktionale Sicherheit zu beachten. Die Steuerung der Anlage wurde komplett neu entwickelt, ebenso wie das Sicherheitssystem. Ein Prozessleitsystem PCS7 von Siemens wurde als Steuerung genutzt und musste programmiert sowie in die übergeordnete Steuerung der Soleanlage integriert werden. Auch die Montageplatte, bestückt mit allen Automatisierungskomponenten, wurde vor Ort ausgetauscht und neu angeschlossen. Nachdem die Anlage umgebaut und angebunden war, folgten diverse Tests. Nach der Kaltinbetriebnahme musste die Sicherheitstechnik durch Sachverständige freigegeben werden. Dann erst konnte die Soleentleerung bzw. die Gaserstbefüllung starten.
Sicherheit als oberstes Gebot
Nach dem Aussolen ist die Kaverne mit Salzwasser befüllt. Nun gilt es, das Wasser aus der Kaverne heraus zu drücken. Dies geschieht indem das Erdgas mit höherem Druck in die Kaverne eingeleitet wird und praktisch als „Kissen“ von oben auf die Wassersäule drückt. Die Rohrtour des Soleauslagerungsstrangs ragt praktisch fast bis zum unteren Ende der Kaverne. Das immer größer werdende Gaskissen drängt also die Sole über den Soleauslagerungsstrang heraus. Die aus der Kaverne gedrückte Sole durchläuft zuerst den Entgasungstank, aus dem sich kleine Mengen von Erdgas verflüchtigen. Danach wird die Sole in das Soleabsetzbecken der Solanlage gepumpt, in dem sich Schlamm, Schlick und gröbere Partikel absetzen können, die dann gesondert entsorgt werden. Das übrige Salzwasser gelangt wie beim Solen über eine ca. 45 km lange Pipeline bei Rysum in die Nordsee.
Bei der Soleentlerung bzw. der Gaserstbefüllung gibt es zwei potenziell kritische Szenarien, die beide zu einem Gasdurchschlag führen könnten: Im ersten Szenario kommt es zur Beschädigung der Rohrtour des Soleauslagerungsstrangs, z. B. wenn unterirdisch Salzstockgebirge abbricht und abrutscht. Im zweiten Fall wird die Kaverne bis unterhalb der Rohrtour des Soleauslagerungsstrangs hinaus mit Gas befüllt. Beides hätte schlimme Folgen. Kerner erklärt: „Bei einem Gasdurchschlag gelangt Erdgas mit hohem Druck in die Rohrtour des Soleauslagerungsstrangs. Dadurch würde das darin befindliche Solewasser erheblich beschleunigt werden und mit hoher Kraft gegen den Bohrlochkopf drücken. Daher gilt es dieses Szenario unbedingt mit Hilfe funktionaler Sicherheitstechnik, sowie Steuerungs- und Regelungstechnik zu vermeiden.“ Am Bohrlochkopf wird deshalb mehrfach und permanent der Druck überwacht. Kommt es zu Unregelmäßigkeiten, schließt eine Regelarmatur das Rohr kontinuierlich innerhalb von wenigen Sekunden. Dadurch entstehen keine Druckstöße. Ist das Regelventil geschlossen, können alle anderen Auf/Zu-Armaturen sicherheitstechnisch geschlossen werden.
Acht Kavernen befüllt
Nachdem die Soleentleerungsanlagen modernisiert und umgebaut waren, erhielt Rösberg auch den Zuschlag für das Entsolen. Dazu wurde die Software der Soleentleerungsanlage jeweils an die entsprechende Kaverne angepasst. Zwar ist die Größe der Kaverne bekannt, dennoch braucht es bei der Gaserstbefüllung das Fingerspitzengefühl von erfahrenen Operatoren, wann die maximale Befüllung erreicht ist. Beim Einschätzen hilft, dass das ausgedrückte Solewasser am Entgasungstank permanent auf seinen Gasgehalt untersucht wird. Der Gasgehalt des im Wasser enthaltenen Gases lässt Rückschlüsse darauf zu, wie nah die eingefüllte Gasmenge am Ende der Rohrtour angelangt ist. Mittlerweile ist die Gas-Erstbefüllung für alle Kavernen abgeschlossen.