Pharmaabsprachen auf dem Prüfstand
Arzneimittelhersteller versuchen, sich gegen generische Konkurrenz zu wehren – nicht immer legal
Es kommt immer wieder vor: Forschende Arzneimittelhersteller einigen sich mit Generikaherstellern, dass diese Zusatzpatente nicht angreifen und keine Nachfolgeprodukte auf den Markt bringen. Für die Unternehmen haben die Absprachen finanzielle Vorteile, während die Gesellschaft meist die Kosten trägt. Patentexperte Filipe Fischmann hat untersucht, wo die Grenzen solcher Zahlungen liegen und wie belastbar pharmazeutische Patente sind.
Das Vorgehen wirkt seltsam, macht bei genauerem Hinsehen für die Beteiligten aber durchaus Sinn: Forschende Pharmaunternehmen zahlen Generikafirmen Millionen oder gar hunderte von Millionen Euro, damit diese keine Nachfolgearznei des Originals auf den Markt bringen. Bei solchen Deals freuen sich in der Regel beide Parteien: Die Generikahersteller, weil sie ohne großen Aufwand viel Geld einnehmen. Und die innovativen Pharmaunternehmen, weil sie Zeit gewinnen, in der sie ihre Originalarzneien weiter zum höheren Preis vermarkten können.
In seiner Dissertation beschreibt Dr. Filipe Fischmann, Jurist und Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München, die Hintergründe und Mechanismen dieser speziellen Vertragspraxis. Zugleich zeigt er, wie einfallsreich forschende Pharmaunternehmen sind, wenn es um die Optimierung ihres Umsatzes geht. Von der Koerber-Stiftung wurde er dafür 2016 mit dem zweiten Platz des Deutschen Studienpreises ausgezeichnet.
Fischmann erläutert, dass viele Pharmaunternehmen zusätzlich zum Hauptpatent eines Arzneimittels, dem Wirkstoffpatent, weitere Patente beantragen – bspw. für Herstellungsverfahren, zur Dosierung, zur Behandlung weiterer Krankheiten oder für Zwischenprodukte. Da die Pharmafirmen diese Zusatzpatente meist erst mehrere Jahre nach dem Ursprungspatent beantragen, können sie so den Schutz für ihre Arzneimittel deutlich verlängern.
Generikafirmen zweifeln Zusatzpatente an
Ob die Zusatzpatente Bestand haben, ist allerdings oft nicht eindeutig. Nach Fischmanns Erkenntnissen, der an der Universität von São Paulo sowie an der Ludwig-Maximilians-Universität München Rechtswissenschaften studierte, besteht nämlich vielfach Unklarheit darüber, ob ein Patent ausreichend geprüft und zu Recht vergeben worden ist. Angesichts dieser Lage wagen sich die Generikahersteller gerne aus der Deckung und stellen eben diese Zusatzpatente in Frage. Deren Argument: Die fraglichen Schutzrechte erfüllen nicht die gesetzlichen Voraussetzungen der Neuheit beziehungsweise der erfinderischen Tätigkeit. Und selbst wenn diese Patente die Voraussetzungen erfüllen würden, könnten sie nicht unbedingt die Nachahmung der Original-Arznei verhindern, da das entsprechende Präparat auch auf andere Weise hergestellt werden könne. Ergo: Die Zusatzpatente würden durch die Herstellung und Vermarktung der Nachahmerarznei nicht verletzt.
Offenbar sind die Generikahersteller mit dieser Vorgehensweise recht erfolgreich. Laut einer Untersuchung der Europäischen Kommission siegten die Generikahersteller in 62 % der Patentrechtsverfahren, die von einem Gericht entschieden wurden. In diesen Fällen durften die Unternehmen ihre Generika somit vermarkten.
Allerdings kommt es nur in den wenigsten Fällen zu einer gerichtlichen Entscheidung. Oftmals legen forschende Pharmaunternehmen und Generikafirmen ihre Auseinandersetzung nämlich gütlich per Vergleich bei: Durch eine Millionenzahlung verzichtet der Generikahersteller darauf, seine Nachfolgearznei auf den Markt zu bringen. Diese Lösung hat außerdem den Charme, dass beide Parteien einen teuren und womöglich langen juristischen Prozess mit ungewissem Ausgang vermeiden. Fischmann: „Kartellrechtliche Verfahren von mehr als 15 Jahren bis zur endgültigen Sanktionierung einer Absprache sind keine Seltenheit.“
Versicherte zahlen hohen Preis
Während die beteiligten Unternehmen bei derartigen Deals – in der Fachsprache auch Reverse Payments genannt – meist gewinnen, trägt die Allgemeinheit die Kosten. Denn die Krankenkassen und damit letztlich die Versicherten müssen höhere Preise für die Arzneimittel zahlen als nötig. In Staaten mit wenig entwickelten Gesundheitssystemen kann dies laut Fischmann sogar so weit führen, dass Patienten mit schweren Leiden leben müssen oder gar sterben, weil eine medizinische Behandlung aufgrund hoher Kosten nicht durchgeführt werden kann.
Dies könnte vermieden werden, indem erst gar keine fehlerhaften und damit angreifbaren Patente erteilt werden. Das hält Fischmann in der Praxis jedoch nicht für machbar, denn es würde eine noch intensivere Prüfung von Patentanträgen und damit noch längere Verfahren nach sich ziehen. Außerdem würden dadurch Erfindungen mit zweifelhaftem Schutz länger geschützt.
Stattdessen plädiert der Rechtsexperte dafür, fehlerhaft erteilte Patente vermehrt durch Einspruchsverfahren oder Nichtigkeitsverfahren zu korrigieren. Dazu müssten jedoch größere rechtliche Anreize zur Einleitung solcher Verfahren geschaffen werden. Die Gerichte ihrerseits sollten dafür sorgen, dass Personen und Einrichtungen, die aufgrund der Pharmaabsprachen einen Schaden erlitten haben, angemessenen Ersatz erhalten. Die gerichtlichen Verfahren sollten laut Fischmann zudem vom Gesetzgeber beschleunigt werden. Schließlich spricht er sich auch dafür aus, Zertifikate einzuführen, die Informationen darüber geben, welche Patente gründlich überprüft wurden und welche nicht. Auf diese Weise gäbe es weniger Ungewissheit über die Qualität von Patenten.
Millionenschwere Bußgelder
Doch auch ohne solche Maßnahmen sanktionieren die Kartellbehörden bereits heute Reverse Payments. Für die betroffenen Unternehmen ist dies oftmals schmerzhaft, denn die Bußgelder summieren sich teilweise auf mehrere hundert Millionen Euro. Darüber hinaus können Personen oder Sozialleistungsträger, die wegen solcher Vereinbarungen einen Schaden erlitten haben, Schadensersatz verlangen.
So hat die Europäische Kommission im Dezember 2013 dem US-Konzern Johnson & Johnson ein Bußgeld von 10,8 Mio. EUR und der Schweizer Novartis von 5,5 Mio. EUR auferlegt, weil die Unternehmen einen Generikahersteller im Rahmen eines Co-Promotion Agreements bezahlt hatten. Damit sollte der Markteintritt eines Generikums des Schmerzmittels Fentanyl verzögert werden.
In einem anderen Fall leitete die Kommission Im April 2011 ein Verfahren gegen den Originalhersteller Cephalon und das Generikaunternehmen Teva ein. Ursache war ein Vergleichsvertrag, der einen gerichtlichen Streit zwischen Cephalon und Teva in den USA gütlich beilegte. Nach dieser Vereinbarung verpflichtete sich Teva unter anderem zur Nichtvermarktung von Generika mit dem Wirkstoff Modafinil. Zudem wurde vereinbart, dass Teva mehrere weltweite Lizenzen, die die Herstellung, die Entwicklung sowie einige Formulierungen von Modafinil betrafen, an Cephalon übergab. Außerdem sollte Teva Cephalon mit Modafinil beliefern. Als Gegenleistung erhielt Teva mehrere Dutzend Millionen Dollar.
Teurer Deal für Lundbeck
Im Fall des dänischen Pharmakonzerns Lundbeck nahm die EU-Kommission gleich sechs Vereinbarungen unter die kartellrechtliche Lupe, die das Unternehmen mit den Generikaherstellern Merck, Arrow, Alpharma und Ranbaxy geschlossen hatte. Insgesamt zahlte Lundbeck an diese Firmen rund 66,8 Mio. EUR, damit diese ihre Citalopram-Generika, ein Antidepressivum, für eine vereinbarte Zeit nicht vermarkten.
Der Deal kam Lundbeck am Ende teuer zu stehen. Denn die EU-Kommission verhängte ein Bußgeld von etwas mehr als 146 Mio. EUR, wobei allein die Strafe für Lundbeck mehr als 93 Mio. EUR betrug. Die Entscheidung der EU-Kommission wurde vor einiger Zeit vom Europäischen Gericht (EuG) bestätigt, ist allerdings noch nicht rechtskräftig, da die betroffenen Unternehmen sie vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anfechten können.
Fischmann kommt zu dem Ergebnis, dass Reverse Payments kartellrechtlich noch härter sanktioniert werden sollten. Das, so seine Hoffnung, könnte auf potenzielle Nachahmer abschreckend wirken. Und für die Pharmahersteller würde es damit richtig teuer werden.
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