Wireless HART im Praxistest
Hält kabellose Datenübertragung, was sie verspricht?
In vielen industriellen Anwendungen ist das Verlegen von Kabeln für die Datenkommunikation nicht oder nur mit unwirtschaftlich hohem Aufwand möglich. Funklösungen stellen eine echte Alternative dar, der neue Wireless-HART-Standard findet in vielen Fällen einen idealen Anwendungsbereich. Wie macht sich die neue Technik in der Praxis und wie verläuft die Integration in ein vorhandenes Prozessleitsystem?
In einer bekannten Mineralölraffinerie werden jährlich große Mengen Rohöl zu hochwertigen Mineralölprodukten wie Benzin, Diesel, Heizöl, Propylen und Bitumen veredelt. In der aktuellen Ausbaustufe sind die eingesetzten Lagertanks mit einer Füllstandsüberwachung ausgestattet, die an eine fehlersichere HIMA-Steuerung angekoppelt ist. Damit die Mischung des Rohöls in den Lagertanks homogen bleibt, halten Rührwerke im unteren Bereich der Tanks den Rohstoff ständig in Bewegung. Fällt der Füllstand unter einen bestimmten Wert, werden die Rührwerke automatisch abgeschaltet.
Der Zustand der der Mixerlager und deren Dichtungen werden turnusmäßig überprüft - bei der Weitläufigkeit des Geländes und der Anzahl der Tanks eine zeitaufwendige Tätigkeit, die außerdem keine permanenten und absoluten Messwerte liefert. Daher sollte nun diese Überprüfung durch eine Lösung mit kombinierten Vibrations- und Temperatursensoren für die Motorüberwachung sowie einer Füllstandsmessung für den Ölbehälter der Lagerdichtung unterstützt werden. Die dabei ermittelten Messwerte müssen in regelmäßigen Abständen an eine zentrale Steuerung übertragen werden. Anhand kontinuierlicher Schwingungs- und Temperaturmessungen am Motor kann man dann auf den Zustand des Antriebs schließen. Undichtigkeiten am Lager können über die Füllstandsmessung am Ölbehälter der Lagerdichtung frühzeitig erkannt werden. All diese Informationen erhöhen die Sicherheit und Verfügbarkeit. Überraschende Ausfälle der Rührwerke lassen sich somit vermeiden. Instandhaltung wird nicht nur besser planbar, sondern auch zustandsorientiert ausgeführt.
Wirtschaftliche Alternative zum Kabel
Die wesentliche Herausforderung war es, eine geeignete Datenübertragung von den Sensoren an den Tanks zur Leitwarte zu finden. Das Verlegen von Kabeln war aufgrund der Weitläufigkeit des Areals und der Beschaffenheit des Untergrunds im Tankbereich unwirtschaftlich, weshalb eine Funklösung gefragt war. Die Wahl für die Übertragung der Sensordaten fiel auf den Wireless-HART-Standard, der in dieser Anwendung unter anderem durch die schnelle Inbetriebnahme, Unempfindlichkeit gegen Interferenzen und hohe Zuverlässigkeit überzeugt. Mit Planung, Funkmessung und Testaufbau des Funknetzwerks sowie dessen Inbetriebnahme beauftragt wurden die Automatisierungsexperten von Rösberg Engineering. Weil zum Projektstart im Juni 2008 die endgültige HART 7.0-Version, die unter anderem den Wireless-HART-Standard spezifiziert, noch nicht endgültig feststand, wurde im Projekt mit Komponenten entsprechend der vorläufigen Spezifikationen gearbeitet.
Das leistet Wireless HART
Bei Wireless HART handelt es sich um ein Meshed Network, das sich selbst aufbaut und repariert. Damit das möglich ist, müssen die einzelnen Geräte über Eigenintelligenz verfügen. Jedes Feldgerät im Netzwerk muss daher Nachbargeräte aufspüren, Synchronisations- und Frequenz-Hopping-Informationen austauschen und seine eigene Signalstärke überwachen können. Gleichzeitig sind alle Geräte im Netzwerk in der Lage, Daten zu senden und zu empfangen oder als Repeater Daten zwischen zwei zu weit voneinander entfernten Geräten weiterzureichen. Aufgrund der vermaschten Netzwerkstruktur bietet Wireless HART fast zwangsläufig Redundanz. Fällt ein Gerät aus, wählen die Informationen automatisch einen anderen Weg im Netzwerk, was die Ausfallsicherheit deutlich erhöht. Trotzdem gibt es in einem solchen Netzwerk naturgemäß immer „Engstellen", wie beispielsweise die Verbindung vom letzten Feldgerät zum Gateway. Damit hier kein Single Point of Failure (SPOF) entsteht, ist bei der Netzwerkplanung darauf zu achten, dass mehrere Feldgeräte direkten Funkkontakt zum Gateway haben.
Lucas Tscherter hat im Rahmen des Projekts seine Diplomarbeit bei Rösberg erstellt. Er erläutert die Vorgehensweise bei der Planung eines Wireless-HART-Netzwerks: „In der Regel ist die Position für das Gateway vorgegeben, an dem alle Sensordaten zusammengeführt werden. Denn hier müssen Leitungen für Stromversorgung und für die Datenübertragung zum Leitsystem vorhanden sein. Also bildet das Gateway den Ausgangspunkt der ganzen Netzwerkplanung." Softwaretools unterstützen dann das weitere Vorgehen. Hier können zum Beispiel Landkarten oder Lagepläne eingelesen und mit einem Maßstab versehen werden. Nach Eintragen der Position der Funksender sowie Position und Größe der Störobjekte prüft die Software die Funkabdeckung im gesamten Bereich des Netzwerks. „Im nächsten Schritt haben wir dann vor Ort einen Testaufbau gemacht", berichtet Tscherter weiter. „Dabei wurde deutlich, wie einfach das Errichten eines Wireless-HART-Netzwerkes auch in der Praxis funktioniert. Aufbauen des Gateways, Platzieren der vier Testsensoren und Einrichten des Testaufbaus haben nicht einmal eine Stunde gedauert."
Zuverlässige Kommunikation gefragt
Die Funkübertragung bei Wireless HART basiert auf dem lizenzfreien drahtlosen ISM-Band (Industrial, Scientific and Medical Band). Dabei muss die Kommunikation zwischen den Messsensoren im Feld und dem Gateway auch dann noch störungsfrei funktionieren, wenn durch temporäre Hindernisse, wie zum Beispiel Fahrzeuge, einzelne Sender abgeschattet werden oder andere Geräte im näheren Umfeld ebenfalls die gleichen Sendefrequenzen nutzen. Um die Funktionssicherheit zu gewährleisten, verwendet Wireless HART als Übertragungsverfahren TDMA (Time Division Multiple Access), was bedeutet, dass der Datenaustausch zwischen den einzelnen Teilnehmern in exakt vorgegebenen Zeitfenstern stattfindet. So lassen sich Kollisionen bei der Datenübertragung vermeiden. Gleichzeitig wird dank Frequenz Hopping Spread Spectrum (FHSS) die gleiche Trägerfrequenz immer nur für kurze Zeiträume verwendet, was die Störsicherheit ebenfalls deutlich erhöht. Schließlich vermeidet auch DSSS (Direct Sequenz Spread Spectrum) Interferenzen. DSSS ist ein Frequenzspreizverfahren, bei dem das Ausgangssignal mit einer Bitfolge gespreizt und somit unempfindlicher gegen schmalbandige Störung wird. Sowohl mit FHSS als auch DSSS lassen sich zudem Nachrichten vor „Mithörern" verstecken. „Beim Testaufbau haben wir unter anderem auch Störquellen simuliert und dabei am Gateway die Signalstärken der einzelnen Sender überwacht", berichtet Tscherter. „Dabei konnten wir keine Probleme feststellen. Auch die Abschirmung eines der Sensoren, die direkten Sichtkontakt zum Gateway haben, hat die Kommunikation nicht behindert. Die Daten haben sich dann einfach einen anderen Weg im vermaschten Kommunikationsnetz zum Gateway gesucht."
Da nicht nur die Datenübertragung, sondern auch die Stromversorgung kabellos sein muss, ist ein geringer Energieverbrauch der Netzwerkteilnehmer wichtig. Auch hier ist das zeitschlitzbasierte Sendeverfahren vorteilhaft: In den für die Kommunikation definierten Zeiten können die Feldgeräte senden, empfangen oder Nachrichten anderer Teilnehmer weiterleiten. In der restlichen Zeit schalten sie in einen „Schlummermodus", in dem fast keine Energie benötigt wird. „Je nachdem, wie stark ein Feldgerät im Kommunikationsnetz frequentiert ist, lassen sich Batterielebensdauern von mehreren Jahren erzielen", erläutert Tscherter.
Integration ins vorhandene Prozessleitsystem
Ein wesentlicher Teil des Projektes war neben Planen und Realisieren des Wireless-HART-Netzwerks natürlich auch dessen Anbindung an die vorhandene Systemumgebung. Die vom Wireless HART Gateway empfangenen Signale werden zur Verarbeitung über Modbus an eine HIMA-Steuerung geleitet und von da aus an das vorhandene Prozessleitsystem (Honeywell TDC3000). In der zentralen Leiwarte stehen die Daten somit zur Kontrolle und Visualisierung bereit. Über eine Asset-Management-Software (ASM) lassen sich die Feldinstrumente konfigurieren und kalibrieren sowie das Wireless-HART-Netzwerk verwalten. Zur Anbindung der AMS wird das Gateway per Ethernet an das vorhandene anlagenweite IT-Netzwerk angebunden. Die auf einem virtuellen Server installierte Software kann dann von nahezu jedem beliebigen PC-Arbeitsplatz mit Netzwerkanbindung und den entsprechenden Nutzerrechten aufgerufen werden. Auf die Daten der bereits existierenden Füllstandsüberwachung muss die Steuerung sofort reagieren. Bei den Wireless-HART-Sensordaten kann dagegen aufgrund der Funkübertragung keine Fehlersicherheit garantiert werden. Daher liegt hier der Schwerpunkt auf der Monitoring-Funktion, sprich der Informationsgewinnung zum Anlagenzustand.
„Die komplette Planung und der Testaufbau mit zwei Tanks stehen jetzt also", sagt Tscherter abschließend. „Nun will der Anlagenbetreiber im Alltagsbetrieb einige Zeit testen, ob das neue System hält, was es verspricht. Anschließend sollen dann die restlichen Lagertanks mit den Wireless-HART-Sensoren ausgerüstet ins Funknetzwerk integriert sowie an die Steuerung vor Ort und ins zentrale Prozessleitsystem eingebunden werden. Wir haben alles vorbereitet, damit sich diese Umrüstung innerhalb kurzer Zeit realisieren lässt, sobald die Entscheidung dazu gefallen ist."