Prof. Dr.-Ing. Raimund Klinkner (BVL): Gefühlte Unsicherheit wirft lange Schatten
Kommentar
Die deutsche Volkswirtschaft mit ihrer 2011 außerordentlich guten Sonderkonjunktur geht in einer wirtschaftlich vernetzten Welt offenbar schwereren Zeiten entgegen. Die Unternehmen des international agierenden Wirtschaftsbereichs Logistik reagieren sensibel auf die wirtschaftliche und politische Entwicklung. Die gefühlte Unsicherheit, die sich schon im dritten Quartal bemerkbar machte, wirft in der November-Umfrage des Logistik-Indikators für das vierte Quartal einen langen, dunklen Schatten.
Gegenüber dem Vorquartal brechen die Geschäftserwartungen für die Zukunft ein und liegen nur noch knapp oberhalb der neutralen Marke. Anders die Lageeinschätzung. Sie zeigt sich deutlich oberhalb des Erwartungswertes im expansiven Bereich. Der Gesamtindikator schwingt sich zum Jahresende 2011 auf dem hohen Niveau von Anfang 2010 ein. Damals waren allerdings die Lage- und die Erwartungseinschätzungen von Optimismus geprägt.
Die Frage ist: Wird das Momentum der deutschen Sonderkonjunktur 2012 nachwirken oder steht eine weitere Krise der Realwirtschaft bevor? Dramatische Signale gibt es z.B. aus der Containerschifffahrt, in der aufgrund von Überkapazitäten, verminderten und unpaarigen Warenströmen, Preisverfall und Währungsturbulenzen existenzgefährdende Szenarien bittere Realität werden. Bei nahezu allen anderen Logistikdienstleistern werden immer noch Sachkapazitäten aufgebaut und Personal eingestellt. Die Kapazitätsauslastung in Industrie und Handel wird als relativ hoch angegeben. Noch ist die Nachfrageentwicklung steigend - wenn auch mit niedrigeren Werten als in den Vorquartalen.
Die Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren nach Kräften gegen die Krise gestemmt, hat Abläufe optimiert und Kosten gesenkt. Doch sie braucht stabile Rahmenbedingungen, um nachhaltiges Wachstum zu generieren. Diese sind - zumindest gefühlt - derzeit nicht in vollem Umfang gegeben. Die Unternehmen spüren folglich eine Erosion ihrer Erfolgsbasis: verlässliche Wirtschafts-, Fiskal- und Währungspolitik, stabile Preise, Vertrauen.
Die Bundesregierung und die Akteure auf europäischer Ebene sind gefordert, bewährte Grundsätze der Stabilitätspolitik nicht aufs Spiel zu setzen. Rund 60 % der Befragten sehen die ökonomische Stabilität Deutschlands durch den Prozess der fortwährenden Aufstockung von Rettungspaketen und den sich daraus ergebenden Garantiepflichten gefährdet. Hier Klarheit zu schaffen, würde die langen Schatten der Unsicherheit auflösen.