Dr. Thomas Trümper, Anzag: Arzneimittel aus dem Konsignationslager
Pharmagroßhandel entwickelt Modell zur Neuausrichtung des Vertriebs - Schnell, sicher und kostengünstig
Noch ist der pharmazeutische Großhandel in Deutschland Drehscheibe zwischen 21.500 Apotheken und rund 1.500 Arzneimittelherstellern. Doch die Margen der Branche geraten zunehmend unter Druck. Allein in den vergangenen vier Jahren sank das operative Ergebnis im Pharmagroßhandel um rund zwei Drittel. Die Ursachen dafür sind vielschichtig: Der steigende Marktanteil niedrigpreisiger Arzneimittel - bedingt durch die Eingriffe des Gesetzgebers - sowie die zunehmende Direktbelieferung durch die Pharmahersteller tragen dazu bei. Wie will der Pharmagroßhandel vor diesem Hintergrund seine Wettbewerbsfähigkeit sichern? Wie wird er sich in der Supply Chain zwischen Apotheker und Hersteller positionieren? Dr. Andrea Gruß befragte dazu Dr. Thomas Trümper, Vorstandsvorsitzender der Anzag und Vorsitzender des Bundesverbandes der pharmazeutischen Großhändler (Phagro).
Noch in diesem Jahr könnte der Europäische Gerichtshof darüber entscheiden, ob das Fremd- und Mehrbesitzverbot für Apotheken fällt. Wie wird sich dies auf die Situation des deutschen Pharmagroßhandels auswirken?
Dr. T. Trümper: Gleich, ob es zu dieser Entscheidung kommt und wie sie ausfallen wird - der Wettbewerb im deutschen Arzneimittelmarkt wird sich insgesamt weiter verschärfen, auch für uns pharmazeutische Großhändler. Der Markt in Deutschland ist weiterhin sehr nervös und der Wettbewerb zwischen den Pharmagroßhändlern heftig. Angesichts der anstehenden und möglichen Veränderungen machen wir uns natürlich Gedanken, wie wir unser Geschäftsmodell weiter entwickeln können. Dabei ist uns eines klar: Als Bindeglied zwischen Herstellern und Apotheken werden wir in Zukunft nur dann Erfolg haben, wenn wir den Erfolg unserer Marktpartner - der Hersteller und der Apotheken - wirkungsvoll unterstützen. Dabei sind wir auch bereit, neue Wege zu gehen.
Was leistet der Pharmagroßhandel heute?
Dr. T. Trümper: Der Großhandel hat ein Mikrologistiksystem aufgebaut, das in der Handelslandschaft weltweit seinesgleichen sucht: In unseren Niederlassungen dauert es durchschnittlich 45 Minuten von der Übermittlung des Auftrages bis zur Bereitstellung für die Auslieferung, in eiligen Fällen erledigen wir das sogar in nur 15 Minuten.
Der Großhandel übernimmt eine Bündel- und Trichterfunktion: So bleibt es der Apotheke erspart, täglich über 100 Bestellungen einzeln an verschiedene Hersteller mit verschiedenen Adressen aufzugeben. Auch betriebsinterne Prozesse im Apothekenbetrieb werden heute bereits vom Großhandel übernommen.
Die Ware über den pharmazeutischen Großhandel zu beziehen, ist für die Apotheke der effizienteste und kostengünstigste Weg. Das hat eine Studie des Instituts für Pharmakoökonomie und Arzneimittellogistik an der Hochschule Wismar bestätigt: Was die Prozesskosten in der Apotheke angeht, ist der Einkauf beim Großhandel am günstigsten, der Direkteinkauf dagegen verursacht durchweg deutlich höhere Prozesskosten.
Und dennoch steht der Pharmagroßhandel, ähnlich wie die Apotheke, verstärkt in der Diskussion...
Dr. T. Trümper: Diese Diskussion über die Zukunft des Distributionssystems für Arzneimittel ist nach wie vor leider stark durch Unkenntnis geprägt - und meiner Meinung nach teilweise durch Wunschdenken. Das Feld bereiten - wie in solchen Situation üblich - Unternehmensberatungen, die ein gutes Geschäft wittern.
Der pharmazeutische Großhandel sorgt dafür, dass die Produkte aller Hersteller flächendeckend in Deutschland erhältlich sind. Im Einzelnen heißt das: Der Pharmagroßhandel sichert allen Teilnehmern den Zugang zum Arzneimittelmarkt und ermöglicht damit erst den Wettbewerb.
Als Drehscheibe in der Arzneimitteldistribution gewährleistet der Großhandel gemeinsam mit den Apotheken die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit einem Vollsortiment aus Arzneimitteln. Doch jetzt steht die Arzneimittelversorgung, wie wir sie kennen, auf der Kippe. Denn für den Pharmagroßhandel wird es immer schwieriger, die Versorgung der Apotheke mit Arzneimitteln in der gewohnten Qualität und über das gesamte Sortiment von 280.000 Produkten aufrechtzuerhalten.
Wodurch wird die Versorgung gefährdet?
Dr. T. Trümper: Das operative Ergebnis des pharmazeutischen Großhandels ist in den vergangenen vier Jahren um rund zwei Drittel zurückgegangen. Denn die in der Arzneimittelpreisverordnung vorgesehene Mischkalkulation aus hochpreisigen und niedrigpreisigen Arzneimitteln ist aus der Balance geraten. Vor allem zwei Entwicklungen gefährden diese Mischkalkulation - und damit auskömmliche Margen im Großhandel: Zum einen haben die Eingriffe des Gesetzgebers dazu geführt, dass die Hersteller bei zahlreichen Produkten die Preise gesenkt haben und dass verstärkt niedrigpreisige Arzneimittel abgegeben werden. Der zweite Grund ist die zunehmende Direktbelieferung vor allem bei hochpreisigen Artikeln. Mittlerweile liegt der Anteil der Direktbelieferung in Deutschland bei mehr als 17% - dieser Anteil hat sich in nicht einmal 10 Jahren mehr als verdoppelt und ist der mit Abstand höchste Wert in Europa.
Einige Hersteller liebäugeln mit einer Direct-to-Pharmacy-Distribution (DTP), bei dem der Großhandel nicht länger selbstständiger Händler, sondern, wenn überhaupt, nur noch weisungsgebundener Logistikdienstleister wäre. Die Pharmaunternehmen begründen dies u.a. mit einer höheren Arzneimittelsicherheit. Zu Recht?
Dr. T. Trümper: Die pharmazeutischen Hersteller sind der Ansicht, dass das bestehende Distributionssystem nicht in der Lage ist, das massive Eindringen von Arzneimittelfälschungen zu verhindern. Dem Großhandel wird sogar vorgeworfen, derartigen Entwicklungen Vorschub zu leisten. Diesen Vorwurf möchte ich klar zurückweisen. Mit unseren zertifizierten Versorgungsketten tragen wir maßgeblich zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit bei.
Wenn jemand Löcher ins System reißt, dann sind das nicht die etablierten Großhändler, sondern Zwischenhändler, die außerhalb der bewährten Vertriebsstrukturen agieren, und der illegale Internethandel. Das hat das Bundeskriminalamt unlängst in einer Studie festgestellt. Werden die Medikamente hingegen über den klassischen Distributionsweg Hersteller-Großhandel-Apotheke ausgeliefert, ist die Zahl der Fälschungen verschwindend gering. Seit 1996 wurden nur 33 Fälle von Arzneimittelfälschungen bekannt, davon zwei mit Wirkstofffälschungen.
Die Pharmahersteller argumentieren auch mit den Kostensenkungen, die das DTP-Modell mit sich bringe. Lassen sich die Transaktionskosten im Vertrieb durch DTP senken?
Dr. T. Trümper: Durch die Maßnahmen des Gesetzgebers sind auch die Hersteller unter verstärkten wirtschaftlichen Druck geraten; sie suchen nun verständlicherweise nach Lösungen, um ihre Erträge zu sichern.
Auf der Distributionsschiene Hersteller-Großhandel-Apotheke laufen derzeit europaweit 28 Mrd. Transaktionen pro Jahr. Das hört sich nach viel an, das ist auch viel. Wenn all diese Bestellungen und Auslieferungen nicht durch den Großhandel gebündelt, sondern direkt zwischen Herstellern und Apotheken abgewickelt werden müssten, würde die Zahl der Transaktionen von 28 Mrd. Transaktionen auf sage und schreibe 528 Mrd. im Jahr empor schnellen - dass ist fast 19 mal so viel, und jede Transaktion kostet Geld.
Ohne Großhändler müsste eine Apotheke täglich über 100 Bestellungen einzeln an verschiedene Hersteller aufgeben und jede der Lieferungen im Wareneingang in Empfang nehmen. Personalintensive Abrechnungen müsste von den Apotheken selbst abgewickelt werden. Und die Hersteller müssten täglich tausende Bestellungen aufnehmen und an die rund 21.500 Apotheken ausliefern - ein nahezu aussichtsloses Unterfangen.
Die Kosten für die Mehrzahl der Hersteller wie auch für die Apotheken würden sich drastisch erhöhen - Mehrkosten, die letztendlich die Verbraucher u.a. über ihre Krankenkassenbeiträge zahlen müssten.
Zwar mag es für einige wenige internationale Hersteller günstiger sein, wenn sie ihre Produkte direkt in die Apotheke liefern. Aber die Pharmabranche ist nun mal - vor allem auch in Deutschland - mittelständisch strukturiert. Für die kleinen und mittleren Hersteller wäre die Zerstörung des derzeitigen Distributionssystems verheerend.
Ein weiteres Ziel der Pharmahersteller ist es, durch DTP mehr Transparenz in der Lieferkette zu schaffen. Was haben Sie hier zu entgegnen?
Dr. T. Trümper: Offen gestanden: dies Argument lässt sich nicht ganz von der Hand weisen. Hier besteht also Handlungsbedarf: Das aktuelle Distributionsmodell bietet dem Hersteller hinsichtlich der Daten und ihrer Auswertung nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten. Das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung hat hier die Spielräume noch einmal eingeschränkt. Dies wollen die Hersteller nicht hinnehmen, das ist durchaus nachvollziehbar: Sie wollen wissen, wo sich ihre Produkte wann befinden und in welchen Mengen sie verkauft werden. Das ist wichtig, wenn Sie zum Beispiel ihre Produktionsplanung optimieren und die Kosten senken wollen. Und auch bei der Vereinbarung und Erfüllung der Rabattverträge sind die Hersteller auf umfangreiche Marktdaten angewiesen.
Wir haben vor diesem Hintergrund einen Vorschlag erarbeitet, der unserer Ansicht nach die Interessen aller Marktpartner berücksichtigt - ohne dass die Vorteile, die unser Distributionssystem für alle Seiten mit sich bringt, aufgegeben werden müssen.
Wie sieht Ihr Vertriebsmodell aus?
Dr. T. Trümper: Herzstück des von uns „Kombi-Modell" getauften Vorschlags sind Konsignationslager - das sind virtuelle Lager, die der Großhandel für die pharmazeutischen Hersteller einrichtet und verwaltet. Dort werden die Arzneimittel einer eigenen Bestandsführung unterworfen, das ermöglicht jederzeit die Feststellung und Individualisierung des Lagerbestands.
Die im Lager befindlichen Arzneimittel bleiben dabei zunächst Eigentum des Herstellers. Erst bei Entnahme der Ware aus dem Lager gehen die Arzneimittel in das Eigentum des Großhändlers über. Dieser kann die Bestellung dann in seiner normalen Großhandelsfunktion an die Apotheke ausliefern. Dieses Modell macht es möglich, dass der Großhändler wie gehabt die Bestellungen der Apotheke entgegen nimmt, ebenso kümmert er sich wie bisher um die Retouren. Für die Apotheke bleibt der Großhandel dabei der primäre Ansprech- und Versorgungspartner.
Der Großhandel bleibt als Mittelglied in der Distributionskette bestehen und kann weiterhin die Bestellungen und Belieferungen bündeln - so bleiben die Transaktionskosten niedrig. Die Großhändler stehen weiterhin im Wettbewerb untereinander und behalten die dafür notwendige unternehmerische Betätigungsfreiheit.
Welche Vorteile bringt dies für die Kunden des Pharmagroßhandels?
Dr. T. Trümper: Für die pharmazeutischen Hersteller ergäben sich in diesem alternativen Modell ganz neue Möglichkeiten: Sie haben das Recht, jederzeit eine Besichtigung der Konsignationslager durchzuführen, sie aufzulösen und Konsignationsware zurückzunehmen. Dies berücksichtigt das berechtigte Interesse der pharmazeutischen Hersteller nach mehr Transparenz innerhalb der Distributionskette, und dies ohne zusätzliche Logistikkosten.
Auch die Apotheken profitieren vom Kombi-Modell. Sie können weiterhin die gesamte Leistungsfähigkeit des Großhandels nutzen, dies ist unverzichtbar für die Erfüllung des gesetzlichen Versorgungsauftrages. Außerdem bleiben ihnen die bislang üblicherweise vom Großhandel eingeräumten Konditionen erhalten. Und nicht zuletzt profitieren die Patienten: Sie werden über die Apotheken weiterhin auf optimalem Leistungsniveau mit allen Arzneimitteln versorgt, die sie benötigen - schnell, sicher und kostengünstig.