Chemiekonjunktur: Europas Chemieindustrie ist verhalten optimistisch
26.11.2010 -
Schneller als erwartet hat die Weltwirtschaft ihre schwerste Krise seit dem zweiten Weltkrieg überwunden. Der Optimismus ist in die Chefetagen der Unternehmen und in die Köpfe vieler Konsumenten zurückgekehrt. Gestützt auf eine extrem expansive Geld- und Fiskalpolitik haben sich in nahezu allen wichtigen Volkswirtschaften die Auftriebskräfte durchgesetzt. Bruttoinlandsprodukt und Industrieproduktion stiegen vielerorts dynamisch. Hiervon profitierte auch das europäische Chemiegeschäft.
Seit dem Tiefpunkt der Krise konnte die Chemieproduktion in der Europäischen Union (EU) wieder kräftig zulegen. Zur Euphorie besteht aber kein Anlass. Natürlich sind die Wachstumsraten in denen die aktuelle Lage mit dem Tiefpunkt der Krise verglichen wird imposant. Die Zahlen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass oftmals das Vorkrisenniveau trotz massiver Konjunkturprogramme noch lange nicht erreicht werden konnte. Das gilt besonders für die Industrieländer. Ein selbst tragender Aufschwung sieht anders aus. Hohe Staatsschulden zwingen nun zum Sparen. Erst 2011 wird sich zeigen, ob die Weltwirtschaft robust genug ist, aus eigener Kraft zu wachsen. Selbst wenn weitere Rückschläge ausbleiben, wird sich das Tempo der Erholung deutlich verlangsamen - auch in Europa (Grafik 1).
In der EU gibt es darüber hinaus große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Sie reichen von einer anhaltenden Rezession in Griechenland bis hin zu einer prosperierenden deutschen Volkswirtschaft. In diesem Umfeld ist es für die Zentralbanken, die Regierungen aber auch für die Unternehmen schwer, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Die Verunsicherung hält an.
Auslastung in der Chemieproduktion unter 80 %
Seit dem zweiten Quartal 2009 ging es mit der europäischen Chemieindustrie aufwärts. Zu Jahresbeginn 2010 setzte sich dieser Aufwärtstrend noch in hohem Tempo fort. Das Vorkrisenniveau wurde wieder erreicht. Ab dem zweiten Quartal ließ die Dynamik jedoch spürbar nach. Bisher vorliegende Zahlen für das dritte Quartal lassen den Schluss zu, dass die europäische Chemieproduktion im Vergleich zum Vorquartal stagnierte (Grafik 2). Nur im Vergleich zum Vorjahr fallen die Wachstumsraten weiterhin hoch aus.
Zwar produziert die europäische Chemieproduktion inzwischen wieder auf Vorkrisenniveau. Das gilt aber längst nicht für alle Chemiesparten. In der Grundstoffchemie, zu der neben den anorganischen Grundstoffen und den Petrochemikalien auch die Polymere zählen, steht nach wie vor jede zehnte Produktionsanlage still (Grafik 3). Etwas besser sieht es bei den Spezialchemikalien aus, die ihr Vorkrisenniveau derzeit nur noch um 4 % verfehlen. Dieses haben die Hersteller von Konsumchemikalien bereits wieder erreicht. Im Durchschnitt der genannten Chemiesparten fehlt noch 7 % bis zum Erreichen des alten Produktionsvolumens. Die Kapazitätsauslastung liegt immer noch unter 80 %. Man muss davon ausgehen, dass nicht alle Anlagen wieder hochgefahren werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die europäische Chemieindustrie nicht alle Mitarbeiter hat halten können. Wachstum gab es seit Anfang 2008 allein in der Pharmasparte. Die europäische Pharmaproduktion konnte seither um mehr als 9 % ausgedehnt werden.
Chemikalienpreise unter Druck
Mit der raschen Erholung im europäischen Chemiegeschäft fiel es den Unternehmen zunächst leicht, die gestiegenen Rohstoffpreise an die Kunden weiter zu geben. Seit Sommer 2009 kletterten daher die Chemikalienpreise. Niedrige Lagerbestände bei Fertigwaren bei gleichzeitig stark steigender Nachfrage nach Chemikalien haben den Preisauftrieb verstärkt. Vom Preisniveau des dritten Quartals 2008 ist die Branche aber weiterhin ein ganzes Stück entfernt. Damals schlugen die hohen Ölpreise von rund 140 US-$ je Barrel auf die Chemikalienpreise durch. Im dritten Quartal 2010 konnten die Chemikalienpreise trotz hoher Rohstoff- und Energiekosten gegenüber den vorangegangenen drei Monaten kaum noch zulegen. Die Kunden akzeptierten nicht mehr jeden Preis. In der Petrochemie sanken bereits die Margen. Die Chemikalienpreise geraten unter Druck.
Europäisches Auslandsgeschäft wächst
Angesichts einer guten Mengen- und Preisentwicklung konnten die europäischen Chemieunternehmen im bisherigen Jahresverlauf ihre Umsätze von Quartal zu Quartal steigern. Allerdings ist auch hier ein Nachlassen der Dynamik zu erkennen (Grafik 5). Im dritten Quartal stieg die Chemikaliennachfrage nur noch leicht. Die Umsätze des entsprechenden Vorjahresquartals wurden mit fast 12 % zwar deutlich übertroffen. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im europäischen Chemiegeschäft ein Tempowechsel eingesetzt hat. Vor allem das Binnengeschäft enttäuschte. Trotz Belebung lag der inländische Absatz zuletzt immer noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau.
Besser sieht es beim Export aus. Das Auslandsgeschäft entwickelte sich im bisherigen Jahresverlauf mit einem Plus von mehr als 18 % deutlich besser als die innereuropäischen Verkäufe. Die konjunkturelle Erholung hatte in Asien zügig eingesetzt. Die Nachfrage nach EU-Chemikalien war entsprechend hoch. Aber nicht nur die asiatischen Länder fragten verstärkt Chemikalien aus Europa nach, auch die Exporte nach Lateinamerika und Afrika konnten im bisherigen Jahresverlauf deutlich zulegen.
Unsicherheit über weiteren Konjunkturverlauf
Im Herbst 2010 ist die Stimmung in der europäischen Chemie insgesamt gut. Rasch und dynamisch ließ die Branche den Tiefpunkt der Rezession hinter sich. Die Kennzahlen zeigen eine deutliche Erholung. Allerdings darf man nicht verkennen, dass davon nicht alle Sparten gleichermaßen profitieren konnten. In weiten Teilen des Chemiegeschäftes besteht kein Anlass zu übertriebenen Optimismus. Die Unsicherheit über die weitere Entwicklung ist groß. Die Unternehmen rechnen zwar nicht mit Rückschlägen, die weitere Erholung wird jedoch nur noch in kleinen Schritten erfolgen. In der europäischen Industrie steigt die Produktion nur noch moderat. Zudem verschiebt sich das Wachstum zunehmend in die weniger chemieintensiven Wirtschaftszweige. Die europäische Chemienachfrage wird daher nur noch moderat zulegen können. Auch auf vielen Auslandsmärkten dürfte die Dynamik in den kommenden Monaten nachlassen. Nach dem deutlichen Produktionsplus von rund 8 % im Jahr 2010 dürfte das Wachstum der europäischen Chemie im kommenden Jahr auf 2,5 % abschmelzen.
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