Fasern mit Funktion: Interview mit Dr. Karl-Gerhard Seifert und Stefan Messer
Frankfurter Unternehmer retten Trevira-Gruppe aus der Insolvenz
Die 1954 entwickelte Polyesterfaser Trevira ist eine Marke mit Tradition - und mit Zukunft. Davon sind Unternehmer und ehemaliger Hoechst-Manager Dr. Karl-Gerhard Seifert und Stefan Messer, Eigentümer und CEO des Industriegaseherstellers Messer, überzeugt. Gemeinsam wollen sie die Trevira-Gruppe aus der Insolvenz retten, zu einem profitablen Unternehmen entwickeln und so 1.450 der weltweit 1.800 Arbeitsplätze sichern. Durch die Übernahme kehrt das ehemalige Faser- und Filamentegeschäft des Hoechst-Konzerns wieder zurück in deutsche Hände. Im Jahr 2004 ging das Unternehmen für einen Kaufpreis von etwa 80 Mio. US-$ in den Besitz des indischen Faserherstellers Reliance Industries über, der im Juni 2009 Insolvenz für die Trevira-Gruppe anmeldete. Dr. Andrea Gruß sprach mit den Frankfurter Unternehmern über ihre Ziele.
CHEManager: Herr Seifert, wann haben Sie das erste Mal darüber nachgedacht, in Trevira zu investieren?
Dr. K.-G. Seifert: Das ist einige Jahre her. Im Jahr 2000 übernahm DB Investor, die Industriebeteiligungsgesellschaft der Deutschen Bank, Trevira vom indonesischen Großaktionär Marimutu Sinivasan. Zu dieser Zeit investierte ich als Privatmann gemeinsam mit Anthony Schweinzer in eine 10%-Beteiligung an Trevira. Danach ging das Unternehmen im Jahr 2005 komplett an den indischen Mischkonzern Reliance Industries. Als ich in diesem Jahr über die Insolvenzberatungen bei Trevira erfuhr, dachte ich erneut darüber nach, mich zu beteiligen. Bald darauf rief Herr Messer an und fragte: ‚Sie kennen doch die Trevira, wollen wir uns nicht gemeinsam mit dem Thema auseinandersetzen?‘
Das Fasergeschäft von Trevira zeigt auf den ersten Blick keine Synergien mit dem Geschäft der Messer-Gruppe. Was war Ihre Motivation für den Kauf, Herr Messer?
S. Messer: Synergien mit Messer gibt es in der Tat kaum. Es war eher unternehmerisches Interesse an einem mir sehr bekannten Unternehmen. Ich war wie Herr Seifert früher beim Hoechst-Konzern und kenne Trevira seit vielen Jahren. Es ist eine hervorragende Marke im Bereich der Polyesterfasern. Genau das hat mich interessiert. Trevira wurde zu Hoechst-Zeiten über lange Zeit erfolgreich betrieben, und wir sind der Meinung, dass das Geschäft auch in Zukunft erfolgreich sein kann.
Dennoch ist Trevira heute insolvent. Warum?
Dr. K.-G. Seifert: Ursache dafür sind über Jahre ausbleibende Investitionen kombiniert mit der aktuellen Wirtschaftskrise. Bernd Sassenrath, ehemaliger Geschäftsführer, und ich als damaliger Aufsichtsratvorsitzender der Trevira hatten bereits im Jahr 2003 einen Restrukturierungsplan für das Unternehmen entwickelt, der die Bereinigung des Produktportfolios und die Optimierung einiger Prozesse vorsah. Wir setzten große Hoffnungen in den neuen Eigentümer Reliance. Doch die notwendigen Investitionen blieben aus. Als dann im vergangenen Jahr noch die Wirtschaftskrise hinzukam und insbesondere die Lieferungen von Fasern in die Automobilindustrie einbrachen, war die Insolvenz nicht mehr abzuwenden.
Wie haben die Mitarbeiter Treviras auf Ihr Engagement reagiert?
S. Messer: Ich glaube, sie waren sehr positiv überrascht. Nach einem indonesischen Investor und einem indischen Eigentümer sind viele froh, dass sie jetzt wieder ‚Gesellschafter zum Anfassen‘ haben, die sie kennen, mit denen sie sprechen können und die auch in Deutschland gut vernetzt sind. Es gab eine Mitarbeiterversammlung, an der die Mitarbeiter der beiden großen Werke in Bobingen und Guben über eine Videokonferenz teilnahmen. Wir haben von Hattersheim aus die Belegschaft informiert, wie es aus unserer Sicht mit Trevira weitergeht.
Wie wird es weitergehen?
S. Messer: Die Kaufvereinbarung wurde Anfang August unterschrieben. Darin gibt es zwei Bedingungen für die Transaktion. Zum einen, dass wir ein positives Fortführungsgutachten bekommen. Dieses haben wir bei Ernst & Young in Auftrag gegeben. Die zweite Voraussetzung ist die Finanzierung. Hier sind wir im Gespräch mit den Ländern Bayern und Brandenburg, wo die beiden großen Trevira-Werke angesiedelt sind, und mit Banken und Sparkassen. Wahrscheinlich werden Landesbürgschaften mit in die Finanzierung einfließen. Derzeit verläuft alles positiv, und wir hoffen, dass wir Ende September den Kauf abschließen können.
Welche Teile von Trevira werden Sie übernehmen?
Dr. K.-G. Seifert: Wir übernehmen die Firma aus der Insolvenz, d.h., wir kaufen nur die Aktiva-Seite, die Passiva bleiben beim Insolvenzverwalter. Konkret werden wir die Standorte Bobingen, Guben und Hattersheim in Deutschland sowie den polnischen Produktionsstandort Zielona Góra übernehmen. In Bobingen übernehmen wir 601 Mitarbeiter, davon 26 Auszubildende, in Guben sind des 680 Mitarbeiter und 14 Auszubildende. Weltweit sollen insgesamt 1.450 der derzeit 1.800 Arbeitsplätze bei Trevira erhalten bleiben. Der Vertrieb und das Marketing sollen wie bisher aus dem Raum Frankfurt gesteuert werden.
Welche Teile verbleiben beim Insolvenzverwalter?
S. Messer: Die Standorte in Dänemark und Belgien übernehmen wir nicht. Am dänischen Standort wurde nur texturiert, also das Filament weiterbearbeitet. Außerdem gab es dort eine Färberei. Die Maschinen der Texturei haben wir übernommen und verlegen die Aktivitäten nach Polen. Die dänische Färberei bleibt beim Insolvenzverwalter. Diese Dienstleistung können wir ebenso in Polen von Dritten machen lassen.
Wie ist Trevira heute aufgestellt?
Dr. K.-G. Seifert: Trevira stellt jährlich 120.000t Stapelfasern und Filamentgarne aus Polyesterrohstoffen her. Dabei handelt es sich nicht um billige Polyesterfasern, wie sie heute in Indien, Indonesien oder China in großen Mengen produziert werden, sondern um echte Hightechfasern mit speziellen Zusatzfunktionen. Wohl am bekanntesten ist die Marke Trevira CS, inzwischen ein Synonym für schwer entflammbare Fasern, die in privaten Wohnhäusern ebenso eingesetzt werden wie in Hotels und Gastronomie oder der Luft- und Schifffahrt. Eine gute Polyesterfaser hat Eigenschaften wie Seide, dies belegt zum Beispiel Trevira Perform, eine Faser die auf 50km kein Knötchen bildet und daher von der Bekleidungsindustrie besonders geschätzt wird. Für spezielle Bikomponentenfasern werden Polyesterfasern mit Polyethylen umhüllt. Dies führt zu besonders guten Klebeigenschaften für Anwendungen in der Papierindustrie, für die Produktion hochwertiger Vliesstoffe. Dies sind nur einige von vielen Trevira-Spezialitäten.
S. Messer: Insgesamt gibt es zehn Untermarken von Trevira. Jede davon ist auf spezielle Anwendungen abgestimmt. Trevira-Fasern und -Garne sind pillarm, mikrofein, elastisch, atmungsaktiv, schwer entflammbar oder antimikrobiell, je nach Anforderung des Endprodukts. In vielen Fällen werden sogar mehrere Zusatzfunktionen in einer Faser vereint. Im Jahr 2008 entfielen 30% des Trevira-Umsatzes auf den Bereich Heimtextilien, dicht gefolgt vom Automobilbereich mit 27% und dem Bereich technische Fasern und Hygiene mit 25%.
Welche Ziele haben Sie sich für die Entwicklung von Trevira gesetzt?
Dr. K.-G. Seifert: Trevira ist eine notwendige Polyesterfaser, ein etablierter Name und eine gute Firma. Es wäre ein Jammer, wenn die Marke verschwinden würde. Unser Ziel ist es daher, das Unternehmen nach den mehrfachen Eigentümerwechseln in den vergangenen Jahren wieder erfolgreich zu machen. Sie dürfen sich keine Wunder versprechen, aber wenn es uns gelingt, den Marktanteil und die Qualität von Trevira zu halten oder zu verbessern, Komplexität aus dem Geschäft zu nehmen und Prozesse zu vereinfachen, dann ist die Zukunft von Trevira gesichert.
Die Geschäftsführer der neuen Trevira sind noch nicht benannt. Werden Sie eine operative Rolle im Unternehmen spielen?
Dr. K.-G. Seifert: Herr Messer, wollen wir das?
S. Messer: Am Anfang werden wir uns natürlich intensiv um Trevira bemühen. Wir kümmern uns darum, dass das Geschäft gut läuft und die Arbeitsplätze sicher sind. Dies werden wir wahrscheinlich über einen Gesellschafterausschuss oder im Aufsichtsrat tun, aber nicht im täglichen Geschäft - zumindest nicht mittel- oder langfristig.
www.trevira.de