Vorteilhafte Vielfalt
Standort Leuna profitiert von Diversifizierung
Die chemische Industrie in Deutschland hat eines der schwierigsten Jahre in ihrer Geschichte hinter sich gebracht. Der Einbruch der Chemieproduktion von über 10 % in 2009 gegenüber dem Vorjahr, der alle Geschäftsfelder erfasste, lässt sich nur mit dem Rückgang in der ersten Ölkrise vor 35 Jahren vergleichen. Dennoch gab es im vergangenen Jahr auch Lichtblicke. So wurden z.B. am Standort Leuna trotz Wirtschaftskrise wesentliche Investitionen umgesetzt oder bekannt gegeben. Welche das waren, was noch geplant ist und wie sich der Standort weiter entwickeln soll erläutert Andreas Hiltermann, Geschäftsführer von Infraleuna , gegenüber CHEManager.
CHEManager: Herr Hiltermann, der Chemiestandort Leuna konnte sich trotz wirtschaftlicher Krise positiv entwickeln. Welche Instrumente haben sich bewährt, um der Nachfrageschwäche zu begegnen?
A. Hiltermann: Natürlich ist die Wirtschaftskrise nicht spurlos am Chemiestandort Leuna vorbeigegangen, wobei nicht alle am Standort ansässigen Unternehmen in gleichem Umfang betroffen waren. Die Krise hat in den unterschiedlichen Branchen auch sehr differenzierte Auswirkungen. Einige Unternehmen verzeichneten Absatzeinbrüche von 20 bis 30 %, andere spürten die Auswirkungen weniger stark. Je nachdem in welchen Branchen die Firmen tätig sind, ob sie ihre Produkte mehr in den Automotive-, Consumer- oder Pharmabereich liefern, waren sie stark bis gar nicht betroffen.
Wie stellt sich die Situation aktuell dar?
A. Hiltermann: Ab Mitte letzten Jahres hat sich die Lage bei den meisten Unternehmen auf niedrigem Niveau stabilisiert und heute verzeichnen wir einen leichten Aufwärtstrend. Wir hoffen, dass sich die positive Entwicklung in diesem Jahr weiter fortsetzt. Aber wir sind immer noch nicht auf dem Niveau von 2007/2008. Die Rezession ist noch nicht überwunden.
Wie sieht die Bilanz 2009 speziell für die Infraleuna aus?
A. Hiltermann: Die Vielfalt des Standortes hat für uns als Betreiber der Infrastruktur den Vorteil, dass Schwankungen im Bedarf wesentlich besser abzupuffern sind als bei einer Monostruktur. Der sich bereits Mitte 2009 abzeichnende Anstieg der Leistungsanforderungen der Standortkunden hat sich im zweiten Halbjahr fortgesetzt. Dies spricht dafür, dass sich die negativen Auswirkungen der Krise auf die Unternehmen des Chemiestandortes Leuna abgeschwächt haben. Dadurch konnte die InfraLeuna das letzte Jahr mit einem relativ guten Ergebnis abschließen, das aber erwartungsgemäß unter dem des Jahres 2008 liegt.
Wie verliefen die bereits begonnenen Investitionsprojekte am Standort?
A. Hiltermann: Am Standort wurden fast alle begonnenen Investitionen weitgehend planmäßig realisiert. Dies betrifft z.B. den Neubau eines Düngemittellagers durch Domo Caproleuna, die Neuerrichtung einer Kondensationsturbine durch ILK InfraLeuna Kraftwerk, die Errichtung einer weiteren Anlage zur Herstellung von Katalysatoren durch KataLeuna Catalysts, den Produktionsstart der FP-Pigments. Die Total Raffinerie Mitteldeutschland hat ihre neugebaute Entschwefelungsanlage vorfristig Ende September in Betrieb genommen. Und eine Reihe von Projekten zur Ansiedlung und Erweiterung in unterschiedlichem Reifegrad werden derzeit von der InfraLeuna bearbeitet.
Welche Vorhaben stehen in diesem Jahr auf Ihrer Agenda?
A. Hiltermann: Für Mitte des Jahres ist der Start der Investition der Fraunhofer Gesellschaft, das Projekt „Chemisch-Biotechnologisches Prozesszentrum" zu erwarten. Wenn wir den Standort Leuna im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig sichern wollen, geht kein Weg an der Biotechnologie und den regenerativen Rohstoffen vorbei. Deswegen ist die Ansiedelung des CBP am Chemiestandort Leuna so wichtig.
Noch im ersten Halbjahr wird die 20-Mio.-€-Investition der InfraLeuna, die Fertigstellung der Kondensationsturbine, abgeschlossen und damit die Flexibilität und die Kostensituation für die Firmen im Bereich der energetischen Versorgung am Standort verbessert werden.
Wie schätzen Sie das Interesse von Investoren am Standort Leuna ein?
A. Hiltermann: Der Chemiestandort Leuna lockt nach wie vor Investoren aus der ganzen Welt, da er eine unter technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten überzeugende Gesamtlösung bietet und wir im Vergleich der Chemiestandorte Europas nicht nur wettbewerbsfähig sind, sondern eine Top-Platzierung einnehmen.
Welche Vision haben Sie für den Standort Leuna in zwanzig Jahren?
A. Hiltermann: Die Verwirklichung innovativer Projektideen wird mittelfristig dazu führen, dass sich Leuna vom hauptsächlich Commodity-orientierten Petrochemiestandort zu einem integrierten Commodity & Spezialitätenchemie-Standort, auch mit Orientierung auf Rohstoffversorgung aus Biomasse und heimischer Braunkohle, entwickeln wird. Ein weiteres Ziel ist es, dass wir den Anteil der Firmen mit höherer Wertschöpfung und modernster Technologie am Standort gegenüber dem derzeitigen Stand verdoppeln. Wenn wir allein auf Erdöl oder Erdgas setzen, ist zu bezweifeln, dass der Standort in 40 Jahren noch in der jetzigen Form besteht. Daher brauchen wir langfristig Alternativen, um die Chemieproduktion und Arbeitsplätze in Mitteldeutschland zu sichern.