Logistische Netzwerke dynamisch anpassen
Wie Logistiker trotz vieler Herausforderungen im internationalen Wettbewerb erfolgreich sein können
Die Liste an Herausforderungen für die deutsche Chemieindustrie ist lang. Unweigerlich mit davon betroffen ist auch die Chemielogistik. In CHEManager 10/2024 wurde die von Dachser Chem Logistics unterstützte Studie „Chemielogistik in Bewegung“ von den beiden Autoren Christian Kille, Professor für Handelslogistik und Operations Management an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS), und Andreas Backhaus, freier Dozent, vorgestellt. Die Studie analysiert die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen sowie Chancen für die Chemielogistik in Deutschland und gibt am Ende sechs Handlungsempfehlungen (Grafik). Birgit Megges befragte Autor Christian Kille und Michael Kriegel, Department Head Dachser Chem Logistics, zur besseren Einordnung der Empfehlungen und zu den Chancen in der Praxis.
CHEManager: Herr Kille, Ihre Handlungsempfehlungen zur Gestaltung der Chemielogistik geben keine konkreten Lösungsvorschläge. Wie sind sie zu verstehen?
Christian Kille: Die Chemieindustrie ist so heterogen, dass es für die breite Zielgruppe keinen Sinn macht, sehr konkrete Handlungsoptionen zu geben. Dafür sind zu viele Dimensionen zu berücksichtigen: Größe des Unternehmens, Wertschöpfungsstufe, Art der Güter beziehungsweise Produkte, Organisation der Logistik, internationale Vernetzung et cetera. Aus diesem Grund möchten wir mit den Handlungsempfehlungen vielmehr eine Struktur geben, auf deren Grundlage jedes Unternehmen selbst konkrete Ansätze erarbeiten kann.
Lassen Sie uns bei den Handlungsempfehlungen ins Detail gehen. Wie könnten Chemieunternehmen und Logistiker gemeinsam daran arbeiten, die Herausforderungen des Fachkräftemangels zu bewältigen?
C. Kille: Dazu möchte ich ein Beispiel geben: In der gesamten Logistikkette ist die Kapazitätsabstimmung ausbaubar, um es vorsichtig auszudrücken. So wie wir in einer anderen Studie herausgefunden haben, kann die Kapazität von Fachkräften enorm gesteigert werden, wenn sich Produktion und Vertrieb des Versenders mit dem Logistikdienstleister sowie mit der Beschaffung und Produktion des Kunden besser abstimmen. So würde weniger Fahrpersonal benötigt werden.
„Die logistischen Netzwerke sollten dynamisch angepasst werden, wenn sich die Anforderungen der Chemieindustrie verändern.“
Christian Kille, THWS
Welche Anpassungen der logistischen Netzwerke und Angebote halten Sie für absolut notwendig, um den Veränderungen im Chemiemarkt gerecht zu werden?
C. Kille: Logistik ist kundenorientiert – zumindest sollte das die Ausrichtung sein. Somit liegt es an ihr, das Angebot so zu gestalten, dass sie Chemieunternehmen bei der Transformation unterstützt und nicht behindert. Entsprechend sollten die logistischen Netzwerke dynamisch angepasst werden, wenn sich die Anforderungen der Chemieindustrie verändern. Genau das war auch das Ziel unserer Studie: verschiedene Entwicklungen aufzuzeigen, um die logistischen Strukturen entsprechend anpassen zu können.
Wie können Automatisierung und Digitalisierung in der Logistik die Resilienz und Leistungsfähigkeit der Chemiebranche steigern?
C. Kille: Auch hier sind die Möglichkeiten mannigfaltig. Der größte Hebel liegt aus meiner Sicht im Informationsfluss: Einerseits können zahlreiche administrative Prozesse automatisiert und damit die Leistungsfähigkeit gesteigert werden. Das Handling mit Papier oder auch nur die Notwendigkeit einer Person für manche Prozesse, kann in vielen Bereichen vermieden werden – egal ob in der Kundenkommunikation, der Disposition oder der Rechnungsbearbeitung. Andererseits unterstützt die Transparenz in der Lieferkette dabei, Kapazitäten besser auszulasten und auf ungeplante Veränderungen reagieren zu können und damit resilienter zu werden. Eine lückenlose Transparenz mit einer Strategie, die im Ernstfall zur richtigen Zeit greift, ist für ein professionelles Risk Management absolut notwendig.

Herr Kriegel, welchen Nutzen können Sie aus Sicht der Praxis aus den gegebenen Handlungsempfehlungen ziehen?
Michael Kriegel: Dachser hat sich ein Zielbild für das Jahr 2030 gesetzt, an dessen Erreichung alle Mitarbeitenden gemeinsam arbeiten. Den Weg zum Ziel gehen wir mit sieben Strategien, die sich unseren Geschäftsfeldern Road Logistics und Air & Sea Logistics sowie deren enger Verzahnung widmen. Dazu kommen übergreifende Entwicklungsthemen wie Digitalisierung, Klimaschutz und unsere Personalstrategie, die den Menschen in den Mittelpunkt des Logistikgeschäftes stellt. Schließlich spielt auch unser weltweites Ideen- und Innovationsmanagement eine wichtige Rolle. Es freut mich, dass sich diese Strategien in den Handlungsempfehlungen der Studie widerspiegeln. Das zeigt uns, dass Dachser auf dem richtigen Weg ist und sich trotz der Herausforderungen im internationalen Wettbewerb erfolgreich aufstellen kann.
„KI ist vor allem in der Logistik eine große Chance, aber in gleichen Stücken auch eine Herausforderung, die es zu meistern gilt.“
Michael Kriegel, Dachser Chem Logistics
Gibt es bei Dachser konkrete Beispiele zu einer erfolgreichen Umsetzung der in der Studie empfohlenen Strategien?
M. Kriegel: Ein Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierungsstrategie ist sicherlich unser digitaler Zwilling ‚@ILO‘, für den Dachser im Herbst 2023 zusammen mit dem Fraunhofer IML den Deutschen Logistik-Preis der BVL, also der Bundesvereinigung Logistik, erhielt. Mit @ILO wurde erstmals ein zukunftsweisendes digitales Abbild aller Packstücke, Assets und Abläufe in der Umschlaghalle geschaffen – ein Paradigmenwechsel in der Organisation der Stückgutlogistik, der mittlerweile europaweit ausgerollt wird. Auch beim Thema Nachhaltigkeit ist Dachser Impulsgeber für die Logistikbranche. Mit diesem Marathon sind wir bereits 2018 gestartet. Unser Ziel ist es, Erfahrungen mit Zero-Emissionstechnologien und speziell mit batterieelektrischen Lkw zu sammeln und sie in den Realbetrieb zu bringen. Im Rahmen des Konzepts ‚Dachser Emission Free Delivery‘ beliefern wir mittlerweile fest definierte Innenstadtgebiete in 16 europäischen Metropolen mit vollelektrischen Lkw und Pedelecs. Bis Ende 2025 werden es 24 sein. Des Weiteren lernen wir an drei sogenannten E-Mobility-Standorten in Deutschland den Umgang mit emissionsfreien Lkw für den Fernverkehr sowie entwickeln die entsprechend notwendige Ladeinfrastruktur dafür. Gerade wurde der hundertste vollelektrische Lkw von Dachser in Betrieb genommen.
Welche angesprochenen Szenarien bergen für Logistiker die größten Herausforderungen?
M. Kriegel: KI ist vor allem in der Logistik eine große Chance, aber in gleichen Stücken auch eine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Den ersten Schritt hat Dachser getan, die weiteren werden folgen. Lassen Sie mich dazu ein Beispiel aus der Praxis geben: Planbarkeit ist in der Logistik ein entscheidendes Kriterium für Effizienz und Qualität. KI kann hier einen wertvollen Beitrag leisten, wie das erste Machine-Learning-Projekt ‚Predictive Analytics Dachser‘ – oder kurz ‚PAnDA One‘ – zeigt. Das Modell wurde speziell zur Prognose der Eingangsmengen einer Landverkehrs-Niederlassung konzipiert und stellt eine taktische Entscheidungsunterstützung für die saisonale Kapazitätsplanung bereit. So lassen sich frühzeitig entsprechende Laderaumkapazitäten auf dem Markt sichern und Eingangsmengen im Umschlaglager bis zu 25 Wochen im Voraus planen. Die Technik unterstützt den Menschen in seinen Entscheidungen, aber sie sollte mit Bedacht und Verstand eingesetzt werden. Denn KI arbeitet immer mit Wahrscheinlichkeiten, die in einem bestimmten Korridor auch fehlerhaft sein kann. Aus diesem Grund muss Technologie den Menschen unterstützen, sie darf das eigenständige, kreative Denken aber nicht ersetzen. Das haben wir bei allen Digitalisierungsprojekten stets im Blick.
Die aktuelle Studie kann unter folgendem Link kostenlos heruntergeladen werden:
www.dachser.de/de/ chemie-logistik-studie-2024
-------------------------------
Zur Person
Christian Kille ist seit April 2011 Professor für Handelslogistik und Operations Management an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt und aktuell Leiter des Bachelorstudiengangs Betriebswirtschaft. Kille ist Gastdozent an der TU München, Marktanalyst der Bundesvereinigung Logistik und Mitglied u.a. in der Jury der „Logistik Hall of Fame“. 2014 gründete er zusammen mit Markus Meißner die Initiative „Prognose für die Entwicklung der Logistik in Deutschland – Logistikweisen“.
-------------------------------
Michael Kriegel blickt auf nahezu 30 Jahre Berufserfahrung in der Logistikbranche zurück. Er absolvierte 1995 ein duales Studium bei Dachser in Hannover und betreut zentral seit 2003 Unternehmen der chemischen Industrie. Seit 2007 verantwortet Kriegel die Branchenlösung Dachser Chem Logistics. Ziel der Einheit ist es, globale Logistiklösungen für die chemische Industrie voranzutreiben.