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Verstärktes Denken in Wertschöpfungsketten

Dechema will mit neuer Struktur das Netzwerk über Branchengrenzen hinweg intensivieren

21.05.2012 -

Die Dechema Gesellschaft für chemische Technik und Biotechnologie hat sich eine neue Struktur gegeben. Mit der Ausgründung der Dechema Ausstellungs-GmbH und der Übergabe des Karl-Winnacker-Instituts an die Stiftung Dechema-Forschungsinstitut wurde die Neustrukturierung Anfang 2012 vollzogen.

Dr. Michael Reubold und Wolfgang Sieß sprachen mit Dechema-Geschäftsführer Prof. Dr. Kurt Wagemann darüber, inwieweit die strukturellen Veränderungen Auswirkungen auf die in Kürze beginnende Achema 2012 haben werden und wie die wissenschaftlich-technische Gesellschaft die sich durch die neue Struktur eröffnenden Handlungsspielräume nutzen will.

CHEManager: Herr Professor Wagemann, die größte und bekannteste Aktivität der Dechema ist die Achema, die weltweite Leitmesse für chemische Technik und Biotechnologie. Werden Besucher und Aussteller der Mitte Juni stattfindenden Achema etwas von Neustrukturierung der Dechema spüren?

Prof. Dr. Kurt Wagemann: Nein, Besucher und Aussteller der Achema 2012 werden nichts von der Umstrukturierung merken. Die Veränderungen betreffen nur die organisatorischen Abläufe hinter den Kulissen. Der Achema-Kongress wird nach wie vor von der Dechema organisiert, die Fachausstellung ist nun eine Angelegenheit der Ausstellungs-GmbH. Wir haben gegenüber den Ausstellern schon in den Ausschreibungsbedingungen auf die sich abzeichnende Entwicklung hingewiesen. Die Gesamtaktivität Achema gab jedoch für unsere Neustrukturierung den wesentlichen Anstoß.

Inwiefern?

Prof. Dr. Kurt Wagemann: Die Achema war von Anbeginn an wesentlicher Zweck des wissenschaftlich-technischen Vereins Dechema und wurde in der Vergangenheit von den Finanzbehörden als gemeinnützige Aktivität anerkannt. Jedoch hat sich diese Einschätzung mittlerweile geändert und die Achema-Ausstellung wurde bei der letzten Betriebsprüfung als wirtschaftliche Tätigkeit qualifiziert. Dadurch mussten wir uns entsprechend anpassen, weil die wirtschaftlichen Aktivitäten bei gemeinnützigen Gesellschaften wie der Dechema kein Übergewicht haben dürfen. Und da ist es die übliche Vorgehensweise, dass man eine eigene GmbH für solche Aktivitäten gründet.

Im Zuge der Diskussion über eine Umstrukturierung haben wir uns auch Gedanken über die Zukunft des Karl-Winnacker-Instituts gemacht und die bereits früher diskutierte Überlegung, das Institut zu verselbständigen, aufgegriffen.

Seit Februar stellt sich die Dechema als ein aus drei Einheiten bestehendes Gebilde dar: dem wissenschaftlich-technischen Verein Dechema, einem davon unabhängigen, von einer Stiftung getragenen selbständigen Institut, und der Ausstellungs-GmbH, die den Verein Dechema und die Stiftung Dechema-Forschungsinstitut als Gesellschafter hat und die Achema-Ausstellung sowie andere wirtschaftlich geprägte Aktivitäten durchführt.

Was bedeutet die neue Struktur für die Mitglieder der Dechema? Gibt es Auswirkungen, von denen sie profitieren?

Prof. Dr. Kurt Wagemann: Uns war es wichtig, diesen Umgestaltungsprozess frühzeitig in Richtung der Mitglieder zu kommunizieren. Die Änderung war ja letztlich auch durch die Mitgliederversammlung zustimmungspflichtig und wir haben ein einstimmiges Votum für die Umstrukturierung erhalten.

Das zeigt, dass wir gegenüber den Mitgliedern sehr überzeugend deutlich machen konnten, dass die neue Struktur viele Vorteile hat. Zu den Vorteilen für den Verein gehört, dass er sich seinen gemeinnützigen Aktivitäten ohne Einschränkungen widmen kann, aber mit der Beteiligung an der Ausstellungs-GmbH nun auch in der Lage ist, von neuen kommerziellen Aktivitäten zu profitieren.

Und dabei gibt es keine Interessenskonflikte?

Prof. Dr. Kurt Wagemann: Nein, wir haben hier für eine saubere Trennung zwischen den gemeinnützigen und den wirtschaftlich orientierten Aktivitäten gesorgt. Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, alle Kongress-, Tagungs- oder Workshop-Aktivitäten einschließlich der Weiterbildung weiterhin nicht kommerziell orientiert zu behandeln.

Diese bleiben im Verein bzw. im Institut, denn wir sehen diesen gesamten Bereich, wo sich Leute treffen und über wissenschaftliche Inhalte diskutieren, als eine zentrale gemeinnützige Aktivität an. Es wird keinen wissenschaftlichen Kongress oder Workshop im Bereich der Ausstellungs-GmbH geben. Diese wird sich, so ist unsere Erwartung, neuen Themen, vielleicht auch neuen Regionen der Welt widmen. Sie wird ihre Kompetenz im Ausstellungsbereich vielleicht auch Dritten anbieten.

In welchen Regionen sollen denn neue Aktivitäten begonnen werden?

Prof. Dr. Kurt Wagemann: Zu den Regionen, die uns interessant erscheinen, gehören definitiv Südamerika ebenso wie die Golfregion. Überall dort, wo Prozessequipment eine Rolle spielt - und das ist nicht nur im Bereich der Chemieproduktion - wird man sich Gedanken machen können, ob die Ausstellungs-GmbH entweder allein oder zusammen mit Partnern Aktivitäten entfaltet.

Die Dechema pflegt im wissenschaftlichen Bereich bereits intensiv internationale Aktivitäten und Partnerschaften. Hat denn die neue Struktur darauf einen positiven Einfluss?

Prof. Dr. Kurt Wagemann: Wir sind international gut vernetzt, sowohl auf europäischer Ebene über die entsprechenden Föderationen für Chemieingenieurwesen, für Biotechnologie und für Korrosion, als auch weltweit, gerade haben wir z.B. das jährige Jubiläum unserer japanischen Schwestergesellschaft mitgefeiert. China ist ein anderes wichtiges Stichwort. Dort haben wir mit der Achemasia eine Messeaktivität, die wir in enger Kooperation mit chinesischen Partnern durchführen. Wir pflegen auch sehr gute Beziehungen zu unserer Schwesterorganisation AIChE in den USA. Darauf wird die neue Struktur keinen Einfluss haben.

Sie wird primär interessant, wenn wir z.B. neue Ausstellungsaktivitäten in anderen Ländern beginnen wollen. Dann ist die Kooperation mit Partnern vor Ort, aber auch mit deutschen Partnern, mit denen wir zusammen in einen neuen Markt gehen, wesentlich einfacher. Wir werden künftig viel häufiger als es in der Vergangenheit möglich war, mit Organisationen zusammenarbeiten, die nicht den gleichen Status als gemeinnützige Gesellschaft haben wie wir. Das wird durch die Ausstellungs-GmbH wesentlich leichter sein.

Globalisierung hat auch Einfluss auf die Forschungslandschaft und das Bildungswesen. Es gibt zwischen Staaten einen immer häufigeren Austausch von Studenten und von Forschern. Sehen Sie für eine deutsche Gesellschaft die Notwendigkeit, dass man diese Internationalität weiter fördert?

Prof. Dr. Kurt Wagemann: Definitiv! Man kann sich heute als wissenschaftlich-technische Gesellschaft nicht ausschließlich auf deutsche Mitglieder stützen. Wir haben mittlerweile doch eine ganze Reihe von ausländischen Fachkollegen, die sich hier in Deutschland engagieren und wir können froh darüber sein. Ich denke, wir sind auf diesen Austausch mit dem Ausland angewiesen.

Wie beurteilen Sie denn die Forschungs- und Arbeitsbedingungen für diese ausländischen Fachkräfte in Deutschland? Es wird immer wieder bemängelt, dass wir Defizite haben, weil andere Länder attraktiver sind.

Prof. Dr. Kurt Wagemann: Da dreht sich, glaube ich, das Meinungsbild mittlerweile. Wir haben natürlich nach wie vor die Situation, dass manche US-amerikanische Universität einen Weltstatus hat. Aber insgesamt sehen wir doch, wie attraktiv der Forschungsstandort Deutschland ist, sei es aufgrund der ökonomischen Situation in Deutschland als Ganzem, sei es wegen der Stärke der deutschen Industrie, die ja doch - und das gilt gerade für die chemische Industrie - sehr global aufgestellt ist. Auch die enge Verflechtung von akademischer und industrieller Forschung findet man in vielen anderen Ländern nicht.

Nicht nur die enge Verflechtung von akademischer und industrieller Forschung wird künftig den wissenschaftlichen Fortschritt vorantreiben, sondern auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachrichtungen. Innovationen werden insbesondere an technologischen Schnittstellen entstehen. Wie reagieren Sie auf diese Entwicklung?

Prof. Dr. Kurt Wagemann: Das stimmt, die Zeiten der Abgrenzung sind bei wissenschaftlichen Gesellschaften vorbei. Die Community erwartet, dass wir mit anderen Gesellschaften zusammenarbeiten und zusammen aktiv werden; sei es durch organisatorischen Support, sei es in der Forschungsförderung, sei es im Bereich forschungspolitischer Einflussnahme. Da bin ich ein überzeugter Vertreter von Kooperationen. Mit anderen chemieorientierten Gesellschaften haben wir schon über Jahre hinweg ein gutes Verhältnis gehabt oder aufgebaut.

Aber ein wichtiges Thema ist heute die Zusammenarbeit mit Gesellschaften, die in anderen Branchen zuhause sind. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Wir intensivieren unsere Kontakte zur DLG, also der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. Wieso machen wir das? Der Hintergrund ist das Thema Bioökonomie. Wenn man heute über Wertschöpfungsketten nachdenkt, die wie in diesem Fall z.B. bei der Zuckerrübe beginnen und beim Biopolymer enden, dann decken wir zwar den Teilbereich Biotechnologie ab, aber nicht die gesamte Wertschöpfungskette.

Deshalb müssen wir über Partnerschaften mit Gesellschaften nachdenken, die in den anderen Teilbereichen zuhause sind. Das Denken in Wertschöpfungsketten nimmt zu. Und deshalb braucht man die Kooperation mit anderen an der Wertschöpfungskette beteiligten Organisationen. Ich halte es für einen wichtigen Punkt in der Zukunft, dass dieses Netzwerk über Branchengrenzen hinweg intensiviert wird.

Spiegelt sich das denn bereits bei der kommenden Achema wider?


Prof. Dr. Kurt Wagemann: Interessanterweise ja - wir erleben bei der Achema tatsächlich einen starken Wandel hinsichtlich der für das Kongressprogramm eingereichten Beiträge. Die thematischen Inhalte gehen nun viel stärker zu Themen im Umfeld der Energietechnik und im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe. Damit trägt die Achema neuen Themen im Rahmen der Betrachtung ganzheitlicher Wertschöpfungsketten Rechnung. Die Aussichten für die Achema 2012 sind kurz vor Beginn außerordentlich positiv und die beiden genannten Themen sind wesentliche Treiber auch für die Ausstellungsbeteiligung. Energie wird eines der Schwerpunktthemen sein; neben dem Streben nach Energieeffizienz stehen auch die Energiegewinnung sowie die Entwicklung innovativer Energieträger und -speicher im Mittelpunkt. Chemie und Verfahrenstechnik können hier wesentliche Beiträge leisten, u.a. bei der Entwicklung von Batterie- und Brennstoffzellentechnik, aber auch durch neue Konzepte zur Wärmespeicherung.Zweiter Innovationstreiber ist der allmähliche Übergang von fossilen zu nachwachsenden Rohstoffen. Mit der virtuellen Plattform "BiobasedWorld at Achema" bietet die Veranstaltung ein weltweites Forum, bei dem neue wissenschaftliche Erkenntnisse ebenso Thema sind wie die Entwicklung geeigneter Verarbeitungsprozesse, bei denen biotechnologische Verfahren eine besondere Rolle spielen.

Ein Kurzinterview mit Institutsdirektor Prof. Dr. Michael Schütze über die Stiftung Dechema-Forschungsinstitut lesen Sie hier.

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