Klaus Endress im Interview: Die Sprache der Kunden sprechen
Mit Kaizen und ohne Muda zur Operational Excellence
Der Weg zur Operational Excellence in der chemischen und pharmazeutischen Industrie führt über die Automatisierung. Erst durch die Erfassung von Messdaten und deren Umsetzung in Prozessautomatisierung können Produktionsanlagen sicher und effizient betrieben werden.
Endress + Hauser ist einer der international führenden Anbieter von Messgeräten, Dienstleistungen und Lösungen für die industrielle Verfahrenstechnik. Seit 1995 führt Klaus Endress das Unternehmen, das sich konsequent vom Spezialisten für Füllstandsmessung zum Anbieter von Komplettlösungen für die industrielle Messtechnik und Automatisierung entwickelt hat. Mit Stammsitz in Reinach bei Basel und weltweit über 9.000 Beschäftigten erzielte Endress + Hauser im letzten Jahr rund 1,3 Mrd. € Umsatz.
CHEManager sprach mit dem CEO der Endress + Hauser Gruppe über Chancen und Herausforderungen von Familienunternehmen in einer globalisierten Branche. Das Interview führte Dr. Volker Oestreich.
CHEManager: In der globalen Wirtschaftswelt und dem Zeitalter der „Social Media" wird der persönliche Kontakt zum Kunden immer mehr zum Luxusgut. Wie positioniert sich Endress + Hauser in ganz unterschiedlichen Marktumgebungen als verlässlicher Partner für Automatisierungslösungen in der Prozessindustrie?
Klaus Endress: Die elektronischen Medien geben uns die Möglichkeit, auf effiziente Weise Informationen bereitzustellen oder auszutauschen. Sie sind ein nützliches Werkzeug, doch sie ersetzen nicht den persönlichen Kontakt. Beratung und Dienstleistungen haben in einem immer komplexeren Geschäft an Bedeutung gewonnen, die besten Lösungen entstehen in enger Kooperation.
Wenn wir unseren Kunden aufmerksam zuhören, lernen wir ihre Bedürfnisse zu verstehen und können das bestmögliche Angebot bereitstellen. Indem wir besseren Nutzen schaffen, erwerben wir das Vertrauen unserer Kunden. Dies lässt sich im virtuellen Raum nicht realisieren - dafür braucht es den persönlichen Umgang.
Sie betonen immer wieder die Bedeutung des Familienunternehmens und wollen diesen Status auch auf lange Sicht nicht ändern. Was sind die besonderen Vorteile eines Familienunternehmens wie E+H und welche wichtige Entscheidung hätten Sie in der Form eines börsennotierten Unternehmens so nicht umsetzen können?
Klaus Endress: Als Familienunternehmen sind wir finanziell unabhängig und können auch in schwierigen Situationen unseren Kurs halten, da uns niemand von außen ins Ruder greift. Dazu ein Beispiel: 2002 schrieben wir im ersten Halbjahr keine guten Zahlen. Wären wir ein börsennotiertes Unternehmen gewesen, hätten uns die Finanzanalysten spätestens im Sommer eine Kostenbremse verordnet. Mit der Folge, dass eine Reihe von Projekten, die heute zu wichtigen Geschäftsfeldern ausgewachsen sind, im Ansatz erstickt worden wären. Wir sind nicht den Finanzmärkten, sondern unseren Kunden verpflichtet.
Das sehen auch unsere Shareholder so, die Familienmitglieder, denen das langfristige Wohl von Endress + Hauser wichtiger ist als eine möglichst hohe jährliche Dividende. Mit einem Eigenfinanzierungsgrad von nahezu 70 Prozent und einer guten Liquidität haben wir Reserven, die uns den nötigen Freiraum für Investitionen und Akquisitionen geben.
Und was wäre Ihnen in der Form eines börsennotierten Unternehmens leichter gefallen?
Klaus Endress: Da fällt mir wirklich nichts ein.
Der Unternehmenssitz von E+H ist in der Schweiz. Wie gestaltet sich die Globalisierung aus Schweizer Sicht, insbesondere unter Berücksichtigung des gegenüber andern Währungen sehr teuren Schweizer Franken?
Klaus Endress: Die Region Basel ist nicht nur Sitz der Holding, sondern auch ein wichtiger Produktionsstandort. Dank der hier konzentrierten fachlichen Kompetenz ist unsere Produktivität in Zentraleuropa am höchsten, obschon natürlich die enormen Wechselkursschwankungen unsere Bilanz belasten.
Doch wir verfügen heute über 19 Produktionsstandorte in zwölf Ländern, darunter USA, China, Indien und demnächst auch Brasilien. Diese Strategie der Wirtschafts-Regionen hat sich bewährt. Mein Vater hatte sie schon in den 1970er Jahren eingeschlagen, um Kursschwankungen - damals des Dollars - abfedern zu können. Zugleich produzieren wir nur, wo auch der Bedarf gegeben ist - nach dem Prinzip „aus der Region, für die Region".
Was bedeuten Nachhaltigkeit und Wachstum für Sie und Ihr Unternehmen?
Klaus Endress: Ich zitiere gern den Leitspruch: Wachstum ist nicht alles - aber ohne Wachstum ist alles nichts. Wir konnten uns vor der Krise 2009 über Jahre hinweg über hohes, teils sehr hohes Wachstum freuen. Auch nach 2009 hatten wir wieder hohe Zuwachsraten. Ob es in diesem Stil weitergehen kann, wage ich zu bezweifeln. Nach wie vor gibt es viele Unsicherheiten: Kann China sein hohes Wachstum halten? Werden die Vereinigten Staaten ihre Schwäche überwinden? Bekommen die Euro-Länder ihre Schulden in den Griff? Wir müssen deswegen weiterhin Vorsicht walten lassen und „auf Sicht fahren".
Zugleich können wir auf unsere Stärken vertrauen. Unser Angebot an Produkten und Dienstleistungen ist exzellent. Um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen, spielt die Verfahrenstechnik eine wichtige Rolle. Die Weltbevölkerung wächst und wird älter, die Ökosysteme stoßen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit, die Steigerung der Energieeffizienz ist ein Gebot unserer Zeit. Damit steigt auch die Nachfrage nach unseren Produkten und Dienstleistungen. Wir können unsere Kunden darin unterstützen, noch bessere Produkte herzustellen und die Ressourcen dabei noch effizienter zu nutzen.
Was waren rückblickend die ganz besonderen Meilensteine für Ihr Unternehmen - in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht?
Klaus Endress: Wir haben 1953 mit Füllstandmessung begonnen, dann kamen Schritt für Schritt die Durchfluss-, Analyse-, Druck- und Temperaturmesstechnik hinzu. Die Produktpalette ist dabei kontinuierlich gewachsen und wurde immer weiter verbessert und diversifiziert. Ein Meilenstein war sicher der um 1983 entwickelte „Liquiphant", der in der Branche zum Synonym für Füllstand-Grenzschalter für Flüssigkeiten geworden ist. Im Bereich Massedurchfluss sind wir dank der multivariablen „Promass"-Familie zu einem führenden Anbieter geworden.
Bei der Flüssigkeitsanalyse ist der 2004 eingeführte „Memosens", der dank intelligenten, austauschbaren Sensoren die Instandhaltungskosten beträchtlich reduziert, auf dem Weg, ein anerkannter Standard zu werden. Sie sehen, die Entwicklung geht immer weiter. Nicht zu vergessen unsere Angebote im Bereich Services - Kalibrierung, Engineering, Unterhalt - sowie im Lösungsgeschäft. Heute treten wir weniger als Verkäufer auf, sondern immer mehr als Berater für Komplettlösungen in der Verfahrenstechnik.
Wie realisiert Endress + Hauser „Operational Excellence" im eigenen Unternehmen, und wie unterstützen Sie Ihre Kunden auf dem Weg dorthin?
Klaus Endress: Indem wir uns immer wieder fragen: Was können wir noch besser machen - auch und ganz besonders für unsere Kunden? Nur wer lernt, hoch effizient zu arbeiten und flexibel zu sein, wird erfolgreich sein. Kaizen, also der Prozess der kontinuierlichen Verbesserung, ist der richtige Weg, unsere interne Organisation zu verbessern. Oft richten wir unsere Abläufe an unseren Bedürfnissen und Gewohnheiten aus statt darauf zu schauen, was unsere Kunden wollen und von uns erwarten.
Unser Ziel bei allem muss sein, Muda - Verschwendung - zu vermeiden. Denn kein Kunde wird uns für unnötigen Aufwand bezahlen, für etwas, das ihm keinen Nutzen bringt. Darum müssen wir immer wieder schauen: Gibt es nicht Dinge, die man anders - schneller, einfacher, besser - machen kann? Wir selbst müssen unsere Welt nur durch die Augen unserer Kunden betrachten, dann erkennen wir, wohin wir uns bewegen müssen!
Welche Trends in der Automatisierungstechnik haben in den letzten 15 Jahren neue Maßstäbe gesetzt, und was wird in den nächsten 5 Jahren kommen?
Klaus Endress: Die Profibus-Anwendungen haben inzwischen industrielle Bedeutung erlangt. Etabliert hat sich auch die durchgängige Kommunikation vom Feld über das Plant-Asset-Management via SAP bis hin zum ERP, um zum Beispiel Bestellungen für Ersatzteile automatisch auszulösen. Weitere Themen der Kommunikation betreffen die Geräteintegration, wo wir intensiv daran arbeiten, mit Field Device Integration (FDI) zu einer plattformübergreifenden Lösung zu kommen.
Für die kommende Zeit werden die Web-Technologien - mobile Anwendungen mit Apps für Service und Wartung - weiter an Bedeutung gewinnen. Gute Perspektiven sehe ich auch für die WirelessHART-Technologie, die heute schon in weit auseinander liegenden Anlagenbereichen oder in mobilen Anwendungen zum Einsatz kommt.
Trifft meine Beurteilung zu, dass viele Innovationen in der Prozessautomatisierung wie zum Beispiel der Feldbus, Wireless, Feldgeräte-Diagnose oder Condition Monitoring eher hersteller- als anwendergetrieben sind und sich deshalb nicht so schnell durchsetzen wie angenommen?
Klaus Endress: Das ist nicht ganz falsch. Obwohl diese Technologien einen hohen Nutzwert und einen langen Lebenszyklus haben, schrecken die Kunden teilweise noch vor der Investition zurück. Bestimmte Innovationen werden auch durch technologische Entwicklungen beschleunigt und brauchen dann etwas mehr Zeit, sich durchzusetzen. Nach wie vor ein Hindernis ist die fehlende Standardisierung, was eine raschere Etablierung dieser Technologien bremst. Der digitale Feldbus wurde ja schon in den 1980er Jahren entwickelt, doch immer noch gibt es eine Vielzahl von parallel existierenden Protokollen.
In den 10 Leitsätzen Ihres Unternehmens, dem Credo von E+H, steht der Kunde an erster Stelle, aber auch Ausbildung und Einbindung Ihrer Mitarbeiter spielen eine große Rolle in diesen Aussagen. Was machen Sie in der Mitarbeiterführung anders, was machen Sie besser als andere Unternehmen?
Klaus Endress: Ob wir es besser machen, kann ich nicht sagen. Aber wir sind der Überzeugung, dass zufriedene Mitarbeiter für unser Unternehmen die besten Mitarbeiter sind. Wer Dinge gern macht, der macht sie gut. Durch unser Wachstums hat sich in den letzten fünf Jahren unser Personalbestand zu einem Drittel erneuert, und besonders in technischen Berufen ist es nicht leicht, gute Fachkräfte zu finden.
Deshalb pflegen wir einen „Spirit", der Aspekte wie Anerkennung, Sicherheit oder Selbstverantwortung hoch hält. Unsere Mitarbeiter spüren, dass das nicht bloß Rhetorik ist. Umgekehrt hilft die Loyalität der Angestellten, das Know-how zu sichern und Kundenbeziehungen langfristig zu pflegen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es nur die Kunden sind, die es uns nachhaltig ermöglichen, ein gutes Arbeitsklima zu schaffen.
„Wir bejahen den Gewinn und sehen in ihm die treibende Kraft der Unternehmensgruppe" ist der zehnte und letzte Leitsatz Ihres Unternehmens. In welchen Märkten dieser Welt wollen Sie in den nächsten Jahren besonders intensiv agieren?
Klaus Endress: Wachstumschancen sehen wir 2012 in fast allen Regionen und Branchen der Verfahrenstechnik. Asien, der Nahe Osten, Lateinamerika, Russland und Afrika markieren die Wachstumsspitzen. Wir haben die Präsenz im Nahen Osten verstärkt und werden dies weiter tun. Aber auch in Mitteleuropa sind wir weiter am Wachsen, Deutschland ist nach wie vor unser stärkster Markt.
Der Standort im badischen Maulburg wird weiter ausgebaut, ebenso ein Werk im sächsischen Waldheim. Weitere Investitionen, etwa in Gerlingen, Cernay und Reinach, aber auch in Greenwood (USA) und in Suzhou (China), sind in Realisierung oder geplant. Die Zahl unserer Mitarbeiter wird dieses Jahr mit großer Wahrscheinlichkeit die Marke von 10 000 überschreiten.
„Bei Endress + Hauser ist jeder Tag ein Markttag" haben Sie einmal gesagt. Sind die bevorstehenden großen Messen in Deutschland wie die Hannover Messe, die Ifat oder die Achema für Sie und Ihr Unternehmen besondere Markttage?
Klaus Endress: Im laufenden Jahr ist die Achema sicher für uns die bedeutendste Messe, aber auch die Ifat ist für uns ein Termin, den wir frühzeitig in unserer Agenda reservieren. Leider gibt es insgesamt zu viele Messen im Bereich der Verfahrenstechnik; das ist selbst für ein Unternehmen wie Endress + Hauser nur schwer zu bewältigen.