Verpacken von Arzneimitteln – Trends zur Achema 2024
Biopharmazeutika sind die wahren Mimosen: Hitze, Feuchtigkeit, Sauerstoffzutritt oder schlichtweg nur das falsche Licht können dazu führen, dass die empfindlichen Medikamente, die aus lebenden Organismen oder Zellen hergestellt werden, ihre Wirkung verlieren. Besonders deutlich wurde dies in der Covid-Pandemie: Die neuen mRNA-Impfstoffe von Biontech-Pfizer und Moderna erfordern ausgeklügelte Verpackungs- und Logistikkonzepte, um bspw. Lagertemperaturen zwischen -60 und -80 °C sicherzustellen. Und obwohl die Hersteller fieberhaft und auch erfolgreich an weniger empfindlichen Wirkstoffen arbeiten – die Verpackung bleibt ein wesentliches Element im Kampf gegen die vergangenen und künftigen Pandemien.
Das Beispiel der Impfstoffe wirft nur ein Schlaglicht auf die Bedeutung von Arzneimittelverpackungen. Jedes zweite in der EU neu zugelassene Medikament wird inzwischen gentechnisch hergestellt, ist besonders empfindlich gegenüber Umwelteinflüssen und muss entsprechend aufwändig verpackt werden. Dazu kommen steigende Anforderungen der Regulatorik an die Produktionstechnik, wie bspw. der 2022 finalisierte Annex 1 zur Guten Herstellungspraxis (GMP-Leitfaden): Darin werden die Sterilherstellung und das Abfüllen und Verpacken von Arzneimitteln neu geregelt – mit dem Ziel, Kontaminationsrisiken für das Medikament zu senken.
Pharmamarkt wächst, Maschinenmarkt noch stärker
Kein Wunder also, dass der Markt für Pharma-Verpackungsmaschinen überproportional wächst – stärker noch als der Arzneimittelmarkt insgesamt. So rechnen bspw. Marktforscher von Evaluate Pharma damit, dass die globale Pharmaindustrie zwischen 2022 und 2028 jährlich um 6 % auf $1,6 Billionen wachsen wird. Parallel dazu wird der Markt für pharmazeutische Verpackungen um 8,24 % und der für Pharma-Verpackungsmaschinen um 7,5 % pro Jahr wachsen – so die Erwartungen des Marktforschungsunternehmens Mordor Intelligence.
Der steigende Aufwand für das Abfüllen, Verpacken und Kennzeichnen der Medikamente trifft gleichzeitig auf sinkende Erlöse bei den Arzneimittelherstellern. Denn nach dem Impfstoff-Boom der Corona-Jahre hat die Pharmabranche nicht nur mit Umsatzrückgängen zu kämpfen, sondern auch mit der Kostenexplosion aufgrund der Energiekrise. An den Börsen hat sich der Marktwert der Biotech-Unternehmen halbiert, gleichzeitig sind die Preise für Vorleistungen – darunter chemische Vorprodukte – im Jahr 2022 deutlich gestiegen. Die Pharmaindustrie ist hier besonders unter Druck geraten, weil sie – wie z. B. in der EU – ihre Produkte teilweise zu einem festgelegten Preis abgeben muss.
Diese und weitere Trends finden sich inzwischen auch in den Anfragen und Spezifikationen für Verpackungsmaschinen wieder: Wo früher bspw. Füll- und Verschließmaschinen mit hoher Ausbringungsleistung und dezidiert auf ein Medikament ausgelegte Linien verlangt wurden, dominiert heute der Wunsch nach flexiblen Linien, die schnell – und möglichst automatisch – auf neue Produkte und andere Verpackungsformate umgerüstet werden können. Der Trend zu kleineren Chargen spielt hier ebenso eine Rolle, wie ein einfacheres Handling. Auffällig ist dabei, dass der Wunsch nach flexiblen Produktionsprozessen inzwischen nicht mehr nur von Auftragsfertigern, sogenannten CMOs, vorgetragen wird, sondern auch von Originalherstellern.
Flexible Abfüll- und Verpackungsprozesse gefordert
Deutlich wird diese Entwicklung am Beispiel von injizierbaren Präparaten, den sogenannten Injektabilia. Bereits in den Jahren vor der Pandemie hatten die Maschinenhersteller eine stark wachsende Nachfrage nach Fertigspritzen registriert. Der enorme Bedarf nach Impfstoffen in den Corona-Jahren 2020 bis 2022 hatte zuletzt zwar für ein Revival von Bulk-Verpackungen wie Vials gesorgt, doch inzwischen steigt der Anteil der „Ready-to-Use“-Spritzen (RTU) wieder deutlich an. Bei RTU-Spritzen wird das Arzneimittel zum Beispiel direkt in eine sterilisierte Spritze abgefüllt. Dadurch sinkt nicht nur das Risiko einer Kontamination bei der Zubereitung und Verabreichung, auch Dosierfehler lassen sich so vermieden.
Der Kundenwunsch, bessere Verpackungslösungen für weniger Geld zu finden, treibt deshalb die Maschinenhersteller an. Und ein Stichwort zieht sich durch die Beschreibung der meisten Neuentwicklungen: Flexibilität. So hat bspw. Syntegon das flexible Füllsystem Versynta als Plattform entwickelt, mit dem sich Biopharmaka sowohl in RTU-Spritzen als auch in Bulk-Packmittel im Isolator abfüllen lassen. Um die Projektzeiten deutlich zu verkürzen, setzt der Anbieter Groninger mit dem Flexfill-Konzept ebenfalls auf Flexibilität, kombiniert diese jedoch mit standardisierten Modulen, die ebenfalls im Isolator oder RABS untergebracht sind. Auch Bausch+Ströbel setzt auf Modularisierung und hat bei der neuen CombiSys-Linie die Zahl der Formatteile radikal reduziert. Dadurch lässt sich die Maschine vergleichsweise einfach beispielsweise von Vials auf RTU-Packmittel umrüsten.
Neue Transportsysteme und digitale Technologien
Zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt Bausch+Ströbel mit einem neuen magnetischen Transportsystem, mit dem die Packmittel durch die Maschine transportiert werden: Im Gegensatz zu gängigen Antrieben ist keine fixierte Taktzeit mehr erforderlich, das steigert die Flexibilität. Gleichzeitig macht der Magnetantrieb Abstreifer und Faltenbalg-Abdichtungen unnötig und eliminiert damit eine Ursache für Kontaminationen im sterilen Bereich. Auch Optima hat sich dem Transport der Packmittel in der Maschine angenommen: Mit dem neuen, formatteillosen Transportsystem FillCell soll vor allem die Produktausbeute erhöht werden. Denn gerade bei teuren Wirkstoffen ist es wichtig, dass Verluste beim Anfahren von Maschinen vermieden werden.
Die Maschinenhersteller tragen dieser Forderung mit neuen Dosier- und Abfüllsystemen, aber auch optimierten Transport-, Überwachungs- und Kennzeichnungslösungen Rechnung. Dabei spielen digitale Technologien eine immer wichtigere Rolle: Das beginnt beim Training der Bediener mit Virtual Reality-Brillen an digitalisierten Anlagen, reicht über die lückenlose Erfassung von Produktionsparametern im Produktionsprozess bis hin zur Auswertung und Visualisierung von Kennzahlen wie der Overall Equipment Effectiveness (OEE), die im wachsenden Wettbewerb der Pharmaindustrie immer wichtiger werden.
Dem Thema hat sich beispielsweise die Körber-Gruppe verschrieben, die mit ihrem Manufacturing-Execution-System (MES) die operative Effizienz biopharmazeutischer Herstellungsprozesse anhand unterschiedlicher und bislang nicht vernetzter Daten analysiert. Dadurch sollen unter anderen Biopharma-Hersteller in die Lage versetzt werden, ihre Markteinführungszeiten deutlich zu beschleunigen. Uhlmann Pac-Systeme vernetzt Maschinen und ganze Anlagen beliebiger Hersteller über Schnittstellen hinweg mit einer neuen Software (Pexcite), und ermöglicht so die zentralisierte Überwachung und Steuerung. Neben dem Blick auf die Anlageneffizienz und der Planung von Rüstzeiten lassen sich damit auch regulatorische Pflichten einfacher erfüllen.
Roboter im handschuhfreien Isolator, skalierbare Parenteralia-Produktion
Zur Automatisierungsstrategie vieler Hersteller gehört inzwischen der Einsatz von Robotern – nicht nur am Ende der Linie, um bspw. verpackte Arzneimittel auf Paletten zu stapeln, sondern bereits im sterilen Isolator. Dabei kommt den Maschinenentwicklern zugute, dass einerseits das Angebot an Reinraum-geeigneten Robotern stetig wächst, gleichzeitig die Kosten für die Robotik kontinuierlich sinken. Immer häufiger ersetzen die automatisierten Lösungen auf diese Weise auch die sonst notwendigen Handschuheingriffe am Isolator. Denn in der anspruchsvollen Sterilproduktion hochwertiger Medikamente werden menschliche Eingriffe zunehmend als störend wahrgenommen und durch technische Lösungen ersetzt.
Beim Maschinenhersteller IMA wird der handschuhfreie Aseptik-Prozess im Isolator unter der Bezeichnung „Injecta“ vorangetrieben. Aber auch die bereits genannten Maschinenhersteller verfolgen den Trend zur aseptischen Abfüllung ohne menschlichen Eingriff mit eigenen Lösungen. Die Entwicklung setzt dabei konsequent die Forderung des neuen GMP-Annex 1 um. Dazu gehört vielerorts auch, auf die aufwändige Sterilisation des Primärpackmittels zu verzichten, indem steril angelieferte Packmittel zum Einsatz kommen.
Überhaupt ist die Verpackung von sterilen Zubereitungen zur Injektion und Infusion (Parenteralia) sehr anspruchsvoll, die Maschinentechik dazu ist teuer. Das wird insbesondere dann zum Problem, wenn der Erfolg eines Medikaments und dessen benötigte Menge noch nicht feststeht. Der Faltschachtel-Hersteller Faller Packaging löst dieses gemeinsam mit dem Maschinenhersteller Schubert-Pharma durch einen skalierbaren Ansatz: Diese beginnt bei der zunächst manuellen Bestückung voraufgerichteter Faltschachtel-Verpackungen. Sobald der Bedarf steigt, kommen Cobots zum Einsatz, bis der Prozess schließlich auf eine vollautomatische Topload-Maschine umgestellt wird.
Nachhaltigkeit wird wichtig
Doch nicht nur die Entwicklung der Prozesse rund um die Primärverpackung von Arzneimitteln folgt den neuen Anforderungen der Pharmazeuten. Auch bei der Sekundärverpackung in Faltschachteln, Trays und Kartons bleibt die Entwicklung nicht stehen. Wichtige Trends sind hier neben der Flexibilität und Produktsicherheit die Ressourcenoptimierung und niedrige CO2-Emissionen. Denn über CSR- und ESG-Kriterien hält das Thema Nachhaltigkeit auch vermehrt Einzug in die Unternehmen der Pharmaindustrie.
Um die Recycling-Fähigkeit der Verpackungen zu verbessern, setzt bspw. Uhlmann verstärkt auf Verpackungen aus Monomaterial. Mit dem Parenteral Tray Center hat der Hersteller jüngst auch eine flexible „Direct-in-Carton“-Lösung vorgestellt, die Ampullen, Vials und Spritzen sowohl in Karton-Trays aus Monomaterial als auch in herkömmliche Kunststoff-Klemmblister verpacken kann. Recycelbare Verpackungen stellen neue Anforderungen an die Maschinenhersteller. Eine enge Abstimmung zwischen Maschinen- und Verpackungslieferant ist deshalb wichtig. Beim Faltschachtel-Spezialisten Faller Packaging heißt der Ansatz beispielsweise 3R: Redesign, Reduce, Recycle: Neben dem Einsatz neuer recyclebarer Monomaterialien gehört dazu auch die Prüfung bestehender Produkte und Prozesse mit dem Ziel, den Rohstoff- und Energieeinsatz zu minimieren.
Doch auch die Kennzeichnungstechnik entwickelt sich weiter. War diese im vergangenen Jahrzehnt vor allem vom Kampf gegen Medikamentenfälschungen geprägt, rücken mit Blick auf Biopharmaka nun weitere Anforderungen in den Vordergrund. Ein Trend ist hier die Entwicklung von neuen Kennzeichnungslösungen mit Sensorfunktionen. Die sogenannten „Smart Labels“ verwenden druckbare Indikatoren, mit denen sich die korrekte Lagerung eines Medikaments oder die richtige Anwendungstemperatur überwachen lässt. Überschreitet die Wärme- oder UV-Lichtexposition des Medikaments einen definierten Wert, wechselt der Indikator auf der Verpackung seine Farbe. Ein weiteres Mosaiksteinchen, um auch biopharmazeutische Mimosen im Alltag sicher beherrschen zu können.
Autor:
Armin Scheuermann, Chemieingenieur und freier Fachjournalist