TÜV SÜD: Branchenfokus und Mehrwert-Dienstleistungen
05.08.2011 -
TÜV SÜD: Branchenfokus und Mehrwert-Dienstleistungen
Am 1. Januar 2008 fallen die letzten Monopolschranken für technische Prüfdienstleistungen. Dann können auch Betreiber überwachungsbedürftiger Altanlagen technische Prüfdienstleistungen frei einkaufen. CHEManager sprach mit Dr. Axel Stepken, Vorstandsvorsitzender des TÜV Süd, über die Chancen der Liberalisierung und der Strategie seines Konzerns. Das Gespräch führte Dr. Michael Klinge.
CHEManager: Herr Dr. Stepken, innerhalb des TÜV Süd- Konzerns ist das Geschäftsfeld INDUSTRIE mit über 550 Mio. Euro am umsatzstärksten. Wird der steigende Wettbewerb Ihre Geschäftsentwicklung belasten?
Dr. Axel Stepken: Die Liberalisierung ist für uns keine Überraschung. Der Markt ist ja tatsächlich in weiten Teilen liberalisiert, nun wird der letzte Schritt getan. Wir haben diesen Prozess schon lange im Blick und sind entsprechend strategisch aufgestellt. Ein Fokus liegt dabei auf profitablem Wachstum in ertragsstarken Märkten. Unsere Zahlen sprechen für sich: Der Konzernumsatz ist von 2002 auf 2006 von 887,8 Mio. € auf knapp 1,2 Mrd. € gewachsen. Die Umsatzrendite vor Steuern ist im selben Zeitraum überproportional von 3,6 auf 9,7 % gestiegen. Dies haben wir erreicht durch eine starke Branchenorientierung, den Ausbau der Mehrwert-Dienstleistungen und die Entwicklung innovativer Lösungen.
CHEManager:Es bleibt alles beim Alten?
Dr. Axel Stepken: Der Wettbewerb für TÜV Süd wird härter und wir nehmen den Wettbewerb sehr ernst. Insbesondere im Hinblick auf die Liberalisierung des Industriegeschäfts, aber auch auf das forschere Vorgehen unserer Mitbewerber. Für uns sind jedoch die Anforderungen und Bedürfnisse des Marktes und unsere Kunden maßgeblich, warum wir uns bereits seit Langem auf branchenorientierte Dienstleistungspakete ausrichten. Unsere Leistungen sind geschäftsbereichsübergreifend konzipiert und bieten einen ganzheitlichen Ansatz, der den komplexen Prozessen in der chemischen Industrie entspricht. Überdies – das möchte ich ebenfalls betonen – ist unser Geschäft durch langjährige Erfahrung geprägt. Wir bringen unser ganzheitliches Know-how für hochkomplexe Anlagen in die Kundenbeziehung ein. Unsere Behördenakzeptanz ist ein weiterer Wettbewerbsvorteil, der auch unseren internationalen Kunden wichtig ist.
CHEManager: Besitzt der TÜV Süd die kritische Größe für den weltweiten Wettbewerb?
Dr. Axel Stepken: Wir sind für alle technischen Prüfungen in nahezu allen Bundesländern akkreditiert. Im In- und Ausland operieren wir global mit 12.000 Spezialisten an 600 Standorten für unsere international tätigen Kunden. Mit dem Erwerb des amerikanischen Prüfdienstleisters Petrochem Inspection Services im texanischen Houston hat beispielsweise der Geschäftsbereich Chemie Service die Internationalisierung vorangetrieben und unseren weltweiten Spezialistenpool für die chemische Industrie verdreifacht. Das Leistungsportfolio umfasst werkstoff- und sicherheitstechnische Untersuchungen von Anlagen sowie Umweltprüfungen.
CHEManager: Geben Sie bitte ein Beispiel für ein internationales Projekt.
Dr. Axel Stepken: Wir haben für einen Großkunden in internationalen Investitionsprojekten mit Schwerpunkt China Maßnahmen zur Qualitätssicherung und -kontrolle übernommen. Unsere Ingenieure waren direkt in die Projektteams einbezogen, als es um die Zulieferung von Anlagenkomponenten ging. Sie unterstützen in solchen Fällen z. B. bei der Apparatespezifizierung nach internationalen Standards, bei der globalen Herstellerauswahl und der globalen Apparatebeschaffung. Kunden aus der chemischen Industrie profitieren daher im besonderen Maße, dass sich unsere Leistungen über den weltweiten Zuliefermarkt für Anlagenkomponenten erstrecken. Wird sich die Liberalisierung positiv auf den Markt und die Kunden auswirken? Dr. A. Stepken: Vordergründig besteht die Möglichkeit der Kostensenkung durch Auswahl aus mehreren Dienstleistern. Langfristig werden die Betreiber jedoch darauf achten, dass die Dienstleister qualitativ hochwertige Leistungen erbringen, damit die Anlagenverfügbarkeit erhalten bleibt. Unternehmen, die eine hohe Priorität auf die Anlagenverfügbarkeit legen und somit über die Anforderungen der Betriebsicherheitsverordnung hinausgehen, werden das bisherige Sicherheitsniveau halten. Im Spezialgeschäft entscheiden wie bisher Knowhow, Qualität und Service. Die Liberalisierung wird für den Kunden ein Mehr an Entscheidungsfreiheit bringen. Gleichzeitig wird sie aber auch ein Mehr an Verantwortung auferlegen, die sich aus der Komplexität der gesetzlichen Anforderungen und Regelwerke ergibt. Einerseits sind Verordnungen abgeschafft worden. Andererseits sind neue hinzugekommen. Das ist gerade für Klein- und Mittelständische Unternehmen eine Herausforderung. Kurz: Die Anforderungen an die Unternehmen wurden nicht weniger.
CHEManager: Ist ein Spezialwissen sicher vor Preiswettbewerb?
Dr. Axel Stepken: Da bin ich zuversichtlich. Die Prüfung eines typischen Anlagenbetriebs mit 15.000 Bauteilen ist eine hochkomplexe Aufgabe. Wir verwalten beispielsweise bei einem Großkunden allein über 150.000 Stammdaten technischer Objekte, rund 450.000 Prüfbefunde, über 590.000 Einzelprüfungen und rund 1,5 Mio. Merkmalsbewertungen. Einem derartigen Projekt wird man nicht gerecht, wenn ein ganzheitliches Sicherheitsmanagement aus bloßen Preisüberlegungen außer Acht bleibt.
CHEManager: Welche Folge sehen Sie für das Sicherheitsniveau infolge der Liberalisierung?
Dr. Axel Stepken: Das wird sich erst nach Jahren oder Jahrzehnten zeigen. Derzeit ist das Qualitätsniveau im Anlagenpark sehr hoch. Mit Blick auf das Sicherheitsniveau bei überwachungsbedürftigen Anlagen sind folgende Auswirkungen denkbar: Großunternehmen können intern mehr Ressourcen für das Thema Anlagensicherheit zur Verfügung stellen. Kleinere Unternehmen werden den Freiraum, den ihnen die Liberalisierung bietet, häufig nicht in entscheidendem Maße nutzen können: Der Aufwand für Aufbau und ständige Aktualisierung des erforderlichen Know-hows würde unnötig Ressourcen aus ihrem Kerngeschäft binden. Extern wird ein Teil von ihnen aufgrund des Kostendrucks erfahrungsgemäß nicht immer auf die qualitativ hochwertigste Variante am Markt zurückgreifen. Dies kann auf lange Sicht zu einem Rückgang der Sicherheit führen.
CHEManager: Wie wollen Sie gegensteuern?
Dr. Axel Stepken: Mit unseren ganzheitlichen Anlagenkonzepten. Unsere Spezialisten begleiten Projekte und Anlagen vor Ort mit spezifisch angepassten Leistungspaketen entlang der Anlagenprozesskette über den gesamten Lebenszyklus – von der Planung und Beschaffung über die Betriebsphase bis zur Stilllegung und Rückbau. Als internationaler Dienstleister können wir eine intensive Vor-Ort-Betreuung und schnelle Reaktionen bei Problemen oder drohenden Stillständen bieten. Mit diesem Ansatz sorgen wir nicht nur für ein hohes Sicherheitsniveau bei den Kunden, sondern erreichen gleichzeitig eine Optimierung der Anlagenverfügbarkeit und leisten damit einen entscheidenden Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg.