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Transformationsprojekt für mehr Kundennähe

Mit ‘Project Brenntag‘ will der Weltmarktführer in der Chemiedistribution seine Position stärken

12.10.2020 - Mit dem Transformationsprogramm ‘Project Brenntag‘ will der Weltmarktführer in der Chemiedistribution die Grundlagen schaffen, um die Organisation zu fokussieren und die Marktpositionen auszubauen.

Vom Hauptsitz in Essen und den regionalen Zentralen in den USA und Singapur aus betreibt Brenntag ein weltweites Netzwerk mit mehr als 640 Standorten in 77 Ländern. Der Weltmarktführer in der Distribution von Chemikalien und Inhaltsstoffen erzielte 2019 mit knapp 17.500 Beschäftigten einen Umsatz von 12,8 Mrd. EUR. Seit Anfang des Jahres ist Christian Kohlpaintner CEO von Brenntag. Der Ex-Clariant-Vorstand soll das Unternehmen zu nachhaltigem organischen Ergebniswachstum führen. Mit dem Transformationsprogramm ‘Project Brenntag‘ sollen die Grundlagen geschaffen werden, um die Organisation zu fokussieren und die Marktpositionen auszubauen. Michael Reubold sprach darüber mit dem neuen Brenntag-Chef.

CHEManager: Herr Kohlpaintner, was hat Sie an dem Angebot gereizt, von der Spezialchemie in die Chemiedistribution zu wechseln und Vorstandsvorsitzender von Brenntag zu werden?

Christian Kohlpaintner: Da kommen viele Faktoren zusammen, die letztendlich zu einer solchen Entscheidung führen. Zunächst darf man sagen, dass es sicherlich hilfreich ist, wenn man von den Dingen, mit denen man Geschäfte betreibt, grundsätzlich etwas versteht. Dazu gehört die Chemie und auch das Verständnis für das, was man vermarktet. Brenntag hat ein sehr breites Leistungsspektrum, das über die klassische Chemiedistribution hinausgeht. Ich denke beispielsweise an Themen wie Anwendungstechnik, aber auch an Rezepturen, Mischungen und Formulierungen, die wir unseren Kunden weltweit anbieten.

Für diese besondere Position ist es von Vorteil, wenn man die Expertise mitbringt, die Chemieindustrie versteht und auch den globalen Charakter des Geschäfts nachvollziehen kann. Ich selbst habe in dieser Industrie viele Jahre in verschiedenen Positionen in Europa und in den USA sowie in China gearbeitet. Und ich glaube auch, dass meine Leidenschaft für die Chemiebranche insgesamt dafürgesprochen hat, auch diesen Teil der Chemieindustrie noch näher kennenzulernen.

Ihre ersten Wochen als CEO von Brenntag haben Sie sich bestimmt anders vorgestellt, als es dann kam, denn kurz nach Ihrem Amtsantritt hat die Covid-19-Pandemie Europa und Deutschland erfasst. Wie hat Brenntag die ersten Monate dieses Geschäftsjahres gemeistert?

C. Kohlpaintner: Es ist uns dank einer hervorragenden Teamleistung gelungen, die Sicherheit und Gesundheit unserer Mitarbeiter zu schützen und die Geschäfte trotz der sehr schwierigen Umstände weiterzuführen. Im ersten Halbjahr 2020 konnten wir beweisen, wie krisensicher das Geschäftsmodell ist. So haben wir die Herausforderungen, vor die die Pandemie die gesamte Industrie gestellt hat, gemeistert und solide Ergebnisse erwirtschaftet. Sie sind eine gute Basis für die zweite Jahreshälfte.

Als Bindeglied zwischen Lieferanten und Verarbeitern von Chemikalien sind Chemiedistributoren Supply Chain Manager und übernehmen auch Verantwortung für die Lieferzuverlässigkeit. Die Covid-19-Pandemie hat mancherorts die Risken globaler Lieferketten offengelegt. Welche Lehren ziehen Sie für Brenntag aus den Erfahrungen?

C. Kohlpaintner: Zunächst hat sich in der Krise die Widerstandsfähigkeit unseres Geschäftsmodells sehr deutlich gezeigt. Aber wir haben auch in dieser außergewöhnlichen Situation unsere Lieferfähigkeit sicherstellen können. Ein verlässlicher Lieferant und Partner zu sein, ist in dieser Phase sicherlich die Stärke von Brenntag gewesen. Wir sind beispielsweise auch Lieferant von Produkten, die der Gesundheitsvorsorge dienen, und haben so eine besondere Verantwortung für intakte Lieferketten, die wir in dieser Phase sehr weitreichend übernommen haben.

Es gab zwar lokal und zum Teil auch regional punktuelle Engpässe aufgrund von vorübergehenden Fabrikschließungen oder von unterbrochenen Transportketten. Diese konnten wir aber aufgrund unseres globalen Netzwerks kompensieren, sodass wir auch in der Hochphase der Pandemie weiterhin lieferfähig waren. Die global existierenden Lieferketten waren der Garant dafür, dass wir unsere Kunden beliefern konnten und insgesamt vergleichsweise gut durch diese Krise gekommen sind. Das ist sicherlich eine Stärke unserer globalen Präsenz.

Von Teilen unserer Gesellschaft werden die während der ersten Pandemiewochen zutage getretenen Lieferengpässe bei einzelnen Produkten als Scheitern der Globalisierung gedeutet.

C. Kohlpaintner: Bei aller berechtigten Besorgnis über globale Lieferketten und den damit einhergehenden Fragestellungen sollten wir nicht einer einseitigen Sichtweise auf dieses Thema verhaftet sein. Globale Lieferketten werden ihre Berechtigung auch in Zukunft haben. Die Globalisierung ist Quelle unseres Wohlstands, und es wäre falsch, wenn man diese aus politischen Motiven einschränken würde.

„Globale Lieferketten werden auch in Zukunft
ihre Berechtigung haben.“

 

Es ist auch die Stärke dieser globalen Lieferketten zu sehen, die uns in die Lage versetzten, diese Krise vernünftig zu bewältigen und die Lieferfähigkeit aufrechtzuerhalten. Das ist sehr wertvoll, weil wir so Risiken ausgleichen und Engpässe vermeiden konnten. Einzelne Engpässe herauszugreifen, bei denen die Lieferkette kurzzeitig unterbrochen war, ist Augenwischerei.

Zu Beginn Ihrer Amtszeit und vor dem Ausbruch der Pandemie ist das Transformationsprogramm ‘Project Brenntag‘ gestartet worden. Was hat es zum Ziel?

C. Kohlpaintner: Die grundsätzliche Zielsetzung ist, die unsere Wettbewerbsposition zu stärken und die Stellung von Brenntag als globaler Marktführer auszubauen. Über eine vereinfachte Organisationsstruktur und harmonisierte Prozesse werden wir noch engere Kundenbeziehungen und neue Prinzipien nutzen, damit wir zu nachhaltigem organischen Ergebniswachstum zurückkehren. Hier ist das Unternehmen in den letzten Jahren hinter seinen Möglichkeiten geblieben.

Wir haben in der ersten Jahreshälfte eine umfassende Analyse unserer Strukturen und Prozesse durchgeführt, um konkrete Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Wir sind jetzt in der Validierungsphase des Projekts angekommen und werden mit der Implementierung der Maßnahmen beginnen.

Welche konkreten Maßnahmen planen Sie?

C. Kohlpaintner: Wir werden zum Januar 2021 unsere neue operative Geschäftsstruktur in Kraft treten lassen und uns ein Stück weit von der geographischen Organisationsstruktur entfernen. Stattdessen kreieren wir zwei globale Geschäftsbereiche mit klar differenzierten Portfolien und Marktstrategien. Diese beiden Divisionen nennen wir Brenntag Essentials, kurz: BES, beziehungsweise Brenntag Specialties, kurz: BSP. So strukturieren wir das Portfolio von Brenntag neu.

„Mit den beiden Geschäftsbereichen
Brenntag Essentials und Brenntag Specialties
strukturieren wir das Portfolio von Brenntag neu.“

 

Ihr Portfolio umfasst Spezial- und Industriechemikalien, es gibt kaum eine chemische Anwendung, für die Sie nicht Produkte liefern. Die neuen Bezeichnungen lassen bereits vermuten, wie sie das Portfolio gliedern und wie sich diese Divisionen aufstellen werden.

C. Kohlpaintner: Ja. Im Geschäftsbereich Brenntag Essentials vermarkten wir ein breites Portfolio an Prozesschemikalien für eine Vielzahl von Branchen. Speziell da wollen wir unsere Größenvorteile nutzen. Die Einheit wird sich durch hohe Effizienz und eine globale Reichweite auszeichnen und sich gleichzeitig noch enger an den lokalen Gegebenheiten ausrichten.

Im Geschäftsbereich Brenntag Specialties fokussieren sich die Teams auf den Vertrieb von Inhaltsstoffen und Chemikalien sowie auf Zusatzleistungen, um mit maßgeschneiderten Lösungen noch besser auf die Bedürfnisse unserer Kunden eingehen zu können. Wir werden uns intensiv auf bestimmte Industrien fokussieren. Diese Fokusindustrien, sechs Stück an der Zahl, die wir spezifisch marktorientiert aufbauen werden, sind: Pharma, Food & Nutrition, Personal Care & Cleaning, Material Science – dazu gehören Coatings & Constructions, Polymers und Rubber -, Lubricants sowie Water Treatment. Wir kommen also noch näher an unsere Kunden.

Sie sind aus einem Spezialchemikalienunternehmen zu Brenntag gewechselt; man kann sogar sagen, aus dem Unternehmen, das den Begriff Spezialitätenchemie geprägt hat. Ein Heimspiel sozusagen …

C. Kohlpaintner: Nein, aber Brenntag ist in diesem speziellen Segment schon heute sehr gut aufgestellt und ein signifikanter Marktteilnehmer. Wir wollen das nun stärken und weiterentwickeln. Für mich ist sehr wichtig, dass wir diese zielgerichtete Marktorientierung noch deutlicher ausdrücken, in dem wie wir diese Geschäfte steuern und welche Entscheidungskriterien wir hinterlegen. Das breite Produktportfolio weiter zu fokussieren auf die Branchen, in denen Brenntag besonders gut ist, die aber auch unterschiedliche Herangehensweisen erfordern, ist für mich eine naheliegende Weiterentwicklung.

Brenntag hat relativ spät den chinesischen Markt betreten und ist dort gemessen an der globalen Marktpräsenz unterrepräsentiert. Sie waren für Clariant zuletzt mehrere Jahre in Schanghai tätig und für das Asiengeschäft verantwortlich. Wollen Sie Ihre Erfahrung nun bei Brenntag zur Expansion in der Region einbringen?

C. Kohlpaintner: Internationale Erfahrung ist eine der grundlegenden Voraussetzungen für die erfolgreiche Führung eines Konzerns dieser Größenordnung. Das asiatische Geschäft hat sich für Brenntag recht gut entwickelt. Innerhalb von 13 Jahren sind wir in Asien mit einem Umsatz von heute über 1,7 Milliarden Euro zu einem größeren Akteur geworden. Das heißt, wir haben die Potenziale Asiens durchaus gut genutzt.

China ist nicht nur der weltgrößte Markt für Chemikalien, sondern wächst auch entsprechend dynamisch. Wir haben dort derzeit noch einen Marktanteil von unter einem Prozent. Es ist daher für uns ein Muss, in China weitere Geschäftsopportunitäten zu suchen. Der chinesische Markt ist vermutlich der fragmentierteste Chemiemarkt überhaupt. Ich glaube, dass dort ein international renommierter, verlässlicher Chemiedistributeur wie Brenntag insbesondere bei einem Thema wie Transportsicherheit, das auch in China einen hohen Stellenwert genießt, marktgerechte Lösungen bereitstellen kann.

Gerade weil der chinesische Markt so groß und fragmentiert ist, sind dort inzwischen neue Mitbewerber aktiv – ich rede von Online-Plattformen wie Alibaba, die auch mit Chemikalien handeln. Wie beurteilen Sie den Wettbewerb von unabhängigen Plattformbetreibern?

C. Kohlpaintner: Ich denke, man muss hier sehr wachsam sein und verstehen, was die Position und das Geschäftsmodell solcher nicht-klassischen Wettbewerber ist.

Und man muss dagegen spiegeln, wie das eigene Geschäftsmodell ausgerichtet ist und was die eigenen Stärken sind. Das gehört zu einer aktiven Wettbewerbsanalyse und -beobachtung. Wir widmen dem Thema große Aufmerksamkeit.

Wird das klassische Modell damit in Frage gestellt? Nein. Ich glaube, der Mehrwert, den ein Chemiedistributeur heute bereitstellen kann, beispielsweise im Umgang mit gefährlichen Gütern, ist für unsere Lieferanten eine zentrale Entscheidungsgröße. Ich denke, das ist ein Wettbewerbsumfeld, das man sehr intensiv beobachten muss. Aber man darf keine Angst davor haben.

Chemikalien kann man nicht digitalisieren, wohl aber Kundenkontakte und Geschäftsabläufe bis hin zu Dienstleistungen. Haben Sie beim Thema Digitalisierung noch Nachholbedarf?

C. Kohlpaintner: Die Pandemie hat uns gezeigt, dass wir gut aufgestellt sind. Die digitale Infrastruktur zur internen Zusammenarbeit, aber auch zur Zusammenarbeit mit unseren Geschäftspartnern, Lieferanten oder Kunden hat gut funktioniert. Trotz zahlreicher Innovationen werden wir das Thema weiter intensiv vorantreiben.

Das Thema Nachhaltigkeit erfährt einen immer höheren Stellenwert in der Gesellschaft und auch in der Wirtschaft. Auch bei Brenntag?

C. Kohlpaintner: Eine gute Nachhaltigkeitsstrategie ist ein Muss für ein modernes Unternehmen, und sie muss elementarer Bestandteil, wenn nicht sogar Treiber der Unternehmensstrategie sein. Das haben meine Vorgänger bei Brenntag bereits vor vielen Jahren in Gang gesetzt. Gerade auf ein großes Chemieunternehmen wie uns kommt hier eine besondere Verantwortung zu.

„Eine gute Nachhaltigkeitsstrategie
muss elementarer Bestandteil,
wenn nicht sogar Treiber
der Unternehmensstrategie sein.“

 

Wir haben in verschiedenen Bereichen wie Umweltschutz, Sicherheit, Compliance und Beschaffung klar definierte Nachhaltigkeitsziele formuliert und arbeiten hart daran, diese Ziele zu erreichen.

Wir sind vor vielen Jahren als erster Chemiedistributeur Teil der Nachhaltigkeitsinitiative Together for Sustainability geworden, wo es darum geht, die globalen Lieferketten zu bewerten, zu auditieren und zu verbessern.

Unser Nachhaltigkeitsmanagement ist mehrfach ausgezeichnet worden. Zum sechsten Mal in Folge haben wir den EcoVadis-Goldstatus erreicht. Und kürzlich habe ich mit zahlreichen anderen CEOs von Unternehmen auf der ganzen Welt das ‘Global Compact Statement of Business Leaders for Renewed Global Cooperation‘ der Vereinten Nationen unterzeichnet. Diese Initiativen sind mehr als nur Unterschriften für uns, sie sind Teil unseres Selbstverständnisses für eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens, aber auch der Industrie insgesamt.

Spüren Sie ein noch größeres Engagement seitens Ihrer Lieferanten und eine zunehmende Nachfrage Ihrer Kunden nach nachhaltigeren Produkten und Lösungen?

C. Kohlpaintner: Der Grad der Aufmerksamkeit in den Unternehmen – seien es unsere Lieferanten oder Kunden – hat deutlich zugenommen. Ich denke, es ist das klare Verständnis der gesamten Industrie, dass das Thema Nachhaltigkeit ein maßgeblicher Treiber in unseren Überlegungen und strategischen Entscheidungen sein muss.

ZUR PERSON
Christian Kohlpaintner (Jahrgang 1963) ist seit dem 1. Januar 2020 Vorstandsvorsitzender von Brenntag. Der promovierte Chemiker verfügt über mehr als 25 Jahre Managementerfahrung in der chemischen Industrie, u.a. in China und den USA, wo er mehrere Jahre gelebt und gearbeitet hat. Nach dem Chemiestudium an der TU München arbeitete Kohlpaintner zunächst bei Hoechst in verschiedenen Positionen in Deutschland und den USA, bevor er zu Celanese wechselte, wo er u.a. als Marketingdirektor und Vizepräsident für den Bereich Innovationen zuständig war. Ab 2003 war Kohlpaintner für die Chemische Fabrik Budenheim tätig, zuletzt als CEO. 2009 kam er als Mitglied der Konzernleitung zu Clariant in die Schweiz und war dort zuletzt u.a. für die Region Asien verantwortlich.

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