Technik gemeinsam gestalten
Acatech-Projekt untersucht Methoden zur frühen Einbindung der Öffentlichkeit in die Technologieentwicklung
Wann sollte die Öffentlichkeit in die Entwicklung einer neuen Technologie eingebunden werden? Welche Methoden eignen sich dafür? Damit befassten sich Prof. Armin Grunwald, Institutsleiter für Technikfolgenabschätzung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), und Prof. Alfred Pühler von der Universität Bielefeld im Projekt „Technik gemeinsam gestalten“ der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech). Dr. Andrea Gruß sprach mit Projektleiter Prof. Grunwald über Methoden und Rahmenbedingungen für eine höhere Technikakzeptanz.
CHEManager: Herr Prof. Grunwald, wie technikfeindlich sind die Deutschen wirklich?
Prof. A. Grunwald: Sieht man von wenigen Ausnahmen, wie der Kernenergie und der grünen Gentechnik ab, ist die weit verbreitete Sorge um eine mangelnde Technikakzeptanz unbegründet. Die vermeintliche Technikfeindlichkeit der Deutschen geht auf eine Aussage von Franz Josef Strauß in den 1980er Jahre zurück. Seitdem wurde sie vielfach empirisch widerlegt, unter anderem durch eine Acatech-Studie aus dem Jahr 2011 zur Akzeptanz von Technik und Infrastrukturen. Und dennoch ist der Glaube an eine mangelnde Technikakzeptanz weit verbreitet.
Worauf führen Sie Proteste, zum Beispiel gegen Fracking, zurück, wenn nicht auf eine mangelnde Akzeptanz der Technologie?
Prof. A. Grunwald: Hinter der Ablehnung stehen oft andere Gründe als die Technik selbst. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt Stuttgart 21: Niemand hat etwas gegen Eisenbahnen, trotzdem kam es zu einer gewaltigen Protestwelle. Ähnliche Proteste beobachten Sie im Übrigen auch, wenn zum Beispiel ein Kindergarten in einer ruhigen Siedlung gebaut werden soll. Meine These hierzu ist: Menschen, denen es gut geht – und vielen Menschen in Deutschland geht es gut – wehren sich dagegen, dass ihre Lebensqualität durch Dinge eingeschränkt oder auch nur gestört wird, über die ohne ihre Teilhabe entschieden wurde. Es geht um das Wie. Die Menschen wollen nicht, dass solche Themen über ihren Kopf hinweg entschieden werden. Zudem sind sie schnell bereit, Risiken in Kauf zu nehmen, wenn sie einen persönlichen Vorteil sehen. So hat die Elektrosmog-Debatte der Akzeptanz von Handys nicht geschadet.
Welche Rolle spielt Vertrauen für die Akzeptanz von Technik?
Prof. A. Grunwald: Wir leben in einer hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft, diese lässt sich nur durch Vertrauen aufrechterhalten. Allerdings führt der Wunsch nach Akzeptanz manchmal zu Verhaltensweisen, die genau das Gegenteil bewirken. So wurde beispielsweise bei Chemieunfällen in den 1980er Jahren in Pressemitteilungen veröffentlicht, dass kein Anlass zur Sorge bestünde, bevor den Verfassern überhaupt bekannt war, welche Stoffe ausgetreten waren. Dabei verspielte die Industrie Vertrauen. Ähnlich bei der Kernenergie oder der grünen Gentechnik, bei der Wissenschaftler und Manager selbstbewusst behaupteten: „Wir haben alles unter Kontrolle. Es gibt kein Risiko. Und wer etwas anderes sagt, der lügt oder hat keine Ahnung.“
Für die Nanotechnologie wurde eine vergleichbare Kommunikationskatastrophe erwartet. Doch die Experten agierten bescheiden und redeten offen über mögliche Risiken und Forschungen zu ungeklärten Fragen. Auf diese Weise beruhigte sich die öffentliche Diskussion schnell.
Früh über Risiken zu reden, die Sorgen der Menschen zu hören und ernst zu nehmen kann Vertrauen aufbauen.
Sollten Ihrer Meinung nach Wissenschaftler mehr über „Nichtwissen“ reden?
Prof. A. Grunwald: Wissenschaft steht traditionell für Sicherheit, für sicheres Wissen. Unsicherheit gilt dagegen als Defizit. Dem Wort haftet etwas Negatives an. Man denkt im Kontext von Unsicherheit schnell an Risiken und weniger an Chancen. Deshalb wird Nichtwissen oft verschwiegen beziehungsweise es wird eine vermeintliche Sicherheit kommuniziert. Doch das kann fatale Folgen haben, denn in einer vernetzten Gesellschaft ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Strategie auffliegt. Wir müssen daher eine Kommunikationskultur schaffen, die es erlaubt, früh über Unsicherheiten und Risiken zu sprechen. Denn Unsicherheit hat ja auch eine positive Seite: Sie steht für eine offene Zukunft, die man gestalten kann.
Technik gemeinsam gestalten – mit diesem Thema haben Sie sich mit Prof. Alfred Pühler in einem Acatech-Projekt befasst, dessen Ergebnisse vor Kurzem veröffentlicht wurden. Was gab den Anlass für das Projekt?
Prof. A. Grunwald: Ausgangspunkte waren die Handlungsempfehlungen einer Acatech-Analyse zur Biotechnologie-Kommunikation aus dem Jahr 2012. Darin empfiehlt die Akademie unter anderem, die Öffentlichkeit frühzeitig in einen Dialog zu neuen Technologien einzubinden und dabei Expertenwissen und Laienwahrnehmung als einander ergänzend und nicht als gegensätzlich wahrzunehmen. Außerdem werden dort Ansätze für die Wissenschaftskommunikation beschrieben, die wir in unserer Studie experimentell für das Technologiebeispiel der künstlichen Fotosynthese angewandt haben.
Der Schwerpunkt unserer Studie war ein methodischer. Wir untersuchten, ob der Ansatz der Technikzukünfte den Dialog zwischen Wissenschaftlern und Laien fördert.
Was sind Technikzukünfte?
Prof. A. Grunwald: Die Methode der Technikzukünfte übersetzt Forschungsergebnisse in Geschichten, die beschreiben, wohin die Reise gehen könnte. Technikzukünfte – es gibt immer mehrere mögliche, die durch Technologien beeinflusst werden – beschreiben sowohl die Gesellschaft als auch die Technik. Sie können unterschiedlicher Gestalt sein, zum Beispiel wissenschaftliche Vorausschauen, literarische oder filmische Science-Fiction-Szenarien oder Medienberichte. Wir haben verschiedene Zukunftsgeschichten für die künstliche Fotosynthese auf Dialogveranstaltungen gemeinsam mit interessierten Laien, Studierenden, Schülern und Lehrkräften entwickelt. Dabei haben wir unterschiedliche Formate getestet, vom Science Café über ein Seminar bis hin zum Comic-Workshop.
Warum haben Sie mit der künstlichen Fotosynthese eine Technologie für Ihre Kommunikationsexperimente genutzt, die noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium ist?
Prof. A. Grunwald: Stellen Sie sich vor, Sie stehen am Unterlauf des Rheins und wollen ihn umleiten. Das wird Ihnen nicht gelingen. Je näher zur Quelle, umso leichter geht das aber. Diesen „Moving-Upstream“-Ansatz nutzen wir auch bei der Kommunikation über Technikzukünfte. Je früher Sie über eine Technologie und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft öffentlich diskutieren, umso größer sind die Gestaltungsmöglichkeiten. Die künstliche Fotosynthese befindet sich noch in einem frühen Forschungsstadium. Es gibt noch keine Infrastrukturen oder Produkte, von denen potenzielle Gefahren ausgehen können. Das ist ein Vorteil. Der Nachteil: Es ist schwierig, das Interesse der Öffentlichkeit für eine Technologie zu wecken, die sie noch gar nicht kennt beziehungsweise die sie noch nicht betrifft.
Zu welchem Ergebnis kommt die Studie? Können Technikzukünfte eine höhere Akzeptanz für neue Technologien erzeugen? Beschleunigt die Methode den Innovationsprozess?
Prof. A. Grunwald: Ob Technikzukünfte eine höhere Akzeptanz erzeugen, können wir empirisch nicht belegen. Ich halte die Vermutung jedoch für sehr plausibel. Im Übrigen lässt sich Akzeptanz nicht „erzeugen“. Sie stellt sich ein oder sie stellt sich nicht ein. Wissenschaft und Politik können lediglich die Rahmenbedingungen schaffen, unter denen Akzeptanz wahrscheinlicher oder weniger wahrscheinlich entsteht.
Was Ihre Frage zum Innovationsprozess angeht, auch hierzu gibt es noch keine empirischen Daten. Allerdings äußerten Wissenschaftler, die an einigen unserer Dialogveranstaltungen teilgenommen haben, dass sich die Teilnahme für sie gelohnt habe. Inwieweit das die Technologieentwicklung bereichert, muss sich zeigen.
Unser Fazit ist: Expertenwissen muss um Laienwahrnehmung, um gesellschaftliche Werte und Visionen ergänzt werden. Nur so können robuste Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden, hinter denen die Gesellschaft auch steht. Teilhabe oder Citizen Science sind wichtig für den konstruktiven Technikdialog mit Bürgern. Ein Patentrezept für die Einbindung der Öffentlichkeit gibt es dabei jedoch nicht.