Anlagenbau & Prozesstechnik

Smarte Produktionsstandorte

Wie die Digitalisierung von Chemieparks und -Baustellen gelingt

21.03.2023 - Auf dem Weg zu smarten Produktionsstandorten setzen immer mehr Unternehmen auf mobile Apps und Cloud-Plattformen, um mittels IoT in der Site zu interagieren.

Mit der zunehmenden Konnektivität mittels Cellular, Wifi, Low Power WAN und 5G in der Site haben sich die Bedingungen für eine weitgehende Digitalisierung von Investitions- und Instandhaltungsprojekten und gesetzlich vorgeschriebenen Revisionen stark verbessert. Gerade in der aufwändigen Interaktion mit Kontraktoren und externen Handwerkern ermöglichen Cloud-basierte Plattformen im Zusammenspiel mit dem Smartphone oder Tablet eine deutlich schnellere und pannenfreiere Zusammenarbeit.

Ein erster wichtiger Schritt für die Unternehmen kann z.B. die Verlagerung der aufwändigen Sicherheitseinweisung in eine App sein. Statt erst am Werkstor bekommen Handwerker ihre Informationen und Zertifikate schon im Vorfeld auf mobilen Endgeräten. Damit lassen sich erhebliche Wartezeiten sparen. Auch die Gasfreigabe für Ausrüstungen profitiert von einer mobilen App, die in einem gemeinsamen Projekt mit einer Raffinerie entwickelt wurde.

Zeiteinsparungen auf der Baustelle

Ein Kontraktor mit dem Auftrag, Ausrüstungen zu demontieren oder zu montieren, sieht im Zugriff auf das Cloud-Kontraktorenportal auf seinem mobilen Device alle wichtigen Infos zentral. Dazu gehören Standortrichtlinien, Standort der Ausrüstungen, Wetterbedingungen, Hinweise zur Anfahrt und zum aktuellen Turn­around- oder Capex-Projekt.
Im Portal steht zudem die Sicherheits- und Arbeitseinweisung zur Verfügung. Damit externe Mitarbeitende schon vor Betreten der Baustelle einen Zutrittsausweis erhalten, statt am Tor darauf zu warten, können sie vorab neben dem Sicherheitszertifikat mit der App ein Selfie an den Werkschutz senden. Bei tausenden Menschen in einer Site sind die Zeitersparnisse erheblich, denn typischerweise bilden sich lange Schlangen am Tor. Auch die Besucheranmeldung für bestimmte Ansprechpartner in der Site ist mobil möglich.

Kurze Wege im digitalen Lageplan

Eine Ausrüstung gasfrei zu messen, dauert laut Einschätzung von Unternehmen aus der Prozessindustrie rund drei Stunden. Bei größeren Anlagen müssen tausende solcher Ausrüstungen gasfrei gemessen werden. Durch eine App kann dieser Prozess mit einem Authentifizierungsmechanismus für die Gasmessexperten auf 20 Minuten beschleunigt werden. Mit neuen Bluetooth-basierten Gasmessgeräten wird es zudem möglich, Gaswerte direkt in die App zu übertragen.
Viele Chemieparks sind sehr groß und haben Ausdehnungen bis zu 10 km. Ein digitaler Lageplan kann dabei helfen, immer genau anzuzeigen, wohin ein Handwerker für seine Aufgabe gelangen muss. Damit lässt sich der oft noch anzutreffende, umständliche Papierlageplan abschaffen. Teilweise sind in Chemieparks schon solche „Site Guides“ als mobile Lagepläne im Einsatz, mit denen ähnlich wie mit Google Maps navigiert werden kann.

 

„Nachhaltigkeit und damit verbundene Nachweispflichten erfordert perspektivisch die Bereitstellung von Daten aus digitalen Zwillingen.“    

 

Durchlaufzeitverkürzung bei der Rückmeldung

Daneben stehen rollenbasiert in einer Rückmelde-App-Suite auch die Arbeitsaufträge bereit. Eine Objekt-Tracker-App lokalisiert Ausrüstungen mittels der an ihnen angebrachten QR-Codes („Digitale Typenschilder“), zeigt ihre Lifecycle-Daten und ihren Standort an. Statt also mit dem Papierlaufzettel auf dem Riesengelände nach der Ausrüstung zu suchen, wird es digital deutlich einfacher. Eine der größten Raffinerien in Deutschland konnte durch den Einsatz der mobilen Rückmeldung im Turnaround zwischen 30 und 40 % Durchlaufzeitverkürzung im Rückmeldeprozess erzielen.

Die Arbeiten an einer Ausrüstung können als Jobpaket organisiert werden, so dass sich unterschiedlichen Kontraktoren verschiedene Tätigkeiten zuweisen lassen. Ist eine Aufgabe erledigt, wird gleich die nächste angestoßen. Das beschleunigt die Interaktion und Wechselwirkung zwischen den einzelnen Rollen. Bauleiter und Teamleiter werden zeitnah über die interaktive Tapete auf großen Bildschirmen aus der Cloud informiert, die in time den aktuellen Fortschritt visualisiert. Damit lassen sich neben Papier und Zeit auch Baucontainer einsparen, in denen die Tapeten traditionell für Bauleitermeetings aufgehängt wurden.

Schritt für Schritt zum Digital Twin

Mit zunehmender Konnektivität in der Site setzen sich im Bereich Instandhaltung und Sicherheit immer stärker Smart Assets durch. Das sind klassische Ausrüstungen, die mit Sensorik ausgestattet werden und ihre Zustandsdaten melden, etwa intelligente Flansche, Kondensatableiter, Pumpen oder Rohrleitungen. Eine App zur zustandsbasierten Visualisierung dieser IoT-Sensordaten – ähnlich wie beim Smart Home – bringt viele Vorteile. In Kombination mit KI-Algorithmen und der Plattform als zentralem Daten-Hub wird so Predictive Maintenance möglich.

Ein Beispiel hierfür ist das neuartige Portfolio von IIOT-Lösungen von Henkel und Cosmo Consult, die in einer langfristigen strategischen Partnerschaft zusammenarbeiten. Ziel ist es, Ausfallzeiten von Anlagen zu minimieren, Wartungskosten zu sparen und Sicherheit sowie Nachhaltigkeit zu erhöhen. Dem Motto „Engineered by Henkel – Developed by Cosmo Consult“ folgend, werden die auf neuartiger Sensortechnik basierenden Lösungen durch Henkel
technisch entwickelt sowie vertrieben und durch Cosmo Consult softwareseitig umgesetzt. Das erste Produkt unter Henkels neuer Marke Loctite Pulse, der „Smart Flange“, ist ein intelligentes Leckage-Monitoring an Flanschen. Die zugehörige App wurde von Cosmo Consult TIC softwaretechnisch umgesetzt und läuft auf der Azure IoT Cloud. Sie bringt IoT & Smart Home-Funktionalität für die vorausschauende Instandhaltung über eine mobile App in die Industrie.

Auf der Basis einer digitalen Plattform lassen sich zudem die heute getrennten Welten der Prozessleitsysteme, des Digital Engineering, der Prozesssimulation, aber auch der kaufmännischen ERP-Systeme integrieren. Die Plattform bildet zugleich die Grundlage für die Umsetzung des Digital Twin: Das Thema Nachhaltigkeit und damit verbundene Nachweis­pflichten, das von der EU regulatorisch vorangetrieben wird, erfordert perspektivisch die Bereitstellung von Daten aus digitalen Zwillingen. Dafür sind jedoch viele Vorarbeiten nötig. Auf Baustellen und bei Revisionen nehmen Unternehmen viel Geld in die Hand. Hier lohnt es sich deshalb besonders, die Digitalisierung gleich mit anzugehen, denn viele ihrer Effekte sind sehr schnell greifbar.

Autor: Udo Ramin, Director of Competence Center Industry 4.0 & IoT, Cosmo Consult Group, Magdeburg

 

„Ein erster Schritt zur Digitalisierung in den Chemieparks kann die Verlagerung der aufwändigen Sicherheitseinweisung in eine App sein.“

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