Märkte & Unternehmen

Sauberer Wasserstoff – ein Markt mit Potenzial

Linde strebt eine Vervierfachung seines Wasserstoffumsatzes an

07.08.2020 - Mit Investitionen in Elektrolysekapazitäten und die Infrastruktur will Linde sein Wasserstoffgeschäft weiter ausbauen.

Von der Erzeugung und Verflüssigung über Lösungen für Transport und Speicherung bis zum Betanken wasserstoffbetriebener Fahrzeuge – als einer der weltgrößten Wasserstoffanbieter deckt Linde alle Stationen der Wasserstoff-Wertschöpfungskette ab. Die zunehmende Bedeutung des Gases als nachhaltiger Energieträger birgt weiteres Wachstumspotenzial für das Wasserstoffgeschäft des weltweit agierenden Konzerns. Andrea Gruß befragte David Burns, Vice President und Leiter Linde Clean Hydrogen, zu Marktpotenzial und Investitionen im Bereich sauberen Wasserstoffs.

CHEManager: Herr Burns, welche Bedeutung hat das Wasserstoffgeschäft für Linde heute? 

David Burns: Linde ist im Bereich Wasserstoff weltweit führend. Wir erwirtschaften heute global rund 2,2 Mrd. USD Umsatz durch Wasserstoff und haben 6,5 Mrd. USD Kapital investiert. Wir sind von Anfang bis Ende an der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette beteiligt. Wir betreiben mehr als 120 Dampfreformierungsanlagen auf Basis von Erd- oder Biogas, rund 1.000 km Wasserstoff-Pipelines und verfügen sowohl in den USA als auch in Europa über große Verflüssigungskapazitäten. Wir unterhalten sogar die weltweit erste kommer­zielle ­Speicherkaverne für hochreinen Wasserstoff an der US-Golfküste. Sie kann 70 Mio. m3 Wasserstoff aufnehmen – ein Volumen, das 27 Mal größer ist als die Cheops-Pyramide von Gizeh. Man kann also ganz wörtlich sagen: Wasserstoff ist bei Linde riesig. 

„Die Linde-Speicherkaverne für hoch-
reinen Wasserstoff an der US-Golfküste
kann 70 Mio. m3 Wasserstoff aufnehmen
– ein Volumen, das 27 Mal größer ist
als die Cheops-Pyramide von Gizeh.“


Wie wird es sich in Zukunft entwickeln?

D. Burns: Da Wasserstoff, vor allem sauberer Wasserstoff, durch die Dekarbonisierung nun als globaler Megatrend durchstartet, erwarten wir, dass das Gas für Linde in Zukunft eine noch größere Rolle spielen wird. Es wird noch einige Jahre dauern, bis der Markt sein volles Potenzial entfaltet, aber wir streben eine Vervierfachung unseres Wasserstoffumsatzes an. 

Für welche Ihrer Abnehmerindustrien gewinnt grüner Wasserstoff an Bedeutung und warum? 

D. Burns: Für die Nutzung von sauberem Wasserstoff spielt heute der Verkehrssektor eine führende Rolle. Es besteht ein großes Interesse an Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeugen, typischerweise für schwerere Nutzfahrzeuge wie Lastwagen, Busse und Züge. Wir denken, dass dies der Bereich sein wird, in dem zunächst viel sauberer Wasserstoff benötigt wird. Wir sind hier mit der Technologie unseres Hydrogen-­FuelTech-Geschäfts gut posi­tioniert – Linde hat fast 200 Wasserstofftankstellen weltweit installiert, und diese Zahl wächst. Aber auch in anderen Bereichen, darunter Stahl, Rohstoffe und Raffination, wird Entwicklungsarbeit geleistet.

Raffinerien stehen unter zunehmendem Druck, ihren Kohlenstoffdi­oxid-Fußabdruck zu reduzieren, und die Beimischung von grünem Wasserstoff ist eine Möglichkeit, dies zu unterstützen. Aber auch Ammoniak kann nachhaltig hergestellt werden, indem man Wasserstoff verwendet, der durch Elektrolyse gewonnen wird, die bei Verwendung erneuerbarer Energie die Ammoniakproduktion somit von fossilen Brennstoffen entkoppelt. Dies hat eine enorme Bedeutung, da 50 % unserer weltweiten Nahrungsmittelproduktion derzeit auf den Einsatz von Düngemitteln auf Ammoniakbasis angewiesen ist, um die Ernteerträge zu steigern. 

Hinzu kommen noch Anwendungen im Energiebereich. Bei Power-­to-X-Technologien kann Wasserstoff vorteilhaft als Pufferspeicher zur Unterstützung erneuerbarer Energiequellen eingesetzt werden. Strom aus Wind- und Solarenergie ist damit sehr flexibel einsetzbar und kann dann zur Verfügung gestellt werden, wenn er tatsächlich benötigt wird. Ein gutes Beispiel dafür ist der Energiepark Mainz, die derzeit weltweit größte saubere Wasserstoffanlage mit PEM-Elek­trolysetechnologie.

„Es wird noch einige Jahre dauern, bis
der Markt sein volles Potenzial entfaltet,
aber wir streben eine Vervierfachung
unseres Wasserstoffumsatzes an.“


Linde selbst wagte kürzlich den Einstieg in die Elektrolyse-Technologie. Welche Ziele verfolgen Sie im Rahmen des Joint Venture mit ITM Power?

D. Burns: Mit unserer strategischen Investition in ITM Power, einem führenden Hersteller von Elek­trolyseuren, und dem gemeinsamen Joint Venture ITM Linde Electrolysis haben wir die Elektrolyse in unser Portfolio aufgenommen. Das ist angesichts der Richtung, in die sich der Wasserstoffmarkt entwickelt, und des von uns erwarteten Wachstums natürlich ein großer Vorteil. Beide Unternehmen verfolgen derzeit viele interessante Projekte: ITM Power entwickelt gerade am Shell-Raffineriestandort Wesseling die weltweit größte kommerzielle PEM-Elek­trolyseanlage – mit 10 MW. Die Projektpipeline von ITM Linde Electrolysis umfasst nahezu 60 Vorhaben in der EU mit einer Gesamtkapazität von 3,6 GW – davon fast 600 MW in Deutschland. 

Linde hat auch in Hydrospider in der Schweiz investiert, ein Konsortium, das Wasserstoff mittels Wasserkraft und Elektrolyse produziert. Dieser saubere Wasserstoff wird in wenigen Monaten 40 – 50 Wasserstoff-Brennstoffzellen-Lastwagen antreiben. Und tatsächlich sind – während wir gerade dieses Interview führen – die ersten zehn brennstoffzellenbetriebenen Lkw auf dem Weg in die Schweiz. 

Wir sind zuversichtlich, dass diese und andere Projekte, die sich entwickeln, die Akzeptanz von sauberem Wasserstoff erhöhen werden.

„Wir sind hier mit der Technologie unseres Linde
Hydrogen-FuelTech-Geschäfts gut positioniert –
fast 200 Wasserstofftankstellen weltweit sind
installiert, und diese Zahl wächst.“


Planen Sie weitere Investitionen im Kontext der nationalen Wasserstoffstrategien, die jetzt in vielen Ländern der Welt auf den Weg gebracht werden?

D. Burns: Auf jeden Fall wollen wir in allen wichtigen Wasserstoffmärkten weiter wachsen. Im Juli unterzeichneten Linde und Beijing Green Hydrogen Technology Development, eine Tochtergesellschaft von China Power International Development, eine Absichtserklärung zur gemeinsamen Förderung der Anwendung und Entwicklung von sauberem Wasserstoff in China. Wir werden bei einer Vielzahl von Initiativen für sauberen Wasserstoff zusammenarbeiten, einschließlich der Forschung und Entwicklung im Bereich der Wasserstofftechnologie und der Umsetzung von sauberen Wasserstoff-Mobilitätslösungen während der ersten Olympischen Winterspiele 2022 in China.

Eine weitere kürzlich getroffene Vereinbarung mit CNOOC Energy Technology & Services, einer Tochtergesellschaft der China National Offshore Oil Corp. (CNOOC), zielt in die gleiche Richtung. Gemeinsam werden wir die Möglichkeit prüfen, in Wasserstoffproduktions- und -abfüllanlagen zu investieren und die Nutzung von Wasserstoff in industriellen Anwendungen sowie in der Mobilität zu fördern.

Wenn wir über Wasserstoffmobilität sprechen, freuen wir uns besonders auf die Lieferung von Wasserstoff an die weltweit ersten brennstoffzellenbetriebenen Personenzüge im kommerziellen Einsatz. Nach einer erfolgreichen 18-monatigen Testphase baut und betreibt Linde im niedersächsischen Bremervörde eine Wasserstoff-Tankstelle mit einer Kapazität von 1.600 kg Wasserstoff pro Tag, die voraussichtlich Anfang 2022 in Betrieb gehen wird. Die Station wird mit der Möglichkeit einer zukünftigen Wasserstofferzeugung vor Ort mittels Elektrolyse errichtet. Dies ist ein weltweit führendes Projekt, und wir freuen uns, eine Schlüsselrolle dabei zu spielen.

ZUR PERSON
 

David Burns ist Vice President und Leiter Linde Clean Hydrogen mit Sitz in Pullach, Deutschland. Zuvor war er bei Linde als Vice President für die globale Geschäftsentwicklung im Bereich Wasserstoff und Syngas zuständig. Burns kam im Jahr 2005 zu Linde (ehemals Praxair) und hat seitdem maßgeblich zur Entwicklung neuer Geschäfte in der Wasserstoff- und Energieindustrie weltweit beigetragen. Vor seiner Tätigkeit bei der ehemaligen Praxair hatte er verschiedene Managementpositionen bei Dow Chemical inne. Burns hat einen Bachelor of Science und einen Doktortitel in Chemieingenieurwesen von der Universität Leeds in Großbritannien und einen MBA von der University of Texas in Austin.

Kontakt

Linde AG

Seitnerstr. 70
82049 Pullach
Deutschland

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