Forschung & Innovation

Transformation ökonomisch analysieren

Wie Unternehmen fundierte wirtschaftliche Entscheidungen im Kontext von Innovationen treffen können

17.04.2024 - Interview mit Daniela Pufky-Heinrich, Abteilungsleiterin Technologieökonomik und -management im Fraunhofer IMW in Leipzig

Die Chemieindustrie steht bei der Transformation zur grünen Chemie vor vielfältigen kostenintensiven Herausforderungen, insbesondere im Kontext der Energiewende und der Notwendigkeit zur Förderung der nachhaltigen Chemie. Dies gilt vor allem für die Chemieunternehmen und Chemieparks im mitteldeutschen Kohlerevier. Innerhalb des Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie IMW in Leipzig konzentriert sich ein Team aus Chemikern, Wirtschaftsinformatikern und -ingenieuren sowie Betriebs- und Volkswirten auf die ökonomische Analyse technologischer Innovationen und hat dabei die unternehmerische, gesellschaftlich-sozialökonomische und volkswirtschaftliche Perspektive im Blick. Jörg Wetterau sprach mit Daniela Pufky-Heinrich, Abteilungsleiterin Technologieökonomik und -management und Leiterin des Center for Economics and Management of Technologies CEM, der Außenstelle des Fraunhofer IMW in Halle (Saale), über die Herausforderungen, wie die Chemie in der mitteldeutschen Region den Transfer in die Zukunft schaffen kann.

CHEManager: Frau Pufky-Heinrich, wo sehen Sie die großen Herausforderungen für die Chemieindustrie in Mitteldeutschland?

Daniela Pufky-Heinrich: Die Chemieindustrie steht vor vielfältigen kostenintensiven Herausforderungen, insbesondere im Kontext der Energiewende und der Notwendigkeit zur Förderung der nachhaltigen Produkte und Prozesse. Wir stehen nicht nur im mitteldeutschen Revier vor immensen Investitionen, um die Transformation anzustoßen. Wir sehen Herausforderungen in der Umstellung auf nachhaltige Ressourcen, die Integration erneuerbarer Energien und die Entwicklung geschlossener Kreisläufe. Hierbei spielen Wasserstofflieferketten eine entscheidende Rolle. Im Bereich der Wasserstoffökonomie fokussieren wir uns dabei auf die wirtschaftlichen Aspekte der Integration von Wasserstoff in die chemische Industrie. Das Fraunhofer IMW kann hier durch Forschungsprojekte und Expertenwissen unterstützen, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln und Akteure der chemischen Industrie zu stärken.

Welches Stimmungsbild nehmen Sie bei Gesprächen mit Chemieunternehmen auf?

D. Pufky-Heinrich: Wir arbeiten seit Jahren sehr eng mit der mitteldeutschen Chemieindustrie und den Chemieparks zusammen. Für die Chemieunternehmen sind die großen Herausforderungen fast immer die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen und die teils fehlende politische Unterstützung. Daher werden große Investitionen gescheut, weil unklar und unsicher ist, ob es wirtschaftlich tragfähig ist. Es gibt einerseits Unternehmen, die haben richtig Lust auf Transformation, die engagieren sich sehr stark und wollen investieren. Andere Chemiebereiche wie Raffinationsbetriebe sehen ihre Geschäftsmodelle dauerhaft in Gefahr, da herrscht natürlich Krisenstimmung. Die müssen erst einmal neue Perspektiven für sich finden. In Gesprächen und Diskussionen versuchen wir hier zunächst mögliche Ansatzpunkte zu finden, die dann in konkreten Projekten ausgearbeitet werden können. Als Forschungsdienstleister entwickeln wir gemeinsam Zukunftsbilder und bewerten diese Zukunftsszenarien auf ihre Umsetzbarkeit. Wir unterstützen beispielsweise Unternehmen in den mitteldeutschen Industrie- und Chemieparks, den Einsatz nachhaltiger Rohstoffe zu evaluieren, oder bei Ansiedlungsstrategien.

 

„Die Chemieindustrie kann unter den passenden Rahmenbedingungen eine Vorreiterrolle einnehmen.“

 

Was verstehen Sie unter dem Begriff Technologieökonomik?

D. Pufky-Heinrich: In unserem Kontext beschreibt Technologieökonomik die Wechselwirkung zwischen Technologien und Wirtschaft. In diesem Zusammenhang erforschen wir die ökonomischen Auswirkungen und Potenziale neuer Technologien in der Chemieindustrie. Das Ziel ist, Unternehmen und Indus­trieakteure dabei zu unterstützen, fundierte wirtschaftliche Entscheidungen im Kontext von Innovationen zu treffen. Wir entwickeln dafür Tools, Modelle und Methoden, um der Chemieindustrie Entscheidungshilfen mitzugeben und Technologien zu bewerten. Was bringt beispielsweise die Umstellung auf neue Technologien, wie verträgt sich die Transformation auf grünen Wasserstoff gesamtgesellschaftlich, welche Wertschöpfungsnetzwerke lassen sich so gestalten? Durch unsere Forschung und Expertise im Bereich Technologieökonomik und -management unterstützen wir Unternehmen dabei, innovative Lösungen zu entwickeln. Speziell unser neu ausgerichtetes Center for Economics and Management of Technologies CEM widmet sich der ökonomischen Analyse transformativer Investitionen.

Welche Spezialgebiete besetzen Sie mit Ihrem Team innerhalb des Fraunhofer IMW?

D. Pufky-Heinrich: Wir untersuchen insbesondere Themen wie Ressourcen­effizienz, Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Technologien in der Chemieindustrie. Dabei spielen die ökonomischen Auswirkungen von Innovationen eine zentrale Rolle. Die Leitfrage ist dabei immer: Wie können wir Innovationen ökonomisch validieren und begleiten und in die Unternehmen transferieren? Wir verbinden dabei Theorie und Praxis in der Schnittmenge Wissenschaft und Wirtschaft und verstehen uns als das Bindeglied speziell im Bereich Technologieentwicklung, aber auch im industriepolitischen Diskurs. Wir entwickeln dazu eine eigene Sprache im Kontext der Wissenschaftskommunikation, die sowohl für Technologen als auch Ökonomen und Politologen verständlich ist.

Wie kann die chemische Industrie von der Zusammenarbeit profitieren?

D. Pufky-Heinrich: Unser Forschungsbereich Technologieökonomik und -management bietet gezielte Unterstützung für die chemische Industrie. Durch unsere Forschung identifizieren wir wirtschaftlich nachhaltige Transformationspfade, insbesondere im Hinblick auf die genannten Herausforderungen. Wir entwickeln praxisnahe Lösungen, die die Chemieindustrie dabei unterstützen, sich den Herausforderungen der Grünen Chemie, Energiewende und Kreislaufwirtschaft erfolgreich zu stellen. Ein Beispiel sind Konzepte für eine treibhausgasneutrale Chemie unter Erhalt der Wertschöpfung. Hier sind individuelle Lösungsansätze wichtig, da jeder Produktionsstandort seine eigenen Spezifikationen und infrastrukturelle Herausforderungen hat, die berücksichtigt werden müssen.

In Delitzsch in Sachsen wird es bald ein Großforschungszentrum, das Center for the Transformation of Chemistry – CTC – geben. Wie wichtig sind solche Zentren für das mitteldeutsche Kohlerevier und welche Möglichkeiten ergeben sich hier in der Zusammenarbeit für das Fraunhofer IMW?

D. Pufky-Heinrich: Die Schaffung eines Großforschungszentrums wie dem CTC ist von großer Bedeutung für das mitteldeutsche Kohlerevier, um diese Region nachhaltig als Chemiestandort zu stärken. Solche Zentren bieten die Möglichkeit, Forschung, Industrie und Politik zu vernetzen und gemeinsam an nachhaltigen Lösungen zu arbeiten und auch überregional Impact zu entwickeln. Zudem ergeben sich Möglichkeiten zur Ansiedlung von Start-ups und zuliefernden Unternehmen. Die Fraunhofer-Gesellschaft wird als kompetenter und erfahrener Forschungspartner agieren. Insbesondere für die regionalen Fraunhofer-Einrichtungen eröffnen sich hier als komplementärer Partner für die angewandte Forschung mit ihrem Skalierungs- und Transfer-Know-how vielfältige Kooperationsmöglichkeiten.

Die chemische Industrie steht vor der Transformation weg von fossilen Ressourcen. Das Fraunhofer IMW unterstützt in diesem Rahmen den Aufbau des „HoT – House of Transfer“ des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme IWES. Welche Rolle übernehmen Sie dabei?

D. Pufky-Heinrich: Im Kontext der Transformation zur nachhaltigen Chemie­industrie spielen wir eine zentrale Rolle beim Aufbau des „House of Transfer“ für die Themenfelder Chemie, Wasserstoff, Bioökonomie und Kunststoffe. Unsere Arbeit im HoT wird dazu beitragen, Zukunftsbilder für die Region zu entwerfen, die Zusammenarbeit zwischen Stakeholdern aus dem mitteldeutschen Revier zu intensivieren und durch gezielte Kooperationen den Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis zu fördern. Als Gründungsmitglied wollen wir die Etablierung des HoT vorantreiben und entwickeln aktuell eine Innovationsstrategie für und mit den mitteldeutschen Verbundstandorten.

Im Rahmen eines anderen Projekts erforschen Sie Szenarien für die treibhausgasneutrale chemische Industrie in Deutschland und Europa. Worum geht es da genau?

D. Pufky-Heinrich: Unser aktuelles Forschungsprojekt zielt darauf ab, realistische Szenarien für eine treibhausgasneutrale chemische Industrie zu entwickeln. Dabei analysieren wir verschiedene Technologien, politische Rahmenbedingungen und wirtschaftliche Aspekte, um praxistaugliche Handlungsempfeh­lungen abzuleiten. In Zusammenarbeit mit Agora Industrie und unserem Projektpartner Carbon Minds entwickeln wir realistische Transformationspfade. Unser Ziel ist es, die deutsche und europäische Chemieindustrie bis 2045 treibhausgasneutral zu gestalten. Durch die quantitative Modellierung identifizieren wir kostenminimale Technologiepfade und leiten Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte ab. Dieses Projekt bietet konkrete Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Zukunft der chemischen Indus­trie. Durch die gemeinsame Analyse mit Fachexperten und Stakeholdern der chemischen Industrie ermöglichen wir einen effektiven Transfer von Forschungsergebnissen in die Industrie. Dies stärkt nicht nur die ökologische Nachhaltigkeit, sondern auch die ökonomische Stärke der Branche.

Wo sehen Sie die chemische Indus­trie im Jahr 2045? Kann die Chemie Klimaneutralität?

D. Pufky-Heinrich: Die Chemieindustrie kann unter den passenden Rahmenbedingungen eine Vorreiterrolle einnehmen. Wir erhoffen uns eine hochinnovative chemische Industrie, die durch gravierende Veränderungen in der Produktion und Prozess­industrie erfolgreich den Weg zur Klimaneutralität eingeschlagen hat. Insbesondere durch den verstärkten Einsatz von grünem Wasserstoff und innovativen Technologien wird die Produktion emissionsärmer. Die Bioökonomie wird eine Schlüsselrolle in der chemischen Industrie spielen. Man wird vermehrt auf nachwachsende Rohstoffe setzen. Die großen Player in der chemischen Industrie geben dabei den Takt bei der Transformation vor, etwa an den großen Chemiestandorten wie dem Chemiepark Leuna, der ja gerade einen Wandel weg von der Nutzung fossiler hin zur Nutzung von nachhaltigen Rohstoffen erlebt.

Wir wollen mit dem Fraunhofer IMW relevante Beiträge leisten, um diese Vision Realität werden zu lassen, indem wir Transformationspfade identifizieren, die nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch und gesellschaftlich nachhaltig sind. Dies ist ein realistisches Ziel, das durch kontinuierliche Innovation und Kooperationen erreicht werden kann.

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Zur Person

Daniela Pufky-Heinrich, leitet seit Mai 2021 die Abteilung Technologieöko­nomik und -management am Fraun­hofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie IMW und seit Ende 2021 die Außenstelle des Fraunhofer IMW, das Center for Economics and Management of Technologies CEM. Von 2008 bis 2019 baute sie am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB die Arbeitsgruppe Chemische Verfahren des Fraunhofer-Zentrums für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP in Leuna auf und leitete standortübergreifend das Innovationsfeld Regenerative Ressourcen. Pufky-Heinrich studierte Chemie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der University of Northumbria at Newcastle, Großbritannien, und promovierte in Technischer Chemie an der Universität Heidelberg.

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