Strategie & Management

Recycling sichert Versorgung mit Technologiemetallen

Altprodukte sind wertvolle Quellen für anorganische Rohstoffe

27.04.2010 -

Der Boom in der Elektronik und bei anderen modernen Produkten hat zu einer starken Nachfrage nach Edel- und Sondermetallen, sogenannten Technologiemetallen, geführt. Doch in Europa gibt es nach über 1000-jähriger Bergbautradition nur noch wenige Primärlagerstätten dieser Metalle; die Ressourcenbasis hat sich in die Technosphäre verschoben. Altprodukte bilden neue riesige „Lagerstätten".

Elektronische Bauelemente sind das Herz von Informationstechnologie und Kommunikation, aber auch zunehmend im Automobil, im Maschinen- und Anlagenbau, in Energie- und Umwelttechnik. Um immer ausgeklügeltere Funktionen zu erzielen, werden heute in der Elektronik bis zu 60 verschiedene chemische Elemente eingesetzt. In einem komplexen Materialverbund sind neben Kunststoffen, Glas/Keramik, Eisenmetallen und Kupfer auch weitere Buntmetalle wie Aluminium, Nickel, Zinn, Schadstoffe wie Quecksilber, Kadmium und Blei sowie eine große Bandbreite an Edel- (Gold, Silber, Palladium) und Sondermetallen (z.B. Kobalt, Antimon, Wismut, Indium, Selen, Tellur) enthalten. Letztere kommen zwar nur im Spurenbereich vor, haben aber oft einen dominierenden Anteil am Materialwert der Geräte. So entfallen z.B. beim Mobiltelefon über 80% des stofflichen Wertinhaltes auf Edelmetalle.
Da die spezifischen Eigenschaften der Technologiemetalle ausschlaggebend für die wachsende Funktionalität der Geräte sind, hat die stürmische Entwicklung in der Elektronik zu einem rasanten Nachfrageanstieg dieser Metalle in diesem Segment geführt. Im einzelnen Handy oder Computer stecken zwar nur wenige Milligramm an Gold, Silber und Palladium - der Metallwert liegt unter 1 € - multipliziert man diese allerdings mit 1,3 Mrd. Mobiltelefonen und 300 Mio. PCs und Laptops, die im Jahr 2008 weltweit verkauft wurden, dann kommen beeindruckende Mengen und Werte zusammen (Grafik 1). Allein diese beiden Gerätegruppen benötigen jeweils rund 3% der Weltbergbau-Produktion an Gold und Silber sowie deutlich über 10% der Minenförderung an Palladium und Kobalt. Der Wert dieser vier Metalle plus Kupfer summiert sich auf rund 4 Mrd. US-$.
Auch Fahrzeuge sind „Lagerstätten auf Rädern". Das liegt zum einen an der eingesetzten Elektronik. Eine noch größere Bedeutung für Edelmetalle im Auto hat aber der Abgaskatalysator. Rund 50% des Weltbergbaus auf Platin und Palladium entfallen allein auf dieses Bauteil, bei Rhodium sind es sogar über 80%. Weltweit wurden über die gesamte Menschheitsgeschichte bis 2009 nur rund 11.500 t des Metalls abgebaut, was - wenn man das Reinmetall zusammengießen würde - einem Würfel mit 9 m Kantenlänge entspricht. Von dieser Menge ist etwa noch ein knappes Viertel als Autokat auf der Straße im Einsatz. Zusätzlich stecken in jedem Neuwagen große Mengen weiterer Metalle. Bei modernen Fahrzeugen mit stark zunehmender elektronischer Ausstattung erhöhen sich die verbauten Mengen an Kupfer, Aluminium, Edel- und Sondermetallen. Eine verstärkte Markteinführung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen wird sich signifikant auf die Nachfrage nach Kobalt, Lithium und Seltenen Erden auswirken; Brennstoffzellenfahrzeuge benötigen erhebliche Mengen an Platin, und neue Technologien im Auto wie Thermoelektrik, LEDs oder Nachtsichtgeräte werden die Nachfrage nach Halbleitern weiter steigern.
Neben Elektronik und Automobil sind Technologiemetalle unverzichtbarer Bestandteile in vielen Anwendungen der „grünen Technologie", von Photovoltaik und Windturbinen über Superlegierungen für effizientere Flugzeugtriebwerke bis zu Katalysatoren in der chemischen und petrochemischen Industrie. Das starke Wachstum der letzten 30 Jahre in diesen und anderen Hochtechnologie-Anwendungen hat zu einem rasanten Nachfrageanstieg dieser Metalle geführt. So wurden - bezogen auf die kumulierte Minenförderung seit 1900 - bei vielen Technologiemetallen 80% und mehr erst seit 1978 gefördert (Grafik 2) und es kann davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil davon noch in heute genutzten Produkten und Infrastruktur im Einsatz ist.
Für die weitere Entwicklung Europas, gerade auch in Bezug auf Energieeffizienz und nachhaltige Technologie, ist eine sichere Versorgung mit diesen Metallen zu wirtschaftlichen Preisen von großer Bedeutung. Da in Europa kaum mehr geeignete primäre Lagerstätten vorhanden sind, besteht bereits heute eine hohe Importabhängigkeit. Bei einigen Metallen ist das Angebot zudem regional stark konzentriert, z.B. Seltene Erden in China, Platinmetalle in Südafrika, Kobalt in Zentralafrika, was das Risiko von temporären Lieferengpässen und Preissprüngen erhöht. Europa verfügt mit seinen Altprodukten allerdings über eine große sekundäre Lagerstätte.

Urban Mining kann Schätze heben

In technischer Hinsicht können mit modernen Recyclinganlagen die meisten Metalle mit guten Ausbeuten zurück gewonnen werden. Wertstoffhof und Schrottplatz werden damit zu „anthropogenen Lagerstätten". Voraussetzung ist aber, dass Altgeräte vollständig erfasst, entlang der Recyclingkette die relevanten Fraktionen separiert und den am besten geeigneten metallurgischen Verfahren zugeführt werden. Bei diesen unterscheidet man drei Hauptwege: Eisen- und Stahlfraktionen werden in Elektrostahlöfen als Rohstoff eingesetzt, Aluminium geht in Aluminiumschmelzen, während die Fraktionen mit Kupfer und weiteren Buntmetallen, Edel- und Sondermetallen in Kupferhütten sowie integrierten Metallhütten verarbeitet werden. So betreibt z.B. Umicore in Hoboken bei Antwerpen die weltgrößte integrierte Metallhütte zur Rückgewinnung von (Edel)metallen aus komplexen Materialien. Eingesetzt werden Leiterplatten, Katalysatoren, Lithium-Ionen-Batterien sowie viele weitere, überwiegend edelmetallhaltige Materialien. Insgesamt werden hier 18 verschiedene Metalle zurück gewonnen. Im Jahr 2007 wurden dort 300.000 t weitgehend sekundäres Einsatzmaterial verarbeitet und daraus 70.000 t Metall erzeugt.
Durch solche Recyclingaktivitäten werden nicht nur wertvolle Rohstoffe zurück gewonnen und Schadstoffemissionen vermieden, sondern auch ein signifikanter Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Denn der Energiebedarf zur Gewinnung von Edelmetallen aus dem modernen Recycling erfordert nur einen Bruchteil der Energie, die bei Gewinnung dieser Metalle im Bergbau benötigt würde. Entsprechend niedriger fallen die mit der Metallproduktion verbundenen CO2-Emissionen aus. So werden z.B. bei Minengold (typischer Gehalt 5 g Au pro Tonne Gestein) im Durchschnitt pro 1 t Feinmetall rund 17.000 t CO2 generiert. Der größte Teil davon entfällt auf den Abbau und die Aufbereitung. Beim „urban mining" des alten Computers muss nicht 3000 m tief in die Erde vorgedrungen werden und mit über 200 g Au pro Tonne Leiterplatten ist diese Lagerstätte um ein vielfaches reicher.

Ressourcenverluste durch Exporte

Trotz des großen Potentials, das ein effizientes Recycling für Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutzes bietet, werden geschätzt rund 60% der Elektroaltgeräte in Europa nicht ordnungsgemäß recycelt. Die darin enthaltenen Metalle gehen verloren. Insgesamt entspricht das einem Metallverlust im Wert von über 5 Mrd. US-$ und einem nicht genutzten CO2-Einsparpotential von mindestens 4 Mio. t.
Während ein Teil dieser Verluste durch Nicht-Erfassung oder Entsorgung über den Restmülls verantwortet wird, stellt der Export von Altgeräten in Entwicklungs- und Schwellenländer wahrscheinlich die größte Verlustquelle dar. Hierunter fallen zum gewissen Teil legitime Exporte von Gebrauchtgeräten (z.B. Computer, Mobiltelefone), die im Empfängerland noch eine Zeit lang genutzt, am Ende ihrer Lebensdauer dort aber nicht recycelt werden. Mengenmäßig von weit größerer Bedeutung sind aber illegale oder halblegale Exporte von Altgeräten, die unter dem Deckmantel des „Reuse" verschifft werden, um damit die Exportbeschränkungen der Baseler Konvention zu umgehen. Der überwiegende Teil dieser Exporte beinhaltet nur geringe Anteile tatsächlich gebrauchsfähiger Güter, der größte Teil wird ausgeschlachtet und danach - unkontrolliert - verworfen oder mit primitivsten Verfahren „recycelt".
Ein gemeinsames Projekt der Eidgenössischen Materialprüfanstalt (EMPA), der ETH Zürich und von Umicore hat die Verfahren und Metallausbeuten von solchen „Hinterhof-Recyclingbetrieben" in Bangalore/Indien untersucht. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass die Goldausbeuten aus Leiterplatten bei insgesamt nur knapp 25% lagen. Daneben wurden noch geringe Mengen an Kupfer und Silber zurück gewonnen, während Palladium, Blei, Nickel und die Sondermetalle vollständig verloren gehen. Die damit verbundenen Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen sind dramatisch. Durch Verbrennung von Elektronikschrott zur Konzentration der Metalle werden große Mengen Dioxin erzeugt, die Laugung mit Zyanid oder anderen starken Reagenzien erfolgt völlig unkontrolliert und zur Amalgamierung des Goldes wird häufig Quecksilber eingesetzt, das dann über dem offenen Feuer verdampft wird.
Ähnlich wie bei der Elektronik bestehen auch bei Altfahrzeugen erhebliche Defizite am Lebensende, „urban mining" findet nur in einem viel geringeren Umfang statt als möglich. Entsprechend den Statistiken des Umweltbundesamtes wurden 2006 in Deutschland von 3,2 Mio. Fahrzeuglöschungen nur 504.000 Autos im Land recycelt. Im Licht dieser erheblichen Ausflüsse relativiert sich die zunächst imposante berichtete Recyclingquote von 86,2%, denn diese bezieht sich nur auf die 0,5 Mio. in Deutschland verwerteten Altautos. Bezogen auf die gesamten Fahrzeuglöschungen fällt sie auf 13,5% ab. Eine echte Kreislaufwirtschaft sieht anders aus.
Der Export von 2,5 Mio. Altautos repräsentiert einen Metallinhalt von 1,3 Mio. t Stahl, 180.000 t Aluminium, rund 110.000 t weitere NE-Metalle sowie 6 t Platingruppenmetalle. Diese Ausfuhren wären kein Problem, wenn am Lebensende des Fahrzeuges ein effizientes Recycling stattfinden würde. Genau das geschieht meisten aber nicht, die „urban mine" wird global verstreut.

Intelligente Recyclingkonzepte gefragt

Sowohl die Automobil- als auch die Elektronikindustrie sieht im Recycling heute oft eher eine Belastung und einen Kostenfaktor. Gerade für diese Industrien stellt effizientes Recycling aber eine Chance dar, um die Rohstoffbasis zu sichern und die Abhängigkeit von stark schwankenden Metallpreisen zu verringern. Vor allem bei Zukunftstechnologien wie Elektromobilität oder Photovoltaik ist es wichtig, frühzeitig intelligente Recyclingkonzepte zu erarbeiten. Diese gehen weit über technische Fragen hinaus und schließen Konsumentenverhalten, Anreizsysteme und Logistik mit ein. Insgesamt sind noch erhebliche Anstrengungen aller Akteure erforderlich, um zu einer echten Kreislaufwirtschaft zu gelangen. Wenn dies gelingt ergibt sich daraus neben den positiven Effekten für (Metall)Ressourcen und Schadstoffmanagement auch ein großes CO2 Vermeidungspotential.

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