Prozessmodell für Cross Innovation
Synergien und Wettbewerbsvorteile durch Nutzung und Bündelung vorhandener Ressourcen
Cross Innovation wird häufig auch Cross Industry Innovation genannt und ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass Innovationen, die es bereits in einer Industrie gibt, auf eine andere Industrie übertragen und dort integriert bzw. adaptiert werden.
Dieser Beitrag soll ein Verständnis für die Anforderungen dieser Form von Innovation vermitteln und verdeutlichen, welchen Mehrwert Cross Innovation für Unternehmen liefert. Damit sollen neue Wege aufgezeigt werden, wie die Gewinnung und Entwicklung von brillanten Neuheiten durch Cross Innovation identifiziert und umgesetzt werden können, um auf diese Weise den teilnehmenden Industriepartnern einen Gewinn oder Wettbewerbsvorteil zu erwirken.
Cross Innovation im Wissens- und Technologietransfer
Ein besonders prominentes Beispiel von Cross Innovation ist die aus der Gaming-Industrie adaptierte iDrive Technologie von BMW. Hier wurde bereits bestehendes Wissen und eine vorhandene Technologie industrieübergreifend verwendet.
Aber nicht nur Produkte werden durch diesen Ansatz entwickelt, auch Prozesse werden von einer Industrie zur anderen überführt. Ein Beispiel dazu ist die Formel 1. Beim Boxenstopp werden an einem Rennwagen mit besonderer Effizienz und herausragender Prozessoptimierung innerhalb von wenigen Sekunden Reifenwechsel oder Reparaturen durchgeführt. Dieser Optimierungsansatz wird z. B. in die Gesundheitsindustrie übertragen.
Die spannende Frage für Unternehmen ist: Welche Vorteile bringt diese Form von Innovation mit sich? Wesentlich ist, dass bereits erfolgreich umgesetzte Ideen bzw. Lösungen aufgegriffen werden und Unternehmen dadurch selbst geringere Forschungs- und Entwicklungsbeträge investieren müssen. Aber auch das „ursprünglich innovierende“ Unternehmen wird einen Vorteil erlangen, sei es durch Marketing, eine finanzielle Beteiligung oder gar das Erschließen neuer Märkte mittels der neuen Partnerschaft. Cross Innovation erzeugt eine Synergie und einen Wettbewerbsvorteil, indem vorhandene Ressourcen genutzt, gebündelt sowie Kosten und Entwicklungszeiten reduziert werden können. Dies kann zusätzlich zu einer verbesserten Qualität des Produkts oder des Prozesses führen sowie einer Reduzierung von Fehlern, die bei Neuentwicklungen oft auftreten. Neue Erkenntnisse können im Idealfall sozusagen auch rückwirkend zur Verbesserung des ursprünglichen Produkts genutzt werden.
Eine Frage bleibt hier jedoch weiterhin offen. Wie sollten die Prozesse überhaupt ablaufen, um einen solchen Ansatz zur Cross Innovation in einem Unternehmen bzw. zwischen Unternehmen durchzuführen und anzuwenden? Nicht immer ist die Nutzung einer Technologie in einem neuen Bereich so augenscheinlich wie es, zumindest im Nachhinein, bei der iDrive-Technologie von BMW erscheint. Unabdingbar sind bei der Technologie- oder Prozessübertragung zwischen Unternehmen Know-how-Austausch, Zusammenarbeit und Partnerschaft.
Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren
Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein und wie laufen die Prozesse ab, um erfolgreich in der Durchführung zur Anwendung eines Cross Innovation-Ansatzes zu sein? Das aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) geförderte Projekt `Cross Innovation Lab Niederrhein` an der Hochschule Rhein-Waal hat dazu Grundlagen und Lösungen für Unternehmen entwickelt: ein holistisches Prozessmodel zur Cross Innovation. Dieses Modell bietet das Grundgerüst für das Management und die Umsetzung in der Praxis.
Dieses Prozessmodel gliedert sich in drei Räume und neun Prozesse. Die Räume werden in den Akteursraum (Actor Space), Ideenraum (Idea Space) und Lösungsraum (Solution Space) unterteilt. Die neun Prozesse werden mit angestrebten Zielen, notwendigen Input-Voraussetzungen und resultierendem Output beschrieben, um eine systematische Methodenauswahl für die operative Umsetzung zu ermöglichen. Das Modell basiert dabei auf einer fundierten Literaturrecherche von 62 wissenschaftlichen Artikeln und der systematischen Synthese von Begriffen und Beschreibungen über Cross Innovation, in Verbindung mit Innovationsmanagementprozessen.
Bei der Visualisierung sowie der Symbolisierung des Modells handelt es sich um einen Dreifach-Diamanten mit vor- bzw. zwischengelagerten „Gates“, in Anlehnung an das Vorgehen im Design Thinking. Ein Diamant besteht aus einem Prozess des Auseinanderlaufens (Erkunden und Untersuchen von etwas) und des Zusammenlaufens (Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen), entsprechend symbolisiert durch eine Raute. Die „Gates“ stellen Entscheidungssituationen dar, in Anlehnung an das Vorgehen des Stage-Gate-Modells.
Prozesse und Workshop-Methoden
Im Akteursraum ist es essenziell, einen vertrauenswürdigen Raum für einen fortlaufenden und konstruktiven Austausch zu schaffen (Prozess 1), um die Bereitschaft zur branchenübergreifende Zusammenarbeit (Prozess 2), also das Finden von innovationsbereiten Akteuren mit unterschiedlichen Kompetenzen, zu ermöglichen. Im nachfolgenden Prozess 3 findet auf Grundlage der jeweiligen Kompetenzen und der strategischen Ausrichtung die Einigung auf ein gemeinsames geschäftsfähiges Thema statt. Im Ideenraum geht es nun zunächst darum, den neuen Markt aus Sicht der beteiligten Akteure und hinsichtlich der Nutzer zu verstehen (Prozess 4). Im Prozess 5 erfolgt die Bewertung der Probleme und das Ableiten alternativer Lösungen unter Berücksichtigung komplementärer Kompetenzen. Der Lösungsraum beginnt mit der Umsetzung eines Prototyps zum Beweis der Machbarkeit (Prozess 6) und zur Überprüfung der Markt- und Nutzerakzeptanz (Prozess 7). Nach erfolgreicher Evaluation erfolgt die abgestimmte Umsetzung zwischen den beteiligten Akteuren (Prozess 8) sowie die anschließende Etablierung am Markt bzw. das Ableiten neuer Potenziale.
Die praktische Umsetzung des Modells erfolgt durch die Auswahl und Durchführung von verschiedenen Methoden. Bekannterweise ist das Repertoire von Methoden im Innovations- und Umsetzungskontext sehr vielfältig. Es gilt daher, Methoden entsprechend der Prozessvorgaben (Ziel, Input, Output) auszuwählen. Um ein Prozessziel zu erreichen, genügt es meist nicht, nur eine Methode anzuwenden, sondern in der Regel geschieht dies durch eine Komposition verschiedener Methoden, den „Methoden-Sets“.
Im Rahmen des Projekts wurden insgesamt 40 Workshop-Methoden identifiziert, mit Unternehmen aus der Region getestet und validiert und zehn neue Methoden-Sets erstellt. Die verschiedenen Workshop-Methoden und Methoden-Sets sollen Innovationsmanager helfen, den Ansatz der Cross Innovation zu entdecken, neue Herangehensweisen an bereits bestehende Innovationsansätze zuzufügen, in der Praxis als Ganzes einen Cross- Innovationsansatz anzuwenden und in Unternehmen zu etablieren.
Fazit
Das Cross-Innovation-Modell ist an die konzeptionelle Vorgehensweise des Design-Thinking-Ansatzes angelehnt und kombiniert diese mit dem risikominimierenden Ansatz des Stage-Gate-Modells. Das vorgestellte Modell forciert den aktiven Austausch zwischen verschiedenen Akteuren mit komplementären Kompetenzen und treibt die gemeinschaftliche Lösungsfindung und Umsetzung bis zur Etablierung am Markt voran. Die Festlegung von Zielen, Input und Output für die jeweiligen Prozesse hilft bei der systematischen Auswahl geeigneter Methoden und beim Cross-Innovationsmanagement.
| Das Prozessmodell für Cross Innovation umfasst Phasen, damit verbundene Ziele, Inputs und Outputs für die einzelnen Cross-Innovation-Prozesse.
ZUR PERSON
Jutta Wirth ist Wissenschaftlerin und Dozentin mit Fokus auf interdisziplinäres Arbeiten im Bereich Innovationsmanagement und Biotechnologie an der Hochschule Rhein-Waal. Ihre Projektarbeiten setzten an der Schnittstelle zwischen Biologie, Medizin, Technik und Wirtschaft an. Die promovierte Biologin ist Expertin für transferorientierte Entwicklung von Methoden für das Innovationsmanagement.
ZUR PERSON
Kathrin Weidner ist Professorin für Operations & Innovation Management an der Hochschule Rhein-Waal. Sie besitzt fundierte Erfahrung in den Bereichen Start-ups und Inkubatoren sowie der (digitalen) Transformation von Geschäftsmodellen. Vor ihrem Ruf war sie bei der Deutschen Apotheker- und Ärztebank, dem Inkubator Bizeps Gazelles und der Commerzbank tätig.
ZUR PERSON
Karsten Nebe ist Professor für Usability Engineering und Digital Fabrication an der Hochschule Rhein-Waal. Er forscht u. a. zu Themen der systematischen Integration disziplinübergreifender Managementansätze, sowie deren Umsetzungsprozessen (mit Schwerpunkten Software-Engineering, Usability-Engineering, sowie Cross-Innovationsmanagement und Fertigungsprozessen) und überführt dieses Wissen in die industrielle Praxis.
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Cross Innovation Lab NiederRhein, Hochschule Rhein-Waal
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