Prozessleittechnik für erneuerbare Energieerzeugung
03.02.2015 -
Der Beitragg der Firma Stadler + Schaaf Mess- und regeltechnik am Bioenergiekraftwerk Emlichheim stellte Alexander Schlichenmaier den Betriebsingenieuren vor.
Der Betriebsingenieur ist Garant für reibungslose Arbeitsabläufe in seinem Betrieb und damit für die chemische Industrie von großer Bedeutung. Er trägt die Verantwortung für Instandhaltung und Verfügbarkeit seiner Anlage sowie für die Prozess- und Anlagensicherheit. CITplus berichtet regelmäßig über die Treffen der Regionalgruppen der Informationsplattform für Betriebsingenieure der VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (VDI-GVC).
Bei einem Treffen der Regionalgruppe Mitteldeutschland bei DOW in Schkopau stellte Alexander Schlichenmaier den Betriebsingenieuren den Beitrag der Offenbacher Firma Stadler + Schaaf Mess- und Regeltechnik GmbH beim Bau und Betrieb des Bioenergiekraftwerks Emlichheim vor. Dieser Beitrag entstand auf Basis seiner Präsentation.
Stroh zu Gold wandeln
In Emlichheim/Emsland wurde das erste Heizkraftwerk Deutschlands errichtet, das erstmals in großem Umfang Stroh zur Bereitstellung von Strom und Wärmeenergie nutzt und eine Feuerungswärmeleistung von 49,8 MW erzeugt. Initiator des innovativen Kraftwerks ist die Emsland-Group, der größte deutsche Produzent von Kartoffelstärke und Stärkederivaten mit ca. 820 Mitarbeitern und ca. 3.600 angeschlossenen landwirtschaftlichen Betrieben. Anlass für eine Energieversorgung auf Basis von Stroh waren energieintensive Produktionsprozesse sowie massive Kostensteigerungen in den letzten Jahren. Die im Bioenergiekraftwerk Emlichheim eingesetzte Strohmenge hat ein Primärenergiepotenzial von 4 Megawattstunden pro Tonne und entspricht der energetischen Leistung von 3 Millionen Litern Heizöl im Jahr.
Mit der gekoppelten Erzeugung von Strom und Wärme (Kraft-Wärme-Kopplung KWK) werden die erzeugte elektrische Energie in das öffentliche Versorgungsnetz eingespeist und die entstehende Wärme als hochwertiger Prozessdampf zur Versorgung der energieintensiven Produktionsprozesse der Emsland-Group sowie als Heizwärme zur Einspeisung in ein 13 km langes Nahwärmenetz für öffentliche Einrichtungen und private Haushalte genutzt. Ein Pufferspeicher gewährleistet die Kompensation von Lastschwankungen durch die Prozessdampf- und Nahwärmeabnahme und somit einen konsequent wärmegeführten Betrieb.
Laut Betreiber kann durch dieses Energiekonzept ein Energienutzungsgrad der Primärenergie von bis zu 90 % erreicht werden. Mit dem Projekt soll ein nachhaltiger Beitrag zur Ablösung fossiler Brennstoffe durch Erneuerbare Energien und für den Aufbau einer sicheren, planbaren und umweltschonenden Energieversorgung geleistet werden.
Kombinierte Strom- und Wärmeerzeugung
Das Strohheizkraftwerk zur kombinierten Strom- und Wärmeerzeugung ist technologisch weitgehend mit einem konventionellen Kraftwerk identisch: Erzeugung von Dampf in einer Kesselanlage und dessen Entspannung in einer Turbine. Die Strohballen werden über eine Brennstoffbrücke vom Strohlager zum Kesselhaus geführt, am Ende der Förderbänder durch neuentwickelte Ballenauflöser aufgerissen, und das lose Stroh auf einem speziellen wassergekühlten Vibrationsrost verbrannt. Einen optimierten Ausbrand und damit niedrige Emissionen und hohe Effizienz gewährleisten eine komplexe Prozessführung mit mehreren hundert Messstellen im Kessel und mehr als 12.000 Öffnungen für die Primär- bzw. Sekundärluftzufuhr im Rost. Die Rauchgase werden gefiltert und über einen Kamin mit Emissionsmessanlage zur kontinuierlichen Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen (z. B. TA-Luft, BImSchV) abgeführt.
Durch die Verbrennungswärme wird das Wasser im Kessel verdampft, der Dampf anschließend überhitzt und zur Dampfturbine geführt, in der über einen angekoppelten Generator elektrische Energie erzeugt wird. Zum Zwecke der Kraft-Wärme-Kopplung erfolgt an der Dampfturbine eine geregelte Entnahme von Prozessdampf, der über eine Dampfleitung dann zur Emsland-Group transportiert wird sowie als Heizwärme über das Nahwärmenetz zu den angeschlossenen Privathaushalten und öffentlichen Einrichtungen geliefert wird.
Durchgeplante Prozessleitechnik
Basis für einen störungsarmen und auf wechselnde Bedingungen möglichst optimal abgestimmten Betrieb des Strohheizkraftwerks ist die von Stadler + Schaaf geplante und installierte Prozessleittechnik. Dazu gehörten die Planungs-, Engineering, Installations- und Inbetriebnahmearbeiten der gesamten Elektro-, MSR- und Automatisierungstechnik, sodass die verfahrenstechnischen Konzepte automatisierungstechnisch umgesetzt, die Prozesse optimiert sowie Planungsänderungen realisiert werden konnten. Im aktuellen Betrieb hat sich diese Prozessleittechnik, die u. a. in 130 Schaltschränken implementiert ist und über 3.400 I/O-Signale, 1.400 Bus-Signale und 14.100 OPC-Signale aufnimmt und verarbeitet, bereits bewährt. Denn seit der Inbetriebnahme 2012 wurde zur Untersuchung und Umsetzung von Optimierungsmöglichkeiten ein zweijähriges Messprogramm unter Einbindung des Umweltbundesamtes durchgeführt. In diesem Rahmen sollte auch der flexibel bereitstellbare Stromanteil (Minutenreserve) optimiert werden.
Der sichere und effektive Betrieb der Gesamtanlage wird durch im Leitsystem implementierte Tools unterstützt, wichtige Überwachungsparameter sind z. B. die Betriebsstundenzähler, Differenzüberwachungen der Pumpen und Drehmomentkontrollen. So erwies sich besonders in der Anfangszeit die Überwachung der Drehmomentkurven der Strohförderschnecken als wirksamer Indikator für eine rechtzeitige Abschaltung. Dadurch konnten Stillstände von über zwei Tagen vermieden werden, die entstehen, wenn zu feuchtes Stroh eingebracht wird, das sich verfestigen und zu Verstopfungen der Förderschnecken führen kann. Kennfeldkurven für wichtige Anlagen-Aggregate sind somit für einen optimalen Anlagenbetreib unerlässlich. Anzahl und Dauer der Meldungen geben wichtige Hinweise auf die Robustheit der Aggregate und mögliche Schwachstellen lassen sich erkennen und beheben.
Produktions- und Instandhaltungsschichtbuch
Schichtbücher sind wichtige Bausteine der Qualitätssicherung im betrieblichen Alltag und Stadler + Schaaf bietet dazu komfortable und praxiserprobte Softwaretools. Ein automatisiertes Produktionsschichtbuch ermöglicht das einfache Anlegen und Pflegen von Schichtprotokollen und macht handgeschriebene, individuell gestaltetet und damit ggf. lückenhafte oder unleserliche Schichtbücher überflüssig. Es ermöglich eine einheitliche standardisierte Produktionsdatenerfassung sowie die Verwaltung der Mitarbeiter/Schichtgruppen und deren personalrelevanter Informationen. Bei der Schichtübergabe quittieren der übergebende und der übernehmende Schichtführer alle zum Schichtwechsel produktionsrelevanten Informationen und erst wenn der Bericht vollständig und plausibel ist, kann er abgeschlossen werden.
Ein automatisiertes Instandhaltungsschichtbuch bietet eine übersichtliche und strukturierte Darstellung aller im Unternehmen verfügbaren Anlagen und Komponenten, die jederzeit ergänzt werden können. Zu den angelegten Anlagen und Komponenten können technische Meldungen erstellt werden, die nach verschiedenen Meldungstypen klassifiziert werden können: z. B. Störmeldung, Bedarfsmeldung, Meldung zur Wartung/Inspektion, Meldung zur Früherkennung/Warnung. Auch ein allgemeiner Arbeitsauftrag kann mit entsprechenden Bemerkungen sowie den benötigte Erlaubnisformularen (Arbeiten mit gefährlichen Geräten oder Fahrerlaubnisscheine) den verschiedenen Werkstätten zugeordnet werden. Sobald die Arbeitsaufträge abgeschlossen sind, kann das Instandhaltungsschichtbuch die Funktion die getätigten Arbeitsstunden anhand zuvor erstellter Kostenstellen und ausführendem Arbeiter erfassen und zurückmelden. Der Nutzen der Schichtbücher liegt auf der Hand und manifestiert sich insbesondere in der Zeitersparnis z. B. durch zentrale, anlagenbezogene Sammlung von produktionstechnisch relevanten Informationen. Denn bei Wartung und Instandhaltung sind Dokumente schnell und qualitätsgesichert verfügbar, was nicht nur beim Schichtwechsel oder der Einarbeitung neuer Mitarbeiter hilfreich ist, sondern im besonderen Maße bei Störfällen oder Stillständen zählt. Durch einen schnellen Informationsfluss und fundierte Kenntnisse über Produktions- und Bearbeitungsvorgänge lassen sich Stillstandzeiten der Anlagen deutlich senken. Verlässliche Informationen über Anlagen-, Teilanlagen- und Aggregatszustände ermöglichen die Optimierung von Produktionsprozessen, Arbeitsabläufen und Sicherheitsmaßnahmen.
Entscheidend sind Qualität und Disziplin der Dateneingabe
Voraussetzung für diese Optimierungsmöglichkeiten ist auch bei den komfortabelsten Softwaretools und automatisierten Schichtbüchern die Qualität und Disziplin der Dateneingabe. Jeder zuständige Mitarbeiter muss den Sinn und den Nutzen dieser Werkzeuge zur Qualitätssicherung erkennen. Bei dieser Mitarbeitermotivation gehen Vorbildfunktion der Vorgesetzten und komfortable selbsterklärende Software Hand in Hand, ansonsten bleibt diese Investition in die Qualitätssicherung ein zahnloser Tiger.