ChemCar 2023 – RonnyV5 sichert der TU Berlin den Sieg
Internationaler Wettbewerb für Studierende der Chemie- und Verfahrenstechnik
Der diesjährige Wettbewerb wurde im CityCube auf dem Messegelände Berlin, im Rahmen des 14th European Congress of Chemical Engineering und 7th Eurpean Congress of Applied Biotechnology ECCE & ECAB 2023 ausgetragen. Wie jedes Jahr wurde er von den kreativen jungen Verfahrensingenieuren (kjVI) der VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (VDI-GVC) organisiert und betreut.
Ziel des Wettbewerbs ist es, mit einem selbst gebauten Fahrzeug eine vorgegebene Strecke möglichst genau zurückzulegen, wobei die ChemCars durch eine (oder mehrere) chemische Reaktion(-en) angetrieben werden müssen. Die Fahrstrecke darf hierbei einzig durch Beeinflussung der im Fahrzeug ablaufenden Reaktion(-en), also etwa durch Änderung der Eduktmengen, geregelt werden. Elektronische Einbauten, die die Distanz messen bzw. beeinflussen können oder physikalisches Bremsen sind nicht erlaubt.
Die zu fahrende Strecke wird am Wettkampftag ausgelost und betrug dieses Jahr 12,5 m. Zusätzlich erschwert ein auf das Auto geladene Zusatzgewicht von bis zu 30 % des Fahrzeugeigengewichts die Wettkampfbedingungen, wobei dieses Jahr ein Gewicht von 0 % ausgelost wurde. Jedes Team hat zwei Versuche, die Zieldistanz möglichst präzise zu erreichen und kann dabei Bonuspunkte für Reproduzierbarkeit erzielen. Neben dem Rennen werden außerdem Punkte für das Gesamtkonzept, Innovation und das Sicherheitskonzept durch eine unabhängige Jury aus hochrangigen Industrievertretern vergeben. Sicherheitstechnisch bewertet und überwacht wurden die ChemCars und der Wettbewerb auch dieses Jahr von einem Expertenteam von Inburex Consulting.
Team der TU Berlin
Das Team der TU Berlin bestand aus zwei Studierenden des Masterstudiengangs Chemieingenieurwesen (Henriette Kauer und Friedrich Lehmann) und zwei Masterstudenten der Energie- und Verfahrenstechnik (Max Rammholdt und Simon Stalling). Durch eine gute Aufteilung der interdisziplinären Aufgabenstellungen im Verlauf des Design- und Fertigungsprozesses und eine sehr genaue Konzeptionierung des ChemCars RonnyV5, konnte das Team den ersten Sieg in der Geschichte der TU Berlin einfahren. „Dass sich die harte Arbeit am Ende ausgezahlt hat und wir mit dem ersten Platz belohnt wurden, macht uns unfassbar glücklich“, so der Team-Chef Friedrich Lehmann. Zusätzlich zum begehrten ChemCar-Pokal gewannen sie auch 2.000 EUR, die durch die Sponsoren des Wettbewerbs, BASF, Covestro, Evonik, Inburex, Lanxess und Merck, als Preisgeld ausgelobt wurden.
Das Gewinnerkonzept
Das Konzept von RonnyV5 basiert auf der Zerfallsreaktion von Wasserstoffperoxid in gasförmigem Sauerstoff und Wasser. Anders als bei den ChemCars der übrigen teilnehmenden Teams, gibt es keine weiteren Start- oder Stoppreaktionen. Die durch gelöstes Eisen(III)nitrat in Gang gesetzte und katalysierte Reaktion produziert Sauerstoff, der unter Druck in zwei Kolben geleitet wird, die die Achsen des Fahrzeugs antreiben. Inspiriert war das Konzept von einer Draisine, bei der eine gut sichtbare vertikale Auf- und Abwärtsbewegung in eine rotatorische umgewandelt wird. Das Konzept wurde zuerst in CAD gezeichnet und über mehrere Versionen verfeinert, bis schlussendlich die letzte Designversion in die Realität umgesetzt wurde und so – als fünfte Version – Ronny seinen Namenszusatz V5 gab.
Gestartet wird das ChemCar durch einen Single-Action-Mechanismus, in diesem Fall das Öffnen eines Ventils, wodurch das gelöste Eisen(III)-nitrat in den Reaktor gelangt. Dort wurden eine 50 % wässrige-Lösung Wasserstoffperoxid und etwas Wasser vorgelegt. Das Wasser dient der Reaktionskontrolle, da die Zersetzung des Peroxids exotherm verläuft und die Reaktion sich so immer weiter selbst beschleunigt, bis sie vollständig abgelaufen ist. Da aber nicht der gesamte Sauerstoff auf einmal, sondern über einen Zeitraum von wenigen Minuten produziert werden sollte, diente das Wasser als Temperaturpuffer und um eine geringere Konzentration an Wasserstoffperoxid im Reaktor zu erreichen. Dadurch kann die Reaktion in ihrer Geschwindigkeit beeinflusst werden. Sicherheitstechnisch ist der Reaktor mit einem Manometer und einem Sicherheitsventil ausgestattet, das bei 8,8 bar öffnet. Der Reaktor und die Reaktion wurden so dimensioniert, dass ein maximaler Betriebsdruck von 8 bar nicht überschritten wird.
Der entstehende Sauerstoff wird dann durch ein Druckregelventil auf 1,5 bar gedrosselt und über zwei 5/2-Wegeventile in die doppelwirkenden Kolben geleitet. Diese fangen ab einem Relativdruck von 1 bar an zu arbeiten und können bis zu 20 N Kraft aufbringen. Die Kolben sind über ein Exzenterrad mit der Achse des ChemCars verbunden und treiben diese an. Vier Kolbenfüllungen entsprechen genau einer Umdrehung der Achse und auf Grund der Übersetzung auch einer Radumdrehung. Um Probleme beim Anfahren zu umgehen und Totpunkte zu vermeiden, arbeiten beide Kolben um 90° phasenverschoben. Die Ventile werden über eine selbstentwickelte, elektrische Schaltung gesteuert. Vier Sensoren, die am oberen bzw. unteren Ende der Kolben platziert sind, übermitteln Positionsinformationen, mit deren Hilfe die Ventile im richtigen Moment umgeschaltet werden können. Dadurch wird eine flüssige Bewegung sichergestellt.
Berechnung der Fahrtstrecke
Die Fahrtstrecke kann über die Beziehung zwischen der Anzahl der Kolbenfüllungen und dem Reifenumfang berechnet werden. Da genau vier Füllungen der doppelwirkenden Kolben einer Radumdrehung entsprechen, kann über die vorgegebene Distanz bei bekanntem Raddurchmesser die benötigte Menge an Sauerstoff bei 1,5 bar berechnet werden. Über die Stöchiometrie der Zerfallsreaktion kann so je nach Distanz genau die Menge an Wasserstoffperoxid bestimmt werden, die nötig ist, um das gewünschte Sauerstoffvolumen bereitzustellen. Durch viele Kalibrierfahrten im Vorfeld des Wettbewerbs konnte somit ein Zusammenhang zwischen Strecke und der Menge an Wasserstoffperoxid ermittelt werden. Die daraus resultierende Kalibriergerade war so exakt, dass Ronny die Zieldistanz von 12,5 m beim ersten Fahrversuch um nur 24 cm verpasste. Auch der zweite Versuch war innerhalb einer 10 % Toleranzgrenze, sodass Ronny neben dem Sieg im Rennen auch als einziges ChemCar die Bonuspunkte für Reproduzierbarkeit einfahren konnte.
Sicherheit ist Teil der Bewertung
Neben einem funktionalen Konzept und einem fahrenden Auto musste auch ein präzises Sicherheitskonzept erstellt werden, das ebenfalls Teil der Bewertung war. Neben den Einbauten am Reaktor gab es auch eine Notentlüftung des pneumatischen Systems, die RonnyV5 unmittelbar zum Stehen bringen kann, eine weitere Druckanzeige am Druckregler und eine Auffangschale für den Reaktor, um Leckagen vorzubeugen. Hier fand ein alter, ausgemusterter Wasserkocher einen neuen Verwendungszweck. Um das Eintreten von Flüssigkeiten in die pneumatischen Komponenten des Autos zu verhindern, wurde außerdem ein Flüssigkeitsabscheider hinter dem Reaktor implementiert. Die eingesetzten Chemikalien wurden nur unter den nötigen Sicherheitsvorkehrungen (Laborhandschuhe etc.) gehandhabt. Ein weiterer wichtiger Punkt war eine schadstofffreie Reaktion. So war keine chemische, thermische oder mechanische Gefahr für die Umwelt und den Betrieb des ChemCars gegeben.
Präzises und ansprechendes Design der Reaktionstechnik
RonnyV5 konnte dank langer Planung und genauer Umsetzung das Rennen des ChemCar Wettbewerbs 2023 gewinnen. Das Konzept beinhaltet keine ausgesprochen innovative Reaktion, ist aber mechanisch sehr präzise und optisch ansprechend designt. Das einfache, aber nicht primitive Konzept erreichte nicht die maximale Punktzahl in der Innovation, war aber im Wettbewerb erfolgreich, zuverlässig und sicherheitstechnisch sehr gut ausgearbeitet. Im Gesamtpaket konnten so die ebenfalls sehr interessanten Konzepte der anderen Unis übertroffen werden.
Dank an alle unterstützenden Partner
Vielen Dank an den VDI und die kjVI für die Organisation des Wettbewerbs. Wir hatten als Team im letzten dreiviertel Jahr sehr viel Spaß und konnten bei der Vorbereitung auf den Wettbewerb eine Menge lernen. Weiterhin bedanken wir uns bei unseren Betreuern Alexander Maywurm und Jan-Paul Ruiken vom Fachgebiet Verfahrenstechnik, die uns im Verlauf des Projekts unterstützt haben. Auch bei Johan Stüber (Sicherheitsbeauftragter) und Rainer Schwarz (Experte in der Werkstatt) wollen wir uns bedanken, die uns immer tatkräftig unterstützten. Die Firma IBF Automation stellte uns die pneumatischen Bauteile und ihr Know-how zur Verfügung, ohne diese Unterstützung hätten wir unser ChemCar nie so umsetzten können. Die Firma TresCom Technology unterstützte uns beim Bestücken unserer selbst designten Platine zur Steuerung der Ventile. Daher gilt auch ihnen ein besonderer Dank.
Die kjVI danken den unterstützenden Unternehmen und deren Jurymitgliedern: BASF, Covestro, Evonik, Inburex, Lanxess und Merck.
ChemCar 2024
Die kreativen jungen Verfahrensingenieure (kjVI) der VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (VDI-GVC) führen seit 2006 den ChemCar-Wettbewerb durch, bei dem Modellfahrzeuge ins Rennen gehen, die von (bio)-chemischen Reaktionen angetrieben werden. Die Studierenden-Teams können mit ihrer innovativen Idee, aber auch mit einem überzeugenden Sicherheitskonzept und einer guten Präsentation beim Posterwettbewerb punkten.
- Anmeldeschluss: 02.04.2024
- Konzepteinreichung: 12.04.2024
- Nominierung der Teams: 26.04.2024
- Abgabe der Sicherheitskonzepte: 10.06.2024
- Finale wird noch bekannt gegeben.
Alle Infos: www.vdi.de/chemcar
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