Perspectives 2016: Unternehmen müssen sich öffnen
Kollaboration im Fokus
Wie können Unternehmen die eigene Innovationskultur fördern? Welche inneren Widerstände und äußeren Barrieren behindern eine erfolgreiche Transformation von Unternehmen und Geschäftsmodellen? Ausnahmslos alle Referenten der „Perspectives“, des Top-Events für den Chemie- und Pharmastandort Deutschland, machten sich für kollaborative Konzepte über organisatorische Grenzen hinweg stark. Unter dem Motto „Die neue Offenheit?“ hatte Infraserv Höchst in den „Squaire“ am Frankfurter Flughafen eingeladen um zu diskutieren, wie sich neue Konzepte der Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung, Produktion und Lieferketten-Management entwickeln lassen. Rund 180 Besucher hörten konkrete Fallbeispiele aus der Industrie und beteiligten sich an einer kontroversen Diskussion. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede in der Einschätzung, wie weit eine Öffnung – insbesondere über Unternehmensgrenzen hinweg – führen darf.
Transformationsprozesse im Fokus der Veranstaltungsreihe
Die zielgerichtete Transformation von Chemie- und Pharmaunternehmen steht im Mittelpunkt jeder „Perspectives“-Veranstaltung. Infraserv Höchst verfügt als Betreiber des größten Chemie- und Pharmastandortes in Europa über viel Erfahrung im Umgang mit Transformationsprozessen. „Wir sehen uns als führender Standortentwickler und Dienstleistungspartner der Branche in der Verantwortung, dem Dialog um die Zukunft des Standortes Deutschland eine Plattform zu bieten“, sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung Jürgen Vormann, der die Teilnehmer gemeinsam mit seinem Geschäftsführungskollegen Dr. Joachim Kreysing begrüßte. „Für Transformations-prozesse gibt es nicht eine einzige richtige Lösung, daher will die „Perspectives“ unterschiedliche Sichtweisen auf ein konkretes Thema anbieten“, so Vormann. Die Frage nach der „neuen Offenheit“ ergab sich als Thema aus den Vorträgen der vergangenen Veranstaltungen. Zudem ist Offenheit auch für Infraserv Höchst ein wichtiges Thema, wie Dr. Joachim Kreysing erläuterte. „Wir arbeiten sehr intensiv mit unseren Kunden zusammen, die uns teilweise die Verantwortung für sehr sensible Prozesse übertragen haben. Dies erfordert einen sehr offenen Umgang miteinander und verschiebt nicht selten die Grenzen, die ein Unternehmen für sich zieht“, sagte Dr. Joachim Kreysing.
Neue Impulse aus anderen Industrie-Branchen
Aus der neuen Offenheit folgen notwendigerweise Grenzverschiebungen und Grenzüberschreitungen.
Dr. Fred van Ommen, ehemaliger Senior Vice President Innovation bei Philips, betonte in seiner Key Note, dass erfolgreiche Innovationen auch psychologische Faktoren des Kunden berücksichtigen müsse. Neue Technologien verlangen vom Nutzer eine Verhaltensänderung oder eine Änderung seiner Einstellung. Als Beispiel aus der Praxis führte der Niederländer einen eigenen Misserfolg an: Jeder Mensch schätzt automatische Defibrillatoren in öffentlichen Gebäuden als sinnvoll ein. Im eigenen Haus, wo sich die meisten Herzanfälle ereignen, möchte jedoch niemand täglich an die Möglichkeit eines Notfalls erinnert werden. Um Fehlschlägen vorzubeugen, müssten Innovationen stets vom Kundenwunsch ausgehend entwickelt werden. Dies könne auch in kollaborativen Modellen funktionieren, ohne einen Verlust von eigenen Geschäftsgeheimnissen fürchten zu müssen. Um die Kundenbedürfnisse zu definieren, müsse man kein technisches Spezialwissen austauschen.
Nachhaltige Innovation im Unternehmen verankern
Innovationen brauchen passende Geschäftsmodelle, diese Meinung teilte auch Dr. Georg F. L. Wießmeier, Chief Technology and Innovation Officer (CTO) der Sibelco Group. Der international erfahrene Innovationsmanager erläuterte, wie die Grenzen des eigenen Unternehmens mit seinen Organisationsstrukturen neu definiert werden können. Offenheit könne im Unternehmen nicht einfach verordnet werden, es sei vielmehr eine langfristige Führungsaufgabe.
Nachhaltige Innovationsprozesse können im Unternehmen nur etabliert werden, wenn die „imaginären Wände“ zwischen Abteilungen, die als „Silodenken“ und Konkurrenzverhalten den Gedankenaustausch behindern, überwunden werden. Interne Programme für „Innovation Leaders“ könnten das dafür notwendige Vertrauen schaffen. In einem zweiten und dritten Schritt könnten sich die Unternehmen von innen nach außen öffnen, um ihr Wissen mit den Kunden zu teilen und auch die eigenen Mitarbeiter darauf vorzubereiten, externes Wissen zu nutzen.
Ein löchriger Trichter als Forschungsmodell
Bei einer zu starken Fokussierung auf die angestammten Zielmärkte geht in Forschung und Entwicklung Potenzial verloren, erläuterte Dr. Willem Huisman, Präsident von Dow Deutschland. Der Niederländer verdeutlichte anhand eines Trichtermodells, welche verschiedenen Wege neue Ideen in der Forschung nehmen können. Durch den klassischen Trichter führt nur ein Weg, die enge Öffnung mündet bei einem definierten Zielmarkt. Hingegen eröffnet ein löchriger Trichter verschiedene Wege, die auch Abkürzungen zu alternativen Märkten bieten. Beispielsweise werden so auch frühzeitig Lizensierungen geprüft.
Kooperation und Geheimhaltung
Das Spannungsfeld von enger Kooperation und strenger Geheimhaltung beleuchtete Dr. Martin Wienkenhöver, Aufsichtsrat des Chemieunternehmens CABB. Bei der Auftragsproduktion für die eigenen Kunden müsse auf allen Ebenen unbedingte Vertraulichkeit gelten. Bei Exklusiv-Synthesen ist Geheimhaltung strikt einzuhalten – eine Öffnung verbietet sich. Anders sei es bei den eigenen Sekundärprozessen, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Hier sei eine Zusammenarbeit mit Industriedienstleistern wie Infraserv Höchst, die sich beispielsweise um die Ver- und Entsorgung sowie die Logistik kümmern, bereits lange üblich und erfolgreich.
Transformationsziel: Ausgründung
Wie die Ausgründung eines Unternehmens aus einem Konzern funktioniert, beschrieb Dr. Klaus Jaeger, Leiter des Standortverbunds NRW von Covestro.
Die ehemalige Bayer MaterialScience konnte die Ausgliederung und den Börsengang in kurzer Zeit meistern. Entscheidend für die Transformation waren die Köpfe im Unternehmen. Nur mit großer Transparenz, mit klarer Kommunikation der unternehmerischen Ziele konnten die Mitarbeiter diesen Weg mitgehen. Offenheit in der Kommunikation nach Innen und Außen ist für Dr. Klaus Jaeger ein Erfolgsrezept, um in einem Marktumfeld mit immer schnelleren Produktzyklen Schritt halten zu können.
Startups in der Automobil-Industrie: Fluch oder Segen?
Können große Unternehmen überhaupt Neues denken, wenn Startups zwei Drittel aller marktverändernden Innovationen schaffen? Diese provokante Frage stellte Dr. Matthias Meyer, Gründer der BMW Startup Garage. Sind Startups für die Großen nun Fluch oder Segen?
Dr. Matthias Meyer rät zu einer Kooperation unter strategischen Gesichtspunkten, wenn dem Unternehmen der Erfolg des Startups bei der Verwirklichung der eigenen unternehmerischen Ziele hilft. Beispielsweise gehören für Automobilhersteller Elektromobile zum Kerngeschäft, doch die Entwicklung der flächendeckenden Ladeinfrastruktur nicht. Auch Startups, die für Metropolen wie New York City eine Parkinfrastruktur entwickeln, können den Absatz von Autos in Städten fördern, in denen Parkplätze teurer als Leasingraten sind.