NRW.Energy4Climate empfiehlt Umstellung auf klimaneutrale Technologien
Landesinitiative sieht in Prozesswärme den elementaren Baustein einer nachhaltigen Industrie
Mit dem Klimaschutzgesetz hat der Bundestag das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 beschlossen. Um dieses Ziel zu erreichen, sieht das Bundeswirtschaftsministerium die Notwendigkeit, dass alle Sektoren umdenken und sich neu strukturieren müssen. Zusätzlich zeigt die Energiekrise umso deutlicher: Das deutsche Wirtschaftssystem ist zu abhängig von fossilen Energieträgern. Die Umstellung auf klimaneutrale Technologien trägt daher nicht nur zum Klimaschutz bei, sondern kann auch helfen, Unternehmen unabhängiger von Energieimporten zu machen.
Eine universelle Lösung, die zur Klimaneutralität führt, gibt es jedoch nicht. Für jede Branche und jeden Prozess muss eine individuelle Betrachtung erfolgen und ein entsprechender Transformationspfad erstellt werden. Im Jahr 2020 hat der Industriesektor mit 665 TWh insgesamt rund 28 % des deutschen Endenergieverbrauchs verursacht. Laut Bundeswirtschaftsministerium werden dabei rund 67 % zur Bereitstellung von Prozesswärme benötigt, wovon der größte Anteil, etwa 72 %, durch fossile Energieträger erzeugt wurde.
Die industrielle Prozesswärme birgt somit ein großes Einsparpotenzial, ist jedoch in Diskussionen bis dato eher ein Randthema. Das Potenzial als Wärmelieferant für Fernwärmenetze wird häufig diskutiert, kaum jedoch, wie der industrielle Bedarf klimaneutral gedeckt werden kann. Aufgrund der Komplexität der Industrie und der je nach Branche und Prozess benötigten unterschiedlichen Temperaturniveaus sowie weiterer einschränkender Randbedingungen kann es keine einheitliche Strategie zur Defossilisierung geben.
Der Weg ist ein individueller
Insbesondere die Grundstoffindustrie ist von Prozessen geprägt, die erhebliche Wärmemengen benötigen. Aber auch die weiterverarbeitende Industrie hat einen enormen Wärmebedarf. Für das Ziel klimaneutraler Produktionsprozesse sind Effizienzsteigerungen sowie der schrittweise Ersatz fossiler Brennstoffe durch nachhaltige Energieträger notwendig. Dies bedingt in größerem Umfang auch den Einsatz alternativer Technologien, die zum Teil noch eine Weiterentwicklung von einem bisher niedrigen Technologiereifegrad bis hin zur Marktreife benötigen. Zu den Optionen zählen entsprechend des 4-Stufen-Modells von IN4climate.NRW insbesondere die sektorübergreifende Abwärmenutzung, die Einbindung bzw. Umstellung auf regenerative Wärmequellen, die Elektrifizierung der Prozesswärmeerzeugung sowie der Einsatz neuer und regenerativer Brennstoffe.
Das Modell enthält vier Prüfschritte zur Vermeidung von direkten CO2-Emissionen, die in ihrer Reihenfolge berücksichtigt werden sollten, wobei die Potenziale und Technologien individuell bewertet und genutzt werden müssen. Stufe 1 beinhaltet Maßnahmen zur Energieeffizienz, um den primären Energieverbrauch des Unternehmens zu senken und Verluste zu vermeiden. Stufe 2 verweist auf die Erschließung erneuerbarer Wärmequellen. Stufe 3 beinhaltet die Elektrifizierung über erneuerbaren Strom. In Stufe 4 folgt die Überprüfung der Einbindung alternativer Energieträger.
In vielen Fällen wird eine Energieversorgung mehrere Bausteine und ggf. hybride Lösungen beinhalten. Insbesondere die Untersuchung in Stufe 1 muss daher umfassend ausgeführt werden. So ist es einerseits nicht sinnvoll, Prozesse mit erneuerbaren Energieträgern zu bedienen, die nicht effizient ausgelegt wurden. Andererseits sollten nicht alle bestehenden Prozesse über reine Effizienzmaßnahmen kostspielig optimiert werden, um kurz- oder mittelfristig dann doch durch alternative Technologien ersetzt werden zu müssen. Eine zentrale Herausforderung der Industrie wird es somit sein, für die jeweiligen Anwendungsbedingungen die passende Technologie zu identifizieren und in den Markt zu bringen. Prinzipiell können Prozesse mit einem Temperaturniveau bis etwa 400 °C oft mittels regenerativer Wärmequellen, wie Geothermie oder (konzentrierender) Solarthermie, sowie einer Nutzung von Hochtemperaturwärmepumpen (bis zu 200 °C) abgedeckt werden. Prozesse mit einem Temperaturniveau über 400 °C können durch erneuerbaren Strom elektrifiziert werden oder alternative Energieträger zur Prozesswärmeerzeugung nutzen, wie Wasserstoff, Biomasse, Biomethan oder andere synthetische Energieträger.
Klimaneutrale Prozesswärme
Die chemische Industrie ist einer der energie- und emissionsintensivsten Industriezweige, wenngleich die hohen Energieverbräuche auf wenige Prozesse in der Grundstoffchemie zurückgeführt werden können. Das Fraunhofer ISI zeigt auf, dass die Prozesstemperaturen der Grundstoffindsutrie bis über die 1.000 °C reichen, jedoch die der sonstigen chemischen Industrie meist weit unter 500 °C liegen. Somit können z. B. zur Herstellung von kosmetischen Produkten andere Technologien zur Prozesswärmeerzeugung genutzt werden als beim thermischen Cracken. Die bei letzterem benötigten Temperaturen können aktuell nicht über erneuerbare Wärmequellen und -pumpen erzeugt werden, sondern müssen über Elektrifizierung oder die Nutzung von alternativen Energieträgern erreicht werden. Allerdings ist auch in diesem Bereich noch ein großer F&E-Bedarf zusehen. Für die Nutzung von Power-to-Heat-Prozessen und die Nutzung von Wasserstoff zur Prozesswärmeerzeugung ist ein zu 100 % grünes und ausreichend ausgebautes Stromnetz notwendig. Wasserstoff kann dabei sowohl energetisch zur Wärmebereitstellung als auch in der chemischen Industrie stofflich genutzt werden.
Biomasse hingegen zählt zwar ebenfalls zu den erneuerbaren Energieträgern, steht allerdings nur limitiert nachhaltig zur Verfügung und ist nicht per se klimaneutral. Ein Vorteil von Biomasse ist die Eignung zum Einsatz als nachhaltige Kohlenstoffquelle, insbesondere für die chemische Industrie. Wo dies möglich und nötig ist, sollte Biomasse prioritär eingesetzt werden. Alle weiteren zur Verfügung stehenden klimaneutralen Technologien und Energieträger sollten primär genutzt werden und Prozesse durch redundante Hybridisierung klimaneutral umgestellt werden.
Potenziale müssen erkannt und genutzt werden
Um das Ziel der klimaneutralen Industrie zu erreichen, muss die Prozesswärme berücksichtigt werden. Durch ihren großen Anteil an der Endenergieversorgung ist ein ganzheitliches und überregionales Umdenken essenziell. Die Kombination aus effizienten Prozessen, die Einbindung erneuerbarer Wärmequellen und die Nutzung von erneuerbarem Strom mittels Power-to-Heat-Prozessen sowie der Einsatz von alternativen Energieträgern bringt die Industrie einen großen Schritt näher zur Klimaneutralität – und damit auch zur Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern.
Autorin: Laura-Elvira Graziano, Projektmanagerin Industrie und Produktion, NRW.Energy4Climate, Düsseldorf
„Das deutsche Wirtschaftssystem ist zu abhängig von fossilen Energieträgern.“
ZUR PERSON
Laura-Elvira Graziano hat einen Bachelorabschluss in Umwelttechnik und Ressourcen-Management und den Masterabschluss in Maschinenbau mit Vertiefung Energie- und Verfahrenstechnik. Seit 2022 arbeitet sie als Projektmanagerin in der neuen Landesgesellschaft NRW.Energy4Climate im Bereich Industrie & Produktion. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind u.a. Prozesswärme und Circular Economy.
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Förderpaket klimaneutraler Mittelstand
Mit einem neuen Förderpaket möchte das Land Nordrhein-Westfalen es kleinen und mittleren Unternehmen erleichtern, zeitnah praktische Schritte in Richtung Klimaneutralität zu unternehmen und diese mit einem schlüssigen Gesamtkonzept zu verbinden. Die Förderungen adressieren sowohl den Orientierungsbedarf beim Thema Klimaneutralität als auch die akute Notwendigkeit von Brennstoffeinsparungen und die Nachfrage nach Fachkräften für die Umsetzung der Wärmewende.
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