Neue Arbeitsformen steigern die Attraktivität der Chemie
Ein Interview mit GDCh-Präsidentin Prof. Barbara Albert
Prof. Dr. Barbara Albert, Professorin für Anorganische Festkörperchemie an der TU Darmstadt, ist seit dem 1. Januar 2012 Präsidentin der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) - und damit die erste Frau, die dieses Amt bekleidet. Dr. Andrea Gruß sprach mit Prof. Albert über die Chancen, die sich durch neue Arbeitsformen in der Chemie ergeben.
CHEManager: Frau Prof. Albert, Sie sind seit über 20 Jahren Mitglied der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Wie haben sich die Aufgaben und Themen der Fachgesellschaft seitdem verändert?
Prof. Dr. Barbara Albert: Die Gesellschaft Deutscher Chemiker ist heute wie damals eine Plattform für alle, die in der Chemie aktiv sind. Seit ihrer Neugründung nach dem Krieg treffen sich in ihr Chemikerinnen und Chemikern aus der Wirtschaft den Hochschulen und dem öffentlichen Dienst. Seit einigen Jahren öffnet sich die Fachgesellschaft darüber hinaus neuen Mitgliedsgruppen. So erwerben inzwischen auch beispielsweise Chemielaboranten und -laborantinnen, Biologinnen und Biologen und viele andere Menschen, die beispielsweise in den Bereichen Life Sciences oder Pharma arbeiten, die Mitgliedschaft in der GDCh. Früher brauchte man, wenn man Mitglied werden wollte, zwei Fürsprecher, das ist seit 1998 nicht mehr nötig. Auch in Bezug auf die Themen hat sich ein Wandel vollzogen. Als ich der GDCh beitrat, war - bedingt durch Chemieunfälle - der Begriff Chemie in der Gesellschaft negativ besetzt. Das Ansehen der Chemie hat sich zum Glück stark gewandelt. Heute werden die Beiträge, die die Chemie in der Gesellschaft leistet, stärker wahrgenommen. Inhaltliche Schwerpunkte der Aktivitäten der GDCh liegen derzeit auf Themen wie Energieversorgung der Zukunft, Umgang mit Ressourcen oder Bereitstellung von Materialien für nachhaltigere Prozesse. Hier übernimmt die Chemie seit Jahren eine Vorreiterrolle.
Sind dies auch Themen der Agenda Ihrer Amtszeit?
Prof. Dr. Barbara Albert: Die Positionierung der GDCh und Herausarbeitung der Beiträge der Chemie zu den Fragestellungen Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Materialforschung wurden von meinen Amtsvorgängern sehr erfolgreich initiiert. Diese Arbeit werde ich fortführen. Darüber hinaus möchte ich in der GDCh die Diskussion um Arbeitsformen der Zukunft in Gang setzen. Ich wünsche mir, dass wir uns stärker mit der Frage beschäftigen: Wie werden Chemikerinnen und Chemiker in zehn Jahren arbeiten, und wie sichern wir den Arbeitsmarkt für unseren in Forschung und Produktion so starken Chemiestandort?
Viele Probleme, mit denen wir uns aktuell befassen - der drohende Nachwuchsmangel in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, die mangelnden Karrierechancen für Frauen, die Demographie, die längeren Lebensarbeitszeiten und die daraus resultierende Notwendigkeit des lebenslangen Lernens, die mangelnde Chancengerechtigkeit für Kinder und mangelnde Versorgungssicherheit für Ältere, und auch die steigende Zahl ausgebrannter Arbeitskräfte - kann man im Kontext der nicht optimalen Balancierung von Erwerbstätigkeit und Familienfürsorge diskutieren. Meiner Meinung nach liegen demnach auch die Lösungen dieser Probleme im Bereich der Arbeitswelt - deshalb sollten wir die Arbeitswelt von morgen diskutieren.
Was kann die GDCh zur Diskussion dieses Themas beitragen?
Prof. Dr. Barbara Albert: Die Chemiewirtschaft ist ein bedeutender Arbeitgeber in Deutschland. Sie ist auf vielen Gebieten ein Innovationsmotor. Auch die Chemie an deutschen Hochschulen ist außerordentlich erfolgreich. Die Chemie ist prädestiniert dazu, die Fragen der Arbeitswelt von morgen zu diskutieren. Wenn wir damit beginnen, Vorschläge zur Nachwuchsförderung, zur Chancengleichheit und zu Arbeitsformen der Zukunft zu formulieren, übernehmen wir Verantwortung und eine Vorreiterrolle. Wir werden damit auch hier zum Innovationstreiber für die Gesellschaft und sichern den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig.
Die GDCh gibt den perfekten Rahmen, um dieses Thema zu diskutieren. Hier kommen Chemikerinnen und Chemiker aus allen Bereichen der Gesellschaft zusammen, die viel Erfahrung haben und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Und die Gebiete Nachwuchsförderung, Weiterentwicklung von Studiengängen und vieles mehr werden in der GDCh schon lange bearbeitet.
Was kann die Diskussion um Arbeitsformen der Zukunft bewirken?
Prof. Dr. Barbara Albert: Die Chemiewirtschaft und Hochschullandschaft sind in Bezug auf die Arbeitsverteilung und Karrierewege eher traditionell aufgestellt. Mit traditionell meine ich: Einzelne, gut verdienende Vielarbeiter, meist Männer, übernehmen einen großen Teil der Arbeit, der Verantwortung, auch der Karrieren. Das hatte in der Vergangenheit seine Berechtigung, wie man am Erfolg der Chemie in Deutschland sieht. Das wird jedoch in Zukunft nicht so bleiben können. Der drohende Fachkräftemangel allein ist Motivation genug, sich mit dem Thema Flexibilisierung der Arbeitswelt zu beschäftigen. Ich behaupte: Unsere Gesellschaft braucht leistungsbereite Arbeitskräfte, die Karriere und Familie vereinen können und möchten. Das geht, wenn Karrierewege in der Chemie weniger starr an bestimmte Vorgaben wie 16-Stunden-Tag und Auslandsaufenthalt als notwendiger Karrierebaustein gebunden werden. Und, meiner persönlichen Meinung nach, muss man in Deutschland vor allem zwei Vorurteile bekämpfen: Erstens, wer Karriere macht, muss rund um die Uhr der Arbeitswelt zur Verfügung stehen; zweitens: ein Kind, welches mehr als vier Stunden am Tag fremdbetreut ist, missrät automatisch. Wer um die Fachkräfte von morgen wirbt, muss sich damit beschäftigen, wie Arbeit neu strukturiert werden kann, z.B. mit verantwortungsvollen Aufgaben und Positionen, die in acht bis neun Stunden pro Tag optimal ausgefüllt werden können, Karrierechancen eröffnen und uns allen mehr Zeit für Kinder und Ältere lassen. Gelingt uns die Balance zwischen Erwerbstätigkeit und Familienfürsorge - ich sage bewusst nicht Work-Life-Balance, denn Arbeit gehört doch auch zum Leben - dann gewinnt das Berufsfeld der Chemie deutlich an Attraktivität - für Frauen wie für Männer.
Was muss sich darüber hinaus verändern, damit das Berufsfeld Chemie an Attraktivität gewinnt?
Prof. Dr. Barbara Albert: Als Hochschullehrerin sehe ich ganz klar die Not, dass mein Beruf wieder attraktiver für den Nachwuchs werden muss. Die Gehaltsstrukturen und Rahmenbedingungen, unter denen wir arbeiten, werden zurzeit unattraktiver. Wir brauchen aber kluge Köpfe und engagierte Persönlichkeiten, die diesen Beruf für ihre Berufung halten. So sind bspw. die neuen Studiengänge mit einer zunehmenden Verwaltungstätigkeit verbunden. Nicht nur die Studierenden, auch die Hochschullehrer klagen über viele und fortlaufenden Einzelprüfungen, die durchgeführt und dokumentiert werden müssen. Es kann nicht sein, dass wir im Studium nur noch Ereignisse verwalten, statt die Chemie wirklich zu erleben. Mit Einführung der Juniorprofessur hat sich der Weg in diesen Beruf verändert. Eine Juniorprofessorin oder ein Juniorprofessor haben andere Chancen, stehen aber auch vor anderen Herausforderungen als frühere Habilitanden.
Worin liegen die Unterschiede?
Prof. Dr. Barbara Albert: Juniorprofessuren haben einen anderen Status und beispielsweise mehr Verantwortung im Bereich der Lehre, während der frühere Habilitand sich stärker darauf konzentrieren konnte, sein Forschungsprofil zu erarbeiten. Den Schirm des Mentors, der gerade in der Chemie sehr hilfreich war, und aus dem man als Nachwuchsforscher eine gewisse Sicherheit gezogen hat, gibt es bei der Juniorprofessur nicht mehr. Dafür gibt es andere positive Aspekte, z. B. eine größere Selbständigkeit.
Plädieren Sie dafür, Lehre und Forschung an der Hochschule zu trennen?
Prof. Dr. Barbara Albert: Nein, das deutsche Universitätssystem zieht seine Stärke daraus, dass Forschung und Lehre als Einheit gesehen werden. Wir unterscheiden nicht in Lehreinheiten und Forschungsinstitutionen. In den USA gibt es einige Universitäten, die für ihre exzellente Forschung bekannt sind. Aber es gibt auch zahlreiche US-Universitäten, an denen nur mit sehr begrenzten Mitteln und unter sehr schwierigen Bedingungen gelehrt und geforscht wird. Das deutsche Universitätssystem ist gerade deshalb so gut aufgestellt, weil es diese starke Unterscheidung in reine Forschungszentren und andere Universitäten - zumindest bisher - nicht trifft, sondern ein sehr hohes Niveau in der Breite bietet. Wir müssen darauf achten, dass berechtigte Steuerungsinstrumente der Politik, wie z. B. die Exzellenzinitiative, nicht dahin umschlagen, dass einseitig in eine Richtung optimiert wird. Denn die Balance zwischen sehr guter Forschung und sehr guter Lehre an deutschen Hochschulen ist äußerst wertvoll.
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