Nachhaltigkeit sichert den Vorsprung
Siemens verrät, welches Potential in der Prozessinstrumentierung und -analytik steckt
Nachhaltigkeit war für Siemens bestimmendes Thema auf der Achema in diesem Jahr. Die zentrale Rolle der Prozessinstrumentierung und -analytik im Hinblick auf Effizienzsteigerung ist auf den ersten Blick nicht sofort erkennbar. Die CHEManager-Redaktion hat bei Rolf Panzke, bei Siemens Leiter Industry Business Development Chemie in der Division Industry Automation, nachgefragt, ob dieser Eindruck trügt und welche Potentiale sich mit den richtigen Instrumenten erschließen lassen.
CHEManager: Herr Panzke, Siemens hatte zur Achema Nachhaltigkeit zum zentralen Thema erhoben. Wo sehen Sie den konkreten Beitrag Ihrer Arbeit, also der Instrumentierung?
R. Panzke: Wir tragen zur Energieeffizienz in vielen Bereichen bei. Wir haben analysiert, wo und in welchen Industrien die meiste Energie verwendet wird. Dabei ist die Chemieindustrie, neben der Metallerzeugung, der Zement- und der Papier & Zellstoffindustrie, eine der energieintensivsten Branchen. Im konsequenten Einsatz neuer Produkte, Systeme und Lösungen der Prozessautomatisierungstechnik liegt ein enormes Energieeinsparpotential, das in der chemischen Industrie auf 20 % geschätzt wird. Um dieses Potential zu erschließen, haben wir Auswertungen gemacht, wo wir die Energieeffizienz steigern könnten. Ein Beispiel ist die Zustandsüberwachung an Durchflussleitungen. Mithilfe von Ultraschall-Durchflussmessgeräten Sitrans F US und Sitrans F US Clamp-On können Leckagen in Rohrleitungen, aber auch Verschmutzungen und Verstopfungen in Pipelines frühzeitig entdeckt werden. Die Betriebskonditionen können an den Flüssigkeits- und Gasdurchflussleitungen stets überwacht und der Betriebswirkungsgrad der Leitungen somit verbessert werden. Die Verschwendung von wertvollen Energieträgern durch Leckagen wird verhindert. Zudem wird der Energiebedarf von Pumpen reduziert, die für den Transport der Energieträger sorgen, da die Leitungen stets im idealen Transportzustand gehalten werden.
Durch genaue und messsichere Geräte mit hoher Reproduzierbarkeit lässt sich eine Anlage durch eine genauere Steuerung der Prozesse optimaler fahren und dadurch auch die Energieeffizienz erhöhen. Ein Beispiel dafür ist die rechtzeitige Schaumerkennung bei der Herstellung von Farbpigmenten. Durch eine kontinuierliche Überwachung der Füllstände und deren Oberflächen durch Füllstandradarsysteme (SITRANS LR), Grenzstanderfassung (Pointek CLS) oder Trennschichtmessungen (SITRANS LG) können Schäume rechtzeitig detektiert und abgebaut werden. Sowohl die Zugabe von Antischaummitteln als auch das Ändern von Prozessparametern wie Vakuum, Rührwerksdrehzahlen und Befüllungsgeschwindigkeiten können beeinflusst werden, die somit den Schaumbildungsprozess reduzieren.
Asset Management ist derzeit ein sehr präsentes Thema. Was darunter verstanden wird, kommt allerdings auf die Perspektive an. Was bedeutet Asset Management konkret für Sie?
R. Panzke: Asset Management bedeutet für mich aus der Perspektive der Prozessinstrumentierung und -analytik heraus im Wesentlichen, die Produktion unserer Kunden aufrechtzuerhalten, die Produktionsprozesse zu optimieren - das heißt Shut Down-Zeiten zu reduzieren sowie Produktionsqualität, Produktionsvolumen und Reproduzierbarkeit von Produktionsprozessen zu erhöhen - bei gleichzeitiger Optimierung von Kosten und Emissionen. Für mich umfasst Asset Management also auch umweltrelevante Aspekte.
Könnten Sie uns eine grobe Hausnummer nennen, was die Einführung oder die Planung eines Asset-Management-Konzepts unter dem Strich bringen kann?
R. Panzke: Ein sinnvolles Maintenance-Konzept kann bis zu 50 % Einsparungen bei den Maintenance-Kosten bringen. Dafür muss das Konzept ein durchgängiges sein, das den kompletten Zyklus im Blick hat. Es muss also von der Feldebene bis hin zur Management-Ebene reichen. Wenn dieser Kreislauf irgendwo unterbrochen wird, funktioniert der ganze Informationsfluss und das komplette Asset Management nicht mehr.
Das heißt, ein interdisziplinärer Ansatz ist das A und O?
R. Panzke: Genau. Ein solcher Ansatz verlangt nicht nur von den Anwendern, sondern auch von den Lieferanten ein umfassendes Applikations-Know-how, ein enormes Know-how hinsichtlich der Produktionsprozesse und auch der Industriesegmentierung. Man muss die Chemie wirklich in ihren einzelnen Zweigen betrachten und die unterschiedlichen Produktionsverfahren und Produktionsanforderungen kennen. Ansonsten ist keine wirkliche Unterstützung im Bereich Asset Management möglich.
Bei den 50 % Einsparpotential über das Asset Management spielt der Teil Condition Monitoring eine große Rolle. Ein wichtiger Teil sind dabei intelligente Geräte, die ihren Zustand selbst melden. Was leisten solche Geräte?
R. Panzke: In der Regel messen die Geräte nicht, sondern errechnen die Informationen, die benötigt werden, aufgrund von anderen Daten. Diese Daten oder andere technische Informationen werden abgeleitet in Statusinformationen, die sehr gut den Zustand beschreiben oder identifizieren können. Dafür sendet das Gerät die Statusinformation an den Operator oder das Prozessleitsystem. Dieser erkennt, dass eine Signaländerung vorliegt. Der aktuelle Wert wird mit dem ursprünglichen Wert verglichen und interpretiert: Bspw. kann eine Dämpfung des Signals eine Anbackung am Messgerät bedeuten.
Dieser Vorgang ist das reine Condition Monitoring. Inzwischen sind wir einen Schritt weiter: Wir untersuchen, wo die Abweichung herkommt. Wir nutzen also diese Advance Diagnose Features von Geräten, um nicht nur herauszufinden, dass es ein Problem gibt, sondern auch um welches Problem es sich handelt, um es zu lösen. Damit sind wir bereits beim Schritt vom Condition Monitoring zum Condition Management, von der Problemerfassung zur Problemlösung. D. h. nach einer zweiten Warnung läuft der Notfallplan an, und eine Maßnahme wird eingeleitet, um das Problem zu beseitigen.
Kommt dieser Ansatz denn schon praktisch zum Einsatz?
R. Panzke: Ja, beispielsweise bei verschmutzten Sensoren. Die Verschmutzung wird wie bereits beschrieben durch Signaldämpfung beispielsweise mit unseren Radarfüllstandsmessern Sitrans LR analysiert. Je nach Prozess und Ergebnis wird ein Ventil geöffnet. Darüber strömt Heißdampf, Lösungsmittel, Wasser oder Luft an den Sensor und reinigt diesen - bis die Signalbilanz am Sensor wieder einem Sollwert, der abgespeichert ist, entspricht. Das heißt, wir messen die Signaländerung während des Spülens, bis der Sollwert wieder erreicht ist. Mittlerweile sind diese Konfigurationen in den Standardgeräten integriert. Ein solcher Sensor leistet also einen Beitrag zum Asset Management, indem Produktionen bei reduziertem Maintenance-Aufwand gefahren werden können bzw. eine messsichere und zuverlässige Signalverarbeitung gewährleistet ist. Und das führt natürlich auch zu einer Erhöhung der Produktionsqualität, -quantität und Reproduzierbarkeit.
Übernehmen Sie die Garantie für Ihre Analyse?
R. Panzke: Wir können uns unserer Sache in der Regel ziemlich sicher sein, weil wir seit vielen Jahren in der Chemie tätig sind. Einen Großteil des Know-hows haben wir an ausgewählten Applikationen zusammen mit unseren Kunden entwickelt, und wir lernen bei jeder dazu. Bei einem großen Chemieunternehmen haben wir innerhalb von drei Monaten 20 Applikationen gefunden, mit denen es Optimierungspotential gibt, und von diesen 20 haben wir 19 gelöst - obwohl wir mit der speziellen Problemstellung noch nie zu tun hatten. Die umfangreiche Erfahrung ist für Siemens eine wichtige Basis. Derzeit sind vier Trends zu beobachten: Entweder kauft der Kunde Komponenten bzw. Module einzeln und stellt sich das System selber zusammen. Oder er kauft die Prozessinstrumentierung als Paket und auch die Automatisierung separat als Lösung. Die dritte Möglichkeit ist, das komplette Prozessinstrumentierungs- und Automatisierungspaket zusammen zu kaufen. Eine vierte Möglichkeit wäre, nach Projekt zu entscheiden. In solchen Fällen hat der Kunde bei einigen Anlagensegmenten selbst das Know-how, andere Segmente gibt er lieber ab. Siemens kann alle vier Varianten bedienen. Und die Produkte, die wir in unserem Produktportfolio noch nicht haben, holen wir uns dann in Kooperation mit renommierten anderen Herstellern dazu.
Inwiefern spüren Sie die Auswirkungen der Wirtschaftkrise in Ihrem Bereich im Moment?
R. Panzke: Derzeit geht der Trend in Richtung Multi-Purpose-Anlage, die also nicht für ein bestimmtes Produkt eingesetzt wird, sondern anpassungsfähig ist. Viele Unternehmen nutzen die Zeit, um andere Schwerpunkte zu setzen. Vor einem bis anderthalb Jahren waren die Unternehmen weniger auf den Umbau der Anlagen fokussiert, weil ohne Unterbrechungen produziert werden musste, um die Nachfrage zu bedienen.
Zeit zum Durchatmen haben die Unternehmen zweifellos, aber haben sie auch die Kraft, die Veränderungen umzusetzen?
R. Panzke: Sie müssen. In den vergangenen Jahren der Hochkonjunktur wurden zwar immer wieder Investitionen getätigt, vor allem aber in neue Projekte. Zurzeit haben wir wirklich große Maintenance-Projekte an bestehenden Anlagen und auch bei kleineren Firmen, die vorbereitet sein möchten, wenn die Konjunktur wieder anzieht.
Das ist ja auch eine Form der Nachhaltigkeit, dass Entscheidungen fundierter getroffen werden. Aber: Einbußen sind ja bei allen da. Wo sparen denn die Unternehmen, die sich nun ihren Anlagen widmen?
R. Panzke: Bei der Prozessinstrumentierung und -analytik aus meiner Sicht eher nicht. Viele Anwender sehen, dass ihnen neue Technologien langfristig ein Einsparpotential bieten, weil viel Instandhaltung wegfällt.