Nachfolgeplanung mit System
IT-gestützte Eignungsdiagnostik ermöglicht Personalentwicklung im Einklang mit der Unternehmenskultur
Hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte gibt es nicht wie Sand am Meer. Unternehmen, die wichtige Positionen gut besetzen wollen, müssen sich um eine systematische Nachfolgeplanung bemühen. IT-gestützte Verfahren zur Eignungsdiagnostik können dabei helfen, Potenziale zu erkennen und zeitgleich die kulturelle Passung zum Führungsstil des Unternehmens sicherzustellen. Allerdings müssen sie dafür richtig konzipiert sein.
Jede Jobposition geht mit eigenen Anforderungen einher. Sie zu kennen und genau zu definieren ist das A und O für eine passende Stellenbesetzung. Das gilt umso mehr für Führungspositionen: Wird eine vakante Position hier nicht passgenau besetzt, kann das zu schwerwiegenden Folgen auf personeller und finanzieller Ebene führen. Unternehmen sind deshalb gut beraten, bereits frühzeitig in den eigenen Reihen nach Potenzialträgern zu suchen. Diese können dann Leitungsfunktionen übernehmen, wenn eine bisherige Führungskraft ausscheidet. Voraussetzung ist, dass sie entsprechende Personalentwicklungsmaßnahmen durchlaufen. So kann verhindert werden, dass teure Vakanzen entstehen oder mit aufwändigen Verfahren nach externen Kräften gesucht werden muss.
Dabei ist ein methodisches Vorgehen gefragt. Denn eine treffsichere Auswahl der Potenzialträger ist wichtig, wenn verhindert werden soll, dass teure Personalentwicklungsmaßnahmen nicht an der falschen Stelle eingesetzt werden. Wie aber können Personaler feststellen, welche Mitarbeiterin oder welcher Mitarbeiter zukünftig Führungsaufgaben übernehmen kann? Und wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass das Führungsverständnis auch zu der individuellen Unternehmenskultur passt?
Voraussetzung: klar definierte Anforderungen
Bereits die Definition der Stellenanforderungen ist entscheidend. Hier von simplen Eigenschaften auszugehen wie etwa Teamfähigkeit oder Durchsetzungskraft ist nicht sinnvoll. Denn diese sind nur wenig aussagekräftig. Solche Eigenschaften sind bei Führungskräften wichtig, aber was genau meint teamfähig in konkreten beruflichen Situationen? Nachgeben, echten Konsens erreichen, das Team zur Zustimmung zu den eigenen Ansichten bewegen oder sich vom Team überzeugen lassen? Und in welchem Ausmaß soll ein Kandidat diese Eigenschaft für eine spezielle Stelle zeigen? Jeder Mensch hat diese Eigenschaften, nur manche eben für die Position in viel zu geringer Ausprägung und manche in viel zu starker Ausprägung.
Sinnvoller ist es daher, von sog. Critical Incidents auszugehen. Critical Incidents sind erfolgsrelevante Ereignisse. Jedes Unternehmen kann für diese festlegen, welche Verhaltensweisen bezogen auf eine konkrete Position passend und erfolgversprechend sind. Für jede Jobfamilie mit ähnlichen Führungsaufgaben sind etwa 35 bis 50 solcher Situationen nötig. Bei der richtigen Auswahl und Evaluierung solcher erfolgsrelevanten Situationen helfen fachkundige Dienstleister im Bereich der Personaldiagnostik.
Diese Kombinationen aus Situationen und Verhaltensweisen bilden die Basis für verhaltensorientierte Kompetenzmodelle. In solchen Modellen stehen nicht Eigenschaften, sondern das gewünschte Verhalten im Vordergrund. So könnten etwa zum Kompetenzbereich „Mitarbeiter motivieren“ die Kompetenzen „Angemessene Ziele vereinbaren“, „Erwartungen klar formulieren“ und „Arbeitsergebnisse kontrollieren“ gehören. Solche Kompetenzmodelle entsprechen dann auch der Definition von Kompetenzen nach der neuen DIN 33430. Laut dieser sind Kompetenzen Verhaltensweisen zur erfolgreichen Bewältigung beruflicher Aufgaben.
Auf Basis Critical Incidents Potenziale erkennen
Unternehmensspezifische verhaltensbasierte Kompetenzmodelle können dabei helfen, die interne Nachfolgeplanung zu systematisieren. Mit ihnen können Unternehmen erkennen, welche Potenziale ein Mitarbeiter mitbringen muss, um den vakanten Platz in der Führungsriege passgenau auszufüllen.
Potenziale sind dabei Eigenschaften, die Personen in die Lage versetzen, die in erfolgsrelevanten Situationen richtigen Verhaltensweisen zu lernen. Ein Trainee, der nach dem Studium im Unternehmen anfängt, kann noch nicht die Kompetenzen eines Abteilungsleiters haben. Er kann aber das entsprechende Potenzial mitbringen, um diese Kompetenzen entwickeln zu können. Ebenso kann in Unternehmen vom Abteilungsleiter nicht erwarten, dass er sofort einen Vorstandsposten ausfüllen könnte. Vielleicht hat er aber ausreichend Potenzial, um ihn als Nachfolger aufzubauen.
Wichtig ist bei der Nachfolgeplanung zu überlegen, welche Lernfähigkeit (Potenziale) ein Kandidat haben muss, um die später erforderlichen Kompetenzen zu erwerben, um sich dann in den erarbeiteten erfolgskritischen Situationen richtig zu verhalten. Diese Potenziale können den Erwerb von Wissen (intellektuelle Fähigkeiten) und Können (Arbeitshaltungen, bevorzugte Führungsstile, kommunikative Fähigkeiten) betreffen, sich aber auch das Wollen beziehen. Damit ist die persönliche Passung zu den beruflichen Aufgaben wie etwa die Gestaltungs- und Leistungsmotivation oder die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub und zur Selbstkontrolle gemeint.
Welche Potenziale für eine konkrete Position in welchem Ausmaß erforderlich sind, wird im Rahmen einer Anforderungsanalyse erarbeitet. Mit dieser Grundlage und den entsprechenden Messinstrumenten können HR-Abteilungen für jeden Mitarbeiter individuell entscheiden, ob sich bestimmte Entwicklungsrichtungen für ihn anbieten oder die Vorbereitung auf eine bestimmte Zielposition als Nachfolger für ihn aussichtsreich ist. Für die technische Durchführung der Potenzialmessung und -Bewertung stehen heute gute Internet-Testplattformen wie etwa Perls zur Verfügung, die leicht an die jeweiligen Spezifika des Unternehmens angepasst werden können.
Schnell und kostengünstig hilft ein solches Tool bei der systematischen Nachfolgeplanung, weil es flächendeckend bei prinzipiell jedem aufstiegsinteressierten Mitarbeiter eingesetzt werden kann. Welche Mitarbeiterin oder welcher Mitarbeiter mit welchen Personalentwicklungsmaßnahmen gefördert wird, unterliegt also nicht mehr nur der persönlichen Einschätzung der Vorgesetzten. Auch stille Potenzialträger können erkannt werden, die der Führungskraft bislang nicht auffielen. Entscheidend ist allerdings, dass nach den Potenzialen geforscht wird anstatt nach den Kompetenzen. Denn insbesondere Führungskompetenz erwirbt ein Mensch erst im Zuge seiner beruflichen Laufbahn. Potenziale für den einen oder anderen Karriereweg bringt er in der Regel schon beim Eintritt ins Berufsleben mit.
Unternehmen, die gemäß der neuen DIN 33430 für eine klare Unterscheidung von Kompetenzen und Potenzialen sorgen und darauf gestützt passende Verfahren in der Personalarbeit einsetzen, können die Mitarbeiter von Anbeginn so fördern, wie es zu ihrem persönlichen Profil passt. Potenzielle Führungskräfte, aber auch Mitarbeiter mit besonderen Stärken als fachliche Experten, Projektleiter oder Akquisiteure, werden auf diesem Wege rechtzeitig erkannt. Wenn Unternehmen diese von Anfang an durch entsprechende Personalentwicklungsmaßnahmen fördern und zielgerichtet ausbilden, müssen teure Vakanzen gar nicht erst entstehen.
Passung zur Unternehmenskultur ausloten
Die einmal entwickelten Critical Incidents können für die Personalarbeit in vielen weiteren Bereichen genutzt werden. Besonders wichtig ist dabei das Feststellen der Passung von berufserfahrenen Bewerbern zur Unternehmens- bzw. Führungskultur.
Nicht immer können Unternehmen den Bedarf an höheren Führungskräften aus den eigenen Reihen decken. Manchmal setzen Unternehmen auch bewusst auf jemanden von außen, der für frischen Wind sorgen soll. Solche erfahrenen Kräfte sollten die erforderlichen Kompetenzen mitbringen und diese in anderen Unternehmen gezeigt haben.
Oft scheitern aber externe Besetzungen daran, dass die neue, starke Persönlichkeit nicht zur Unternehmenskultur passt. Eine gewisse Abweichung kann Vorteile mit sich bringen, was neue Ideen und Impulse anbelangt. Wenn aber der Abstand zwischen der von der neuen Führungskraft verinnerlichten Kultur und der im Unternehmen gelebten zu groß wird, bleibt oft nur die meist sehr teure Trennung.
Es ist meist sehr schwierig, vor Stellenantritt die kulturelle Passung zu beurteilen. Zwar definieren die meisten Unternehmen ihre Unternehmenskultur in Leitlinien und Broschüren, aber selten sind die darin enthaltenen Aussagen wirklich aussagekräftig. Denn was wirklich hinter den formulierten Grundsätzen im realen Unternehmensalltag steht, variiert von Unternehmen zu Unternehmen stark. Heißt „Mitarbeiter fördern“ bspw., sie durch eigenes Zutun zu unterstützen oder ihnen durch Eigenverantwortlichkeit Raum für gute Leistungen zu geben?
In fast allen Leitlinien werden die Werte oder Grundsätze jeweils für sich einzeln beschrieben. Welcher Grundsatz unter welchen Bedingungen im Konfliktfall vorrangig ist, wird nicht erläutert. Im Arbeitsalltag kommt es aber oft zu Situationen, in denen Grundsätze im Widerspruch zueinander stehen: Ein Paradebeispiel ist der Gegensatz zwischen Mitarbeiter- und Produktorientierung. Jedes Unternehmen möchte die Interessen der Mitarbeiter berücksichtigen, und jedes muss auch die effiziente Leistungserbringung sichern. Das ist oftmals auch so in den Leitlinien formuliert. Aber was ist konkret zu tun, wenn ein wichtiger Auftrag, der ernsthaft gefährdet ist, nur erfolgreich abgeschlossen werden kann, wenn ein Mitarbeiter auf einige freie Tage verzichtet, die er mit seiner Familie fest verplant hat? Welches Verhalten eine Führungskraft in einer solchen Situation an den Tag legen soll und allgemein akzeptiert wird, ist auch bei nahezu identischen Formulierungen von „Grundsätzen“ je nach Unternehmen sehr unterschiedlich.
Nur jene von außen kommenden Führungskräfte werden sich auf Dauer wunschgemäß verhalten, die Vorstellungen mitbringen, die der gelebten Unternehmenskultur ähnlich sind. Auch dies lässt sich mit Verfahren zur psychologischen Eignungsdiagnostik ergründen. Dem Bewerber wird eine Reihe erfolgskritischer Situationen vorgelegt. Anschließend wählt er aus, welches Verhalten er für passend hält. Eine solche Frage kann etwa lauten: Welchen Umgang halten Sie für richtig, wenn ein Mitarbeiter sich beschwert, dass eine Kollegin die ihr aufgetragene Präsentation nicht schnell genug erstellt?
Mögliche Antworten wären: A Ich vertraue auf das Können der Mitarbeiterin. B Ich binde den sich beschwerenden Kollegen mit ein. C Ich setze mich mit der Mitarbeiterin zusammen, um ihr bei der Präsentation zu helfen. D Ich erstelle die Präsentation lieber selbst.
Alle Antworten lassen sich sinnvoll begründen. Aber nicht immer passt das Ergebnis zur gewünschten Unternehmenskultur.
Eignungsdiagnostik als Interviewhilfe
Wichtig ist, die Ergebnisse nicht absolut zu setzen. Entscheidet sich ein Bewerber bspw. dafür, die Mitarbeiterin bei der Erstellung der Präsentation zu unterstützten, so kann das aus Sicht des Unternehmens grundlegend falsch sein, weil es die Arbeitszeit einer Führungskraft auf operativer Ebene bindet. Der Befragte hat womöglich aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen ein Führungsverständnis, das darauf basiert, Mitarbeiter so gut wie möglich zu unterstützen und damit einen Beitrag zur Personalentwicklung zu leisten, damit sie beim nächsten Mal eigenständig handeln können. Es lohnt sich also, im persönlichen Gespräch nachzufragen, welche Motivation hinter der jeweiligen Antwort steckt. So wird ein Critical-Incident-Test zu einem wichtigen Werkzeug, um strukturierte Interviews zu führen. Er bietet eine Reihe sinnvoller Gesprächsaufhänger, anhand derer sich viel über den Bewerber und seine Passung zur Unternehmenskultur erfahren lässt. Bislang kommen solche Interviewhilfen in Unternehmen erstaunlich selten zum Einsatz, obgleich sie ein starkes Instrument für eine nachhaltige Auswahl von Führungskräften sind. Der Grund liegt wohl darin, dass erst wenige Unternehmen die Personalarbeit systematisch auf erfolgskritischen Situationen aufbauen, und stattdessen eigenschaftsorientierte Kompetenzmodelle nutzen. Diese eignen sich nicht für die Einschätzung der kulturellen Passung.
Mithilfe der richtigen Werkzeuge können Unternehmen gute Wege finden, die Nachfolge von wichtigen Positionen von Grund auf durchdacht zu gestalten. Ein einmal erstelltes Konzept kann dabei über viele Jahre zum Tragen kommen und sicherstellen, dass keine teuren Vakanzen in der Führungsriege entstehen. Der Einsatz solcher Personalentwicklungsverfahren wirkt sich positiv auf die Mitarbeiterzufriedenheit aus und setzt wichtige Anreize zur Weiterentwicklung persönlicher Stärken. So entsteht eine attraktive Arbeitgebermarke, die sich im War for Talents behaupten kann.