Merck vor Zäsur im Pharmageschäft
06.07.2011 -
Merck steht beim Sorgenkind Pharma vor dem größten Umbau seit der Milliardenübernahme des Biotech-Konzerns Serono vor vier Jahren. Denn in der Pharmasparte hat der Darmstädter Dax-Konzern trotz hoher Investitionen kaum neue Produkte zur Marktreife gebracht. Die Tablette Cladribin gegen Multiple-Sklerose - die größte Medikamentenhoffnung des Unternehmens seit Jahren war bei den Arzneimittelbehörden in Europa und den USA durchgefallen. Als Konsequenz bricht Merck nun den weltweiten Zulassungsprozess für Cladribin ab. In Australien und Russland wird das bereits zugelassene Mittel vom Markt genommen. Die Pharmaforschung soll fokussiert, unnötige Bürokratie abgebaut und Kosten gesenkt werden, hatte Unternehmenschef Dr. Karl-Ludwig Kley bei der Hauptversammlung der Merck KGaA angekündigt. Bis zum Herbst sollen den Worten nun Taten folgen. Beobachter rechnen damit, dass die neue Führungsriege mit Kley, Pharma-Chef Stefan Oschmann und Finanzvorstand Matthias Zachert der Pharmasparte ein kräftiges Restrukturierungsprogramm mit Stellenstreichungen und einer Straffung der Entscheidungsstrukturen verschreiben wird. Auf dem neuen Management des ältesten chemisch-pharmazeutischen Unternehmens der Welt lasten große Erwartungen. Seit dem 1. Juni ist mit dem vom Spezialchemiekonzern Lanxess abgeworbenen Finanzchef Zachert die Führungsmannschaft komplett. Ein langjähriger
Weggefährte schätzt ihn als "hervorragenden Restrukturierer und für einen Pharmaanalysten ist er gar die "beste Investition, die Merck seit langem getätigt hat. Die Neuzugänge im Vorstand kamen auch an der Börse gut an: Seit Ende 2010 hat die Aktie rund ein Viertel an Wert gewonnen und ist damit Spitzenreiter im Dax.
Nach mehreren Rückschlägen im Geschäft mit patentgeschützten Arzneimitteln, die in der Sparte Merck Serono zusammengefasst sind, hatten die Vertreter der Familie Merck zum Jahresanfang bereits die Leitung der Pharmasparte ausgetauscht: Der vom US-Konzern Merck & Co kommende Oschmann übernahm die Verantwortung für Merck Serono und die rezeptfreien Alltagsprodukte (Consumer Health Care) von seinem glücklosen Vorgänger Elmar Schnee. Seitdem hat er seinen neuen Wirkungsbereich auf Herz und Nieren geprüft. In erster Linie dürften die Einschnitte die für rund zehn Mrd. € erworbene Biotech-Tochter Serono treffen. So hieß es im "Manager Magazin jüngst, dass diese zukünftig nicht mehr von Genf, sondern vom Firmensitz in Darmstadt aus gesteuert werden soll. Auch werde mit Hochdruck an einem Stellenabbauprogramm gearbeitet. Kolportiert wird zudem, dass der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus als prominenter Neuzugang nach Darmstadt kommt. Kein Kommentar heißt es dazu von Merck. Wie dringend neue Umsatzbringer sind, zeigen die Aussagen zum bisher umsatzstärksten Medikament Rebif ebenfalls ein Mittel gegen die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose. Hier muss sich Merck auf einen zunehmenden Wettbewerb einstellen. 2011 rechnet Kley für Rebif mit einer "eher verhaltenen Umsatzentwicklung".
Nicht nur das Geschäft mit verschreibungspflichtigen Medikamenten läuft nicht rund. Auch die Sparte Consumer Health Care (OTC) mit Produkten wie Nasivin oder Cebion ist vom Umsatzziel eine Mrd. € weit entfernt. Das operative Ergebnis der Sparte brach 2010 kräftig ein. Ein Blick auf Konkurrenten wie Bayer Boehringer Ingelheim oder auch den schweizerischen Pharmakonzern Novartis offenbart die Schwäche. Die Konkurrenz
liefert bei freiverkäuflichen Gesundheitsprodukten operative Renditen von 15 bis 20 %. Spekulationen über einen Verkauf der Sparte hat Kley zurückgewiesen. Für Analysten hingegen ist die Veräußerung nur eine Frage der Zeit und des Preises. Interessenten müssten laut Branchenexperten 1 Mrd. bis 1,5 Mrd. Euro für die Sparte auf den Tisch legen. 2010 lieferte das OTC-Geschäft einen Umsatz von rund 470 Mio. €.
Ganz ungewohnt sind massive Anpassungen für Merck nicht. Veränderung ist schließlich Teil der Firmenstrategie "Bewahren, Verändern, Wachsen. Im zurückliegenden Jahrzehnt hat die Familie hinter dem Dax-Konzern gut die Hälfte des Geschäftsvolumens umgeschichtet. Rund 15 Mrd. € flossen in Übernahmen. Für rund 8 Mrd. € wurden Geschäftsteile verkauft. 2011 dürfte auf die Mitarbeiter ein weiteres Jahr mit großen Umwälzungen zukommen