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Konjunkturaufschwung beschleunigt die Konsolidierung in der Chemie

Anzahl und Volumina der Fusionen und Akquisitionen in der Chemieindustrie steigen

08.06.2011 -

Steigende Gewinne und die Fokussierung der Unternehmen auf strategische Wachstumsbereiche beleben den Markt für Mergers & Acquisitions (M&A) in der Chemiebranche. Allein im ersten Quartal 2011 lag das Transaktionsvolumen bei über 40 Mrd. US-$. Dr. Andrea Gruß sprach zu diesem Thema mit Dr. Volker Fitzner, Partner und weltweit verantwortlich für den Bereich Chemicals Advisory bei PricewaterhouseCoopers (PwC).

CHEManager: Sie analysieren vierteljährlich die M&A-Aktivitäten in der Chemieindustrie. Welche Trends beobachten Sie aktuell?

Volker Fitzner: Die Konsolidierung der Chemiebranche hat sich im Nachkrisenjahr 2010 weltweit beschleunigt. Wir beobachten sowohl einen Anstieg der Transaktionen, und zwar um ein Viertel auf über 100 Deals mit einem Volumen größer 50 Mio. US-$, als auch einen Anstieg des durchschnittlichen Transaktionsvolumens um über 80 % auf 635 Mio. US-$. Dabei wurde die abgesagte Übernahme von BHP Billition durch Potash für 40 Mrd. US-$ nicht eingerechnet. Insgesamt verdreifachte sich das Transaktionsvolumen an Beteiligungen, Fusionen und Übernahmen in der Chemieindustrie im Jahr 2010 gegenüber dem Vorjahr auf rund 110 Mrd. US-$.

Setzt sich dieser Trend im Jahr 2011 fort?

Volker Fitzner: Ja, er beschleunigte sich sogar nochmal im ersten Quartal 2011: Das Volumen der weltweit angekündigten M&A-Deals legte gegenüber dem vierten Quartal 2010 um rund 80 % auf 41 Mrd. US-$ zu. Bemerkenswert ist die deutliche Zunahme der Mega-Deals mit Volumina von über 1 Mrd. US-$. Im ersten Quartal 2011 gab es allein acht Transaktionen dieser Größenklasse. Zum Vergleich: Im Gesamtjahr 2010 zählten wir insgesamt 14 Deals dieser Größenordnung. Angesichts dieses Trends und der anhaltend positiven Nachfrage in der Chemieindustrie rechnen wir für das Gesamtjahr 2011 mit einer sehr starken M&A-Bilanz.

Wer investiert derzeit in der Chemischen Industrie? Gehen die Aktivitäten eher von strategischen Investoren oder Finanzinvestoren aus?

Volker Fitzner: Das Transaktionsgeschehen in der Chemiebranche folgt einem typischen konjunkturellen Muster: Im Krisenjahr 2009 sank der Anteil des Transaktionsvolumens, der auf Finanzinvestoren entfiel, auf etwa 10 %. Während dieser Abschwungphase wurden eher kleinere Deals von strategischen Investoren abgeschlossen. Mit dem Aufschwung der Weltkonjunktur steigen die Gewinne der Chemieunternehmen. Es wächst das Interesse an größeren Transaktionen, auch seitens der Finanzinvestoren, die teilweise schon sehr viele Jahre auf ein günstigeres Konjunkturumfeld für einen Exit gewartet haben. Das belegen auch unsere aktuellen Zahlen: Im ersten Quartal 2011 entfielen 23 % des Transaktionsvolumens in der weltweiten Chemieindustrie auf Finanzinvestoren - ein überdurchschnittlich hoher Wert. Der mit Abstand größte seit Jahresbeginn angekündigte Deal unter Beteiligung eines Finanzinvestors ist die Übernahme von Lubrizol durch Berkshire Hathaway für knapp 8,8 Mrd. US-$.

Wie entwickeln sich die Preise angesichts des Aufschwungs am M&A-Markt?

Volker Fitzner: Nach deutlich niedrigen Bewertungen mit EBITDA-Multiplikatoren vielfach im mittleren einstelligen Bereich in den Jahren 2008 bis 2009 beobachten wir einen Aufwärtstrend bei den Preisen mit EBITDA-Multiplikatoren teilweise im höheren einstelligen Bereich, aber noch keine Überhitzung. Derzeit kommen sowohl Käufer als auch Verkäufer noch mit akzeptablen Preisen zum Zuge. Für Chemieunternehmen lohnt es sich jedoch, die Portfolios der Finanzinvestoren auf der Suche nach passenden Akquisitionsobjekten schnellstmöglich zu analysieren.
Nachdem viele Fonds und Private-Equity-Gesellschaften ihr Kapital während der zurückliegenden Krise zur Sanierung von Portfoliogesellschaften einsetzen mussten, haben sie nun wieder Spielraum für neue Beteiligungen. Dazu tragen auch die verbesserten Finanzierungsbedingungen bei. Durch den Anlagedruck, unter dem Private-Equity-Gesellschaften derzeit stehen, könnten die Preise auch für strategische Investoren schon bald wieder steigen.

Rund die Hälfte der 20 großen Transaktionen über 1 Mrd. US-$ in den Jahren 2009 und 2010 entfielen auf den Bereich Agrochemie, einen Sektor, in dem die Konsolidierung bis dato als weit fortgeschritten galt. Worauf führen Sie dies zurück?

Volker Fitzner: Zum einen zeigte die Agrochemie eine höhere Stabilität in der Krise als andere Segmente der Chemiebranche. Zum anderen gewinnt neben klassischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln die Pflanzenbiotechnologie weltweit an Bedeutung. Denn sie ermöglicht z.B. die Züchtung von Pflanzen, die resistent gegen Schädlinge sind oder besonders wenig Wasser zum Wachstum benötigen. Diese Entwicklung zur Steigerung der Effizienz pflanzlicher Produktion brachte in den vergangenen Jahren Bewegung in diesen Sektor und hat neben Übernahmen auch zu vielen Kooperationsvereinbarungen zwischen den Unternehmen des Agrochemie-Sektors geführt.

Darüber hinaus werden derzeit viele Spezialchemieaktivitäten gekauft und verkauft...

Volker Fitzner: Auslöser für diese Bewegungen sind Portfolio-Optimierungen und die strategische Fokussierung oder sogar Neuausrichtung von Unternehmen. Meist haben diese das Ziel, entlang der Wertschöpfungskette endkundennäher zu agieren und so höhere Margen zu erzielen. So wollen Spezialchemieunternehmen evtl. ein weniger stark entwickeltes Geschäftsfeld durch Zukäufe ausbauen, um die eigene Marktposition zu stärken, oder umgekehrt: Sie wollen sich von diesem trennen, um sich stärker zu fokussieren. Die unterschiedlichen Interessen der strategischen Investoren in Verbindung mit laufenden Nachjustierungen im Portfolio-Management führen zu einer gewissen Kontinuität bei den Transaktionen in der Spezialchemie.

Wie verteilen sich die M&A-Aktivitäten in der Chemieindustrie regional?

Volker Fitzner: Im Jahr 2010 entfielen 38 % der Transaktionen in der Chemieindustrie auf die Region Asien-Pazifik, insbesondere auf China. Etwa jeweils rund 25 % der Aktivitäten entfallen auf Nordamerika und Europa. Mit dem Ende der Krise gewinnt auch die Konsolidierung der Chemiebranche über Staatengrenzen hinweg wieder an Tempo. Wir beobachten wieder mehr grenzüberschreitende Deals. Insbesondere chinesische Unternehmen investieren stark im Ausland: Mit gut 3,8 Mrd. US-$ im ersten Quartal 2011 lag das Volumen ihrer Transaktionen mit Ziel außerhalb Chinas bereits auf dem Niveau des gesamten Vorjahres. Die nordamerikanische Chemie investierte 1,9 Mrd. US-$ im ersten Quartal außerhalb der Heimatregion, während die meisten Transaktionen mit europäischem Investor auch ein europäisches Unternehmen zum Ziel hatten.

In Ihrer M&A-Studie zum Jahr 2010 analysieren Sie die Rahmenbedingungen für Investitionen, insbesondere das Steuersystem in unterschiedlichen Nationen. Inwieweit ist die Steuerpolitik eines Landes ausschlaggebend für eine Investition?

Volker Fitzner: Steuerpolitik kann Investitionen anziehen. Wenn Unternehmen verschiedene Märkte miteinander vergleichen, z.B. weil sie in einer Region mit stark steigendem Bruttosozialprodukt investieren wollen, dann kann ggf. eine steuerliche Förderung in einem Land oder auch dessen Regulierungsniveau, was Zölle oder die Repatriierung dort erzielter Gewinne anbetrifft, den Ausschlag für eine Entscheidung geben.

Sie unterscheiden in Ihrer Analyse BRIC- und VISTA-Staaten. Welche Länder verbergen sich hinter VISTA?

Volker Fitzner: VISTA ist eine Abkürzung für Vietnam, Indonesien, Südafrika, Türkei und Argentinien. Diese Länder gehören wie die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China zu den sogenannten Emerging Markets. Bei Letzteren handelt es sich aber durchweg um sehr viel größere Volkswirtschaften, die mittlerweile auch bedeutende Industriezweige entwickelt haben. Auch die Infrastruktur der BRIC-Staaten ist besser entwickelt. Sie sind jedoch den VISTA-Staaten nicht unbedingt voraus, was die Homogenität des Wachstums über die ganze Volkswirtschaft hinweg betrifft.

Wie unterscheiden sich die Steuersysteme?

Volker Fitzner: Hier muss jedes Land separat betrachtet werden. In der Studie wurden 183 Nationen in Bezug auf die Einfachheit ihres Steuersystems und die Höhe der Unternehmenssteuern analysiert. Vergleichsweise gut schnitten unter den BRIC- und VISTA-Staaten hier Südafrika und die Türkei ab. Insgesamt gilt es bei einer Investition, die zumeist höhere Stabilität und bessere Infrastruktur in den BRIC-Staaten gegenüber den Vorzügen der VISTA-Regionen abzuwägen. Niedrige Steuern sind dann lediglich ein Entscheidungskriterium.

Wie sollte sich die Steuerpolitik eines Landes idealerweise gestalten?

Volker Fitzner: Unternehmen wünschen sich natürlich immer, möglichst wenig Steuern zu zahlen. Mindestens ebenso wichtig ist ihnen jedoch ein einfaches und berechenbares Steuersystem, das nicht etwa auf der einen Seite durch steuerliche Erleichterungen Investoren anlockt und an anderer Stelle diese Bemühungen konterkariert. Das schafft kein Vertrauen.