Keine Entwarnung trotz Zuwächsen
12.03.2010 -
Keine Entwarnung trotz Zuwächsen
In der deutschen Chemieindustrie stehen die Signale nach dem stärksten Nachfrageeinbruch seit der Ölkrise vor 35 Jahren wieder auf Wachstum. Die meisten Chemieunternehmen verzeichnen seit dem dritten Quartal wieder leichte Zuwächse. Zwar sieht die Branche das Schlimmste hinter sich, gibt aber keine Entwarnung. Die Chemiemärkte seien weltweit auf Erholungskurs, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), Utz Tillmann, erst jüngst vor Journalisten. "Dennoch werden die Bäume nicht in den Himmel wachsen." Eine Erholung werde nur "in kleinen Schritten" erfolgen. Für 2010 rechnet Deutschlands viertgrößter Industriezweig mit einem Produktionsanstieg um fünf Prozent und beim Umsatz mit plus sechs Prozent. Doch frühestens 2012 dürfte die Branche das Vorkrisenniveau wieder erreichen.
Das Tal war im vergangenen Jahr besonders tief: "Die Branche befand sich quasi im freien Fall", sagte Tillmann. Über Nacht sei die Nachfrage Ende 2008 in fast allen Branchen "katastrophal eingebrochen". Nur das Pharmageschäft zeigte sich stabil. Im Gesamtjahr 2009 führte die Krise zum stärksten Produktionsrückgang seit 1974 während der Ölkrise. Der Umsatz brach um 13,5% auf 152,7 Mrd. € ein und die Produktion sackte um gut 10% ab. Die Branche bekommt konjunkturelle Auf- und Abschwünge in der Regel sehr früh zu spüren, weil sie wichtige Industrien wie etwa die Automobil- oder Bauindustrie mit Vorprodukten beliefert. Von der Krise betroffen waren vor allem Basischemikalien, aber auch Spezialchemiekonzerne, die sich überwiegend auf die Autoindustrie oder Bauwirtschaft konzentriert haben.
BASF-Chef Jürgen Hambrecht sieht 2010 als Übergangsjahr mit ungleichmäßiger Entwicklung in den Regionen. Wachstumsimpulse kämen vor allem aus China und Südamerika. China hatte dem konjunkturellen Abschwung mit einem milliardenschweren Konjunkturpaket entgegen gesteuert. Der Wachstumsmotor in Europa und Nordamerika hingegen stottere noch gewaltig, sagte Hambrecht Ende Februar. Dort liefen staatliche Programme aus und die Überschuldung der Volkswirtschaften zwänge zum Sparen. Ähnlich vorsichtig äußerten sich Konkurrenten wie Dow Chemical aus den USA sowie Akzo Nobel und DSM aus den Niederlanden.
Die Produktionsauslastung liegt bei den Chemieunternehmen trotz der anziehenden Nachfrage noch deutlich unter dem Niveau von 2008. In der Branche insgesamt verbesserte sich die Auslastung inzwischen zwar auf knapp 78%, doch vom Normalwert von mehr als 82% bleiben die Unternehmen im Schnitt noch weit entfernt. Je nach Industriezweig liegt die Auslastung aber noch deutlich tiefer. So lag sie bei der BASF Anfang des Jahres durchschnittlich bei 70%, nachdem sie 2009 teilweise unter 60 Prozent gesunken war. Zudem sieht BASF-Chef Hambrecht in fast allen Segmenten Überkapazitäten: "Wir werden weitere Kapazitäten aus dem Markt nehmen."
Besonders stark dürfte sich der noch bevorstehende Kapazitätsausbau in der Basischemie bemerkbar machen. Bis 2013 kommen laut der US-Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) jährlich etwa sieben neue Großanlagen zur Aufspaltung von Rohbenzin (Cracker) mit einer Kapazität von jeweils rund einer Million Tonnen hinzu. Insbesondere der Nahe Osten könnte dabei wegen der Nähe zu den Ölquellen punkten. Dort sind die meisten neuen Anlagen geplant. Nicht nur deshalb setzen viele Chemieunternehmen in Europa auf gewinnträchtigere Spezialitäten. So will die Darmstädter Merck ihr Spezialchemiegeschäft mit einem Milliardenzukauf stärken. Auch die Ludwigshafener BASF setzt zunehmend auf dieses Wachstumssegment. Der Spezialchemiekonzern Lanxess spürte zuletzt eine unerwartet starke Nachfragebelebung mit Kautschuk. Konzernchef Axel Heitmann warnte aber vor zu großer Euphorie: "Dies ist zwar grundsätzlich erfreulich. Insgesamt jedoch bleiben die Auswirkungen der Krise vor allem in Europa und Nordamerika weiterhin deutlich spürbar." Die eingeleiteten Krisenmaßnahmen müssten deshalb unverändert fortgesetzt werden. Auch laut einer Umfrage des VCI wollen die Chemieunternehmen ihre Sparmaßnahmen noch beibehalten.