Keine Börsengänge von deutschen Biotechfirmen in Deutschland
Branche scheut deutschen Aktienmarkt und deckt Kapitalbedarf lieber im Ausland
Vor zehn Jahren ist mit dem Münchener Krebsspezialisten Wilex das letzte Mal eine Biotech-Firma in Deutschland an die Börse gegangen. Seitdem scheut die Branche den deutschen Aktienmarkt wie der Teufel das Weihwasser. "In Frankfurt ist der Kapitalmarkt total tot, was Biotechs angeht", urteilt Siegfried Bialojan, Leiter des deutschen Life Science Center der Unternehmensberatung Ernst & Young. Die deutschen Anleger seien einfach zu risikoscheu, viele hätten sich beim Platzen der Biotech-Blase nach der Jahrtausendwende die Finger verbrannt. Deshalb müssen die Firmen andere Wege suchen, um an Geld für die teure Forschung zu kommen.
2015 war in Deutschland das erfolgreichste Jahr für Börsengänge seit der Finanzkrise. Gleich 16 Firmen aus den unterschiedlichsten Branchen sammelten insgesamt 7 Mrd. EUR ein. Vom Autozulieferer und Chemiekonzern bis hin zur Container-Reederei war ein bunter Strauß an Firmen vertreten. Nur Biotechfirmen, die eigentlich dringend auf Kapital zur Finanzierung ihrer kostenintensiven Suche nach neuen Medikamenten und Wirkstoffen angewiesen sind, zogen nicht mit.
Oliver Schacht, Vorstandschef der schwäbischen Diagnostikfirma Curetis, begründet das so: "Wir haben in Deutschland ein fundamentales Problem mit Chance und Risiko", erläutert er. "Für Firmen mit hohem Risiko, hohem Kapitalbedarf und über lange Zeit negativen Cashflows gibt es in Deutschland schlicht keine Eigenkapitalkultur. Schacht hat sein Unternehmen deshalb im November an die Mehrländerbörse Euronext gebracht. "Dort gibt eine breite Basis an Life-Science-affinen Investoren, es gibt die entsprechenden Analysten. Da war für uns schnell klar, dass wir an die Euronext gehen."
Es war der einzige Börsengang einer deutschen Biotechfirma in diesem Jahr. Und er zeigt: Wenn, dann im Ausland. Der Tübinger Krebsspezialist Affimed wählte 2014 die Nasdaq - der erste Börsengang eines deutschen Biotechunternehmens überhaupt seit Jahren. Und ProBiodrug aus Halle ließ seine Aktien 2014 ebenfalls an der Euronext notieren. Auch die Berliner Noxxon Pharma strebt dort hin, hat aber noch keinen konkreten Zeitpunkt für einen Börsengang genannt.
Für professionelle Anleger ist die Wahl des Börsenplatzes ohnehin nicht von großer Bedeutung. "Uns ist es nicht so wichtig, an welche Börse die Unternehmen gehen. Ich kann an der Nasdaq genauso gut kaufen wie überall sonst", sagt Fondsmanager Markus Manns von Union Investment, der dort die Bereiche Biotechnologie, Pharmazie und Gesundheit verantwortet. "Als Biotechunternehmen überlege ich mir aber, wo ich den größten Wertzuwachs bekomme. Da werde ich an der Nasdaq oft um ein vielfaches teurer bewertet als anderswo." In Deutschland seien die Anleger vorsichtiger. "Das Desaster GPC Biotech hängt vielen nach so vielen Jahren immer noch nach." Das Unternehmen war 2007 bei der Entwicklung seines wichtigsten Medikaments gescheitert, der Aktienkurs stürzte ab. Davon konnte sich GPC nie wieder richtig erholen, heute gibt es die Firma nicht mehr.
Eine Alternative zum Börsengang ist das Einsammeln von Geld bei branchenaffinen Investoren. An der Tübinger CureVac ist, wie einst an GPC Biotech, SAP-Gründer Dietmar Hopp beteiligt. Er gehört neben den Brüdern Strüngmann, die den Generikahersteller Hexal gründeten, zu den wichtigsten Investoren im deutschen Biotechsektor. Für Aufsehen sorgte im Frühjahr der Einstieg der Stiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates bei CureVac, die für 46 Mio. EUR 4% übernahm. Doch damit nicht genug: Anfang November sicherte sich der Impfstoffhersteller weitere rund 100 Mio. EUR von internationalen Investoren - die bislang größte private Finanzierungsrunde in der europäischen Biotechbranche. Das Unternehmen, das noch kein Produkt am Markt hat, wird damit schon jetzt mit rund 1,5 Mrd. EUR bewertet. Die Tür für einen Börsengang hält sich CureVac gleichwohl offen: Mit der neuen Finanzierungsrunde wurde auch die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft bekannt gegeben.
Dass Biotech-Börsengänge durchaus möglich sind, zeigt die europäische Konkurrenz: Im ersten Halbjahr 2015 gab es nach Daten von Ernst & Young 22 Börsengänge von europäischen Biotechfirmen, davon 20 an europäischen Börsenplätzen und zwei an der US-Technologiebörse Nasdaq. "Die Tatsache, dass wir weniger Börsengänge haben zeigt, dass wir auch nicht viele Unternehmen haben, die reif genug für den Kapitalmarkt sind", sagt Ernst&Young-Experte Bialojan. Auch dies sei der Finanzierungsmisere der Branche geschuldet. Nötig sei eine Veränderung der steuerlichen Rahmenbedingungen, sind sich die Experten einig. "Es muss attraktiver werden, in risikoreiche Investments zu gehen", fordert Curetis-Chef Schacht.