Heilsamer Pragmatismus
Verband für Anlagentechnik und Industrieservice sieht einen neuen Realitätssinn in das Bundeswirtschaftsministerium einziehen.
Aus der Befürchtung, Russland könne den Gasexport zum Mittel seiner aggressiven Außenpolitik auch gegen Deutschland wenden, ist nun schließlich vergangenen Monat Gewissheit geworden.
Unter durchschaubaren Vorwänden drosselt Russland die Gasausfuhr und zeigt, wie verletzlich die Energieversorgungssicherheit Deutschlands ist. Russland trifft damit aufs Empfindlichste Deutschlands Volkswirtschaft, die unter den europäischen Staaten mit am stärksten auf Erdgas angewiesen ist: Die Gefahren für den Industriestandort sind durch Lieferstopps immens und bedrohen lebenswichtige Grundstoffindustrien wie die chemische Industrie, die Erdgas als Feedstock und Energieträger benötigt. Aber immer klarer wird auch, dass der soziale Zusammenhalt in Deutschland durch Rekordinflation, explodierende Energiekosten sowie zusätzlich durch die Gasumlage für Millionen von Haushalten bedroht wird.
Bundesminister als Moderator schwieriger Entscheidungen
Und doch: Hinter der Gasmangellage und dem Krisenmodus gibt es einen Lichtblick für die deutsche Energie- und Klimapolitik. Ein neuer Pragmatismus ist in das Wirtschaftsministerium eingezogen, der Bundesminister tritt als Manager für Gaslieferungen und als Moderator schwieriger Entscheidungen auf, Jahrzehnte alte und verhärtete Positionen werden geräumt und schließlich Genehmigungsverfahren für LNG-Projekte, vor wenigen Jahren tot gesagt, in Rekordgeschwindigkeit vorangetrieben.
Der VAIS fordert im Übrigen bereits seit Langem, Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Der Branchenmonitor Industrieservice zeigte noch im vergangenen Jahr: Langwierige Genehmigungsverfahren sind der große Hemmschuh der Entwicklung des Industriestandorts wie auch der zeitkritischen Dekarbonisierung der Prozessindustrien.
Neue Hürden bei drängendem Hochlauf
Dieser neue Pragmatismus ist heilsam und man hätte sich ihn oft schon früher gewünscht, sei es beim beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien gegen Widerstände bei Netzausbau und Abstandsregelungen, bei der – wie sich jetzt tragischerweise zeigt – versorgungssicherheitspolitisch unterbewerteten Frage der Herkunft fossiler Energieträger oder beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.
Hier zeichnete sich insbesondere die Kommission bislang bei Fragen der Wasserstofferzeugung durch immer neue Hürden bei dem drängenden Hochlauf aus. Und ja, derzeit beinhaltet der zurückgekehrte Pragmatismus auch die schmerzliche Entscheidung, kurzfristig wieder verstärkt auf fossile Energieträger, möglicherweise gar auf den längeren Einsatz von Kernkraft, zu setzen.
Mit dem Ukraine-Krieg ist allein schon daher der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft klima- und industriepolitisch noch gebotener. Bei den politischen Rahmenbedingungen wird die Bundesregierung dies in den kommenden Monaten mit der Überarbeitung der nationalen Wasserstoffstrategie unter Beweis stellen müssen. Ein Herzstück der Strategie zur Dekarbonisierung der emissionsintensiven Industrien, die Klimaschutzverträge, wird sich so mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie eine Förderung angesichts fehlender Volumina an grünem Wasserstoff ausgestaltet werden kann.
Zeitdruck des sich verschärfenden Klimawandels
Wichtig ist deshalb, dass dieser Pragmatismus erhalten bleibt und den Takt für die künftige Energie- und Klimapolitik vorgibt, um unter dem Zeitdruck des sich verschärfenden Klimawandels und der Notwendigkeit, sich von den Fesseln der Energie- und Rohstoffabhängigkeit von einzelnen Staaten zu befreien, Pflöcke für die Transformation einzuschlagen. Denn die Transformation in eine CO2-neutrale Industrie birgt die große Chance, die Energieversorgung, die Industriestandorte und damit den Wohlstand in Deutschland zu sichern.
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