Strategie & Management

Grüne Transformation: Wachstumschance für Europa

Interview mit Andrea Maessen und Jan Haemer, Simon-Kucher & Partners

11.12.2024 - Die chemische Industrie bleibt eine der turbulentesten Industrien weltweit.

Die Branche war schon immer durch zyklische Nachfrageschwankungen geprägt, doch die aktuellen multiplen Herausforderungen summieren sich zu einer unberechenbaren und für viele Unternehmen existentiellen Krise. Andrea Maessen und Jan Haemer aus der Chemicals Practice der Strategieberatung ­Simon-Kucher zeigen die entscheidenden Chancen in der grünen Transformation der Branche auf.

CHEManager: Ihr Chairman bei Simon-Kucher, Professor Hermann Simon, hat in einem Beitrag in der FAZ gesagt, dass in der aktuellen Situation eine angemessene Deindustrialisierung notwendig ist. Was ist dennoch der Vorteil Europas in der Industrieproduktion?

Andrea Maessen: In Zentraleuropa – insbesondere in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz mit ihrer starken Chemieindustrie – liegt Europas Vorteil sicher nicht in Energie- oder Lohnkosten, sondern insbesondere in der Innovationsstärke. Innovative, ressourcenschonende und energieeffiziente Lösungen können die Wettbewerbsfähigkeit der Industrieproduktion stärken.

Wie passt das zu der aktuellen Diskussion um den Standort Deutschland?

A. Maessen: Kostensenkungen und Restrukturierungen sind natürlich richtig und notwendig. Die Innovation im Rahmen der grünen Transformation bietet jedoch große Chancen. In Zentraleuropa kann die chemische Industrie eine Schlüsselrolle spielen, diesen Wandel voranzutreiben. Hersteller wie BASF und Evonik haben kürzlich ihre neuen Strategien vorgestellt. Sie setzen sehr klar auf die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und die Stärkung der Kreislaufwirtschaft. OMV und TOMRA haben gerade vereinbart, hochwertige Müllfraktionen wiederzuverwenden, die sonst verbrannt würden. Das sind positive Entwicklungen.

 

„Innovation im Rahmen der grünen Transformation bietet große Chancen.“

 



Welche Rolle spielt die Grünifizierung der Portfolios dabei?

Jan Haemer: Sie ist wichtig. Unternehmen müssen ihre Geschäfte sowohl nach Ertrag als auch nach zukünftigen Umweltkosten bewerten. Ein Lackhersteller sagt zum Beispiel: Wenn seine Pigmente nur 5 % Mengenanteil haben, aber etwa 40 % des CO2-Fußabdrucks eines Lacks ausmachen, macht es keinen Sinn, weiter in Europa zu produzieren, wenn Emissionen nicht gesenkt werden können, oder wenn es den Kunden egal ist und es keine Zahlungsbereitschaft gibt.

Können Sie ein Beispiel nennen, wo es mit der Grünifizierung funktioniert?

J. Haemer: Ein gutes Beispiel ist CropEnergies. Das zur Südzucker-Gruppe gehörende Unternehmen baut derzeit ein neues Werk zur Herstellung von erneuerbarem Ethylacetat in Zeitz, Sachsen-Anhalt. Hierzu wird Etha­nol als lokaler erneuerbarer Rohstoff aus Getreide genutzt, was den Kunden ermöglicht, etwa 50 % der CO2-Emissionen gegenüber der fossilen Alternative einzusparen.

Warum ist die grüne Transformation für Europa auch eine Chance, unabhängiger zu werden?

J. Haemer: Durch erneuerbare Energien wird unsere Versorgung bereits autarker. Regulatorik wie die Packaging Waste Directive fordert einen höheren Rezyklatanteil. Der Einsatz von regionalen, recycelten Materialien verringert die Abhängigkeit von Rohstoffimporten und reduziert gleichzeitig die Umweltbelastung.

Es bleibt die Kostenfrage. In diesem Zusammenhang wird häufig die Bedeutung von Leitmärkten diskutiert. Inwiefern können Leitmärkte grüne Technologien tatsächlich wettbewerbsfähiger machen?

A. Maessen: Eine gezielte Stärkung der Nachfrage nach klimafreundlich hergestellten Basischemikalien beschleunigt den Markthochlauf. Eine verstärkte Nachfrage nach erneuerbaren Energien hat beispielsweise zu erheblichen Kostensenkungen bei Solar- und Windkraft geführt. Es funktioniert also, benötigt werden klare Rahmenbedingungen wie CO2-Bepreisung oder Klimaschutzverträge.

Was ist darüber hinaus zu tun, um grüne Produkte im Markt zu etablieren?

J. Haemer: Eine klare Definition und Kennzeichnung von „grün“ ist für einen fairen Wettbewerb entscheidend. Eine Simon-Kucher-Studie zeigt, dass nur 15 % der Industrieunternehmen eine klare Definition für „grüne“ Produkte haben.

 

„Eine klare Definition und Kennzeichnung
von „grün“ ist für einen fairen Wettbewerb entscheidend.“

 

 

 

Da ist noch viel zu tun. Ein branchenweites Siegel kann da helfen, wie der Low-Emission-Steel-Standard, kurz LESS, der Stahlkunden die Möglichkeit bietet, emissionsarme Produkte systematisch in ihre Beschaffungs- und Nachhaltigkeitsstrategie einzubinden.

Downloads

Kontakt