Strategie & Management

Frugale Innovation – die Chance liegt im Einfachen

23.09.2014 -

Permanenter technologischer Fortschritt bei Produkten und eine steigende Zahl zusätzlicher Funktionen sind heute nur noch bedingt als Gewinngaranten westlicher Unternehmen einzustufen. Der Fokus dieser Produkte liegt meist im sog. High-End-Marktsegment, doch gerade diese Segmente mit ihren oftmals sehr hohen Reifegraden bergen nicht mehr das höchste Wachstums- und Ertragspotential für die Unternehmen. Die Mid- und Low-End-Segmente in aufstrebenden Schwellenländern hingegen bieten allein aufgrund der dort bereits vorhandenen und weiterhin rasant wachsenden Käuferschicht attraktive Zielmärkte.

Aktuell sind westliche Unternehmen mit ihrem Fokus auf Premiumprodukte hier typischerweise unzureichend positioniert. Für Produkte, die speziell für die Kundenbedürfnisse im Mid-End und Low-End-Segment entwickelt wurden, hat Roland Berger Strategy Consultants den Begriff „frugal Products" geprägt.

Frugal Products sind technisch einfachere, kostengünstigere Produkte, die sich vorwiegend für schnell wachsende Entwicklungsmärkte eignen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um „abgespeckte" High-End-Produkte für Premiummärkte, sondern um zumeist neue und auf die Anforderungen der Zielmärkte abgestimmte Produkte. Dies wird durch die im Akronym "Frugal" beschriebenen Charakteristika verdeutlicht (vgl. Grafik).

Kostengünstige Wasseraufbereitung

Frühe Erfolge für frugal Products finden sich hauptsächlich bei diskreten Gütern. So adressierte Tata Chemicals mit dem Swach Wasserreiniger das Problem des mangelnden Trinkwasserzugangs in vielen indischen Haushalten sowie in Katastrophengebieten. Unabhängig von Zugang zu fließendem Wasser oder bei schwankender Elektrizitätsversorgung ermöglicht das Gerät weltweit und kostengünstig das Aufbereiten von verunreinigtem Wasser in Trinkwasser. Zudem erlaubt die simple, aber dennoch robuste Konstruktion die selbstständige Instandhaltung, z.B. den Austausch des Reinigungsfilters. Bis heute verkaufte das Unternehmen geschätzt 2 Mio. der Wasserreiniger zu einem günstigen Endkundenpreis von 16 US-$ (Reinigungsfilter 8 US-$). Wirft man dabei einen tieferen Blick auf die Entwicklungs- und Vermarktungsstrategie, so zeichnen sich eindeutige Erfolgsfaktoren ab: die frühzeitige Identifikation der echten Bedürfnisse der Zielkunden, die Preissensitivität und der daraus abgeleitete Zielpreis sowie striktes design to cost/design to value

Röntgengeräte für Standarduntersuchungen

Eine Branche, in der verschiedene internationale Konzerne bereits frugal Products vermarkten, ist die Medizingeräteindustrie dar. Mehrere führende Unternehmen setzen dabei verstärkt auf den chinesischen Markt, der nach den USA bereits jetzt der zweitgrößte Gesundheitsmarkt weltweit ist.

So wurde in der Healthcare Sparte des Münchner Siemens Konzerns frühzeitig das Potential von frugal Products erkannt. Gemeinsam mit einem Team lokaler Entwickler realisierten die deutschen Ingenieure dem lokalen Kundenbedürfnis entsprechende Röntgengeräte. Diese Apparate, die u.a. für den chinesischen und indischen Markt entwickelt wurden, sind gegenüber Geräten für hochentwickelte Länder in ihrer Leistung auf die wesentlichen Standarduntersuchungen wie Knochenbrüche oder Tuberkulose reduziert und für kompliziertere Untersuchungen nicht ausgerüstet. Auch die Nutzung von Stahl- anstelle von Messingwerkstoffen sowie der Einsatz einer vereinfachten Kamera konnten die Kosten für die entsprechende Funktion um über die Hälfte reduzieren. Zusätzlich ermöglicht die Fokussierung auf die notwendigsten Funktionen eine einfache Bedienung und steigert damit die Nutzerfreundlichkeit auch für geringer qualifizierte Arbeitskräfte. Die Röntgenapparate sind deutlich robuster und können auch unter den härteren Arbeitsbedingungen in den Schwellenländern bestehen - sie sind z.B. auf hohe Luftfeuchtigkeit und gelegentliche Stromausfälle ausgelegt. Der Markt für diese Geräte mit einem Preis von unter 20.000 € wird auf über 1.000 Geräte pro Jahr geschätzt. Zum Vergleich: Ein Röntgengerät im deutschen Markt kostet mehr als 50.000 € und verkauft sich im Jahr ca. 100 mal.

Umsatzanteil mit frugal Products steigt

Diese Beispiele verdeutlichen zum einen, dass Schwellenländer große Potenziale aufweisen, aber auch, dass Unternehmen lernen müssen, sich auf veränderte Anforderungen einzustellen, um diese Potenziale erschließen zu können. Belegt wird dies durch die Ergebnisse einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants, welche zu dem Schluss kommt, dass frugal Products künftig eine noch höhere Relevanz für westliche Unternehmen haben werden. Demnach liegt der Umsatzanteil von frugal Products bei den im Rahmen der Studie befragten Unternehmen derzeit bei 12 %, soll sich bis zum Jahr 2018 jedoch auf 22 % fast verdoppeln. Ebenfalls erwarten die Befragten, dass bis dahin der Anteil von frugal Products am gesamten Unternehmensgewinn von 10 % auf über 18 % steigen wird.

In der chemischen Industrie ist der frugal Products Ansatz bislang weniger verbreitet als bei diskreten Gütern. Im Unterschied zu den Industrien der erläuterten Produkte produzieren Chemieunternehmen mehrheitlich für B2B-Kunden, welche die Chemikalien wiederum im Herstellungsprozess ihrer Produkte weiterverwenden.

Dennoch analysieren führende Chemieunternehmen bereits seit geraumer Zeit die beschriebenen Zielmärkte, um dortiges Potenzial sowie notwendige Spezifika möglicher frugal Products zu verstehen. Dabei greifen Unternehmen wie u.a. DSM und Syngenta auf lokale Spezialisten zurück. Auch das Unternehmen DuPont, welches in ländlichen Regionen Indiens besonderes Potential in die Bereichen Wasser und Energie sieht, setzt gezielt auf die Unterstützung lokaler Partner. Diese können im ersten Schritt durch gezielte Forschung die Anwendungsfelder für frugale Produkte identifizieren, sollen aber zusätzlich den Innovationsprozess sowie die Markteinführung unterstützend begleiten.

Wiederverwertbare Kunststoffschalungen für Beton

Eine erfolgreiche Anwendung aus dem Segment Bauchemie stellt das Moladi Construction System dar, welches dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Südafrika entgegen wirkt. Grundlage für das System bilden einfach aufzustellende, wiederverwertbare und leicht zu transportierende Kunststoffschalungen, welche mit einem speziell angereicherten Zementmix ausgegossen werden. Der hierfür entwickelte, steinlose Zement beinhaltet einen ungiftigen, wasserbasierten Mix aus Chemikalien, welcher dem Zement gezielt die lokal benötigten Eigenschaften verleiht. Der Chemikalienmix sorgt für ein schnelles Aushärten und ermöglicht ausreichend hohe Wasserdichte der Wände sowie gute thermische Eigenschaften und Schallschutz, so dass die wichtigsten Elemente des Massivbaus vorhanden sind, dem Zement aber keine unnötigen und kostenverursachenden Charakteristika gibt. Durch selektive Verstärkungen an wichtigen Punkten wird die Betonstabilität weiter erhöht, um ausreichend Widerstandskraft gegenüber Unwettern zu gewährleisten. Da sich alle Elektrizitäts- und Wasserleitungen bei diesem System über den Wandelementen befinden und die verwendeten Chemikalien ein Aushärten in nur 12-15 h ermöglichen, kann binnen kürzester Zeit der komplette Rohbau errichtet werden.

Auch wenn Unternehmen aus der Chemieindustrie das Potenzial von frugal Products erkennen, finden sich in der Praxis nur wenige konkrete Beispiele. Die Unternehmen können als Zulieferer für diskrete Fertigungsprozesse vom frugal Products Ansatz und der steigenden Relevanz dieser Produkte profitieren. Die Chemieunternehmen stehen dabei wie die Unternehmen aus diskreten Industrien vor der Herausforderung, neben den internen auch die eng gesteckten Kostenziele externer Abnehmer berücksichtigen zu müssen. Zusätzlich müssen Chemieunternehmen ihre Produkte durch vorausschauende Entwicklung mit den Eigenschaften versehen, welche exakt die Anforderungen und Ziele der Produktkonzepte der Anwender unterstützen.

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