Märkte & Unternehmen

Frauen an die Spitze der Chemie

Bundeskabinett beschließt Gesetzesentwurf für eine Mindestbeteiligung von Frauen in Unternehmensvorständen

22.02.2021 - Seit 2015 hat sich die Zahl der Frauen in den Vorständen der deutschen Chemie mehr als verdoppelt.

Rund 51 % der Menschen in Deutschland sind weiblich. Sie sind also in der Mehrheit – das gilt jedoch nicht, wenn es um Führungspositionen in der Industrie geht. Bereits vor zwanzig Jahren verpflichtete sich die deutsche Wirtschaft, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Doch das Vorhaben kam lange Zeit nur schleppend voran. Nun hat die große Koalition einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, mit dem erstmals eine verbindliche „Quotenregelung“ für Unternehmensvorstände eingeführt werden soll.

Am 6. Januar 2021 fiel eine politische Entscheidung, die über viele Jahre nicht möglich erschien: Das Bundeskabinett beschloss eine Reform des Gesetzes für Frauen in Führungspositionen. Diese sieht zwar keine Frauenquote, aber eine Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen vor. Künftig soll bei großen Unternehmen, die börsennotiert und paritätisch mitbestimmt sind, ab vier Vorstandsmitgliedern mindestens eine Frau im Vorstand vertreten sein.

Nach Angaben des Deutschen Instituts der Wirtschaft (DIW) waren hiervon im Januar 74 deutsche Unternehmen betroffen, von denen mehr als 30 die Vorgaben nicht erfüllten, dazu zählte auch der Bayer-Konzern. Das Unternehmen kam der Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag, die für Juni dieses Jahres erwartet wird, jedoch zuvor und berief mit Wirkung zum 1. Februar 2021 Sarena Lin (Bild 3, S. 5) in den Bayer-Vorstand. Die gebürtige Taiwanesin mit US-Pass verantwortet dort die Bereiche Personal und Strategie und übernahm die Rolle der Arbeitsdirektorin vom Vorstandsvorsitzenden Werner Baumann.

„Die verbindliche Mindestbeteiligung von Frauen ist ein wichtiges gleichstellungspolitisches Signal. Es wird Zeit, dass sich nach den Aufsichtsräten auch in den Vorständen endlich etwas tut, auch im Interesse der Unternehmen – denn mehr Geschlechterdiversität wirkt sich in der Regel äußerst positiv aus“, sagt Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin.

 

„Die verbindliche Mindestbeteiligung von Frauen ist ein wichtiges gleichstellungspolitisches Signal.“

 

Frauenquote – umstritten, aber wirksam

Auch aus Sicht des Führungskräfteverbands VAA ist das geplante Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung. Die Mitglieder blicken differenziert, aber insgesamt mehrheitlich positiv auf eine gesetzliche Frauenquote. Bei einer Mitgliederbefragung vom Dezember 2020 bewerteten 70 % der Frauen und 37 % der Männer die Einführung eine Frauenquote für Vorstände als positiv. „Eine Quotenregelung hat als Instrument sicherlich gewisse Defizite. Aber ein Blick auf die Entwicklung der Geschlechterverteilung in den vergangenen Jahrzehnten zeigt, dass diese Maßnahme offenbar notwendig ist, um eine spürbare Veränderung hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in den Unternehmensvorständen zu erreichen“, sagt Ruth Kessler, Mitglied des VAA-Vorstands.

Zwar ist die Frauenquote für Viele nicht der richtige Weg zur Gleichstellung von Frauen, manche von ihnen empfinden sie gar als positive Diskriminierung, doch sie zeigt die gewünschte Wirkung. Internationale Vergleichsstudien des DIW belegen, dass gesetzliche vorgeschriebene Geschlechterquoten deutlich mehr Wirkung zeigen als nicht verbindliche Empfehlungen oder freiwillige Selbstverpflichtungen.

„Mehr Frauen in die Vorstände der Unternehmen zu bringen, ist jedoch kein Selbstläufer und mit einer gesetzlichen Quote alleine ist es nicht getan.“

 

Auch ein Vergleich innerhalb Deutschlands belegt die Effektivität der Maßnahme. Im Jahr 2015 wurde eine verbindliche Geschlechterquote von 30 % für Aufsichtsräte von börsennotierten und mitbestimmten Unternehmen beschlossen. Damals lag der Frauenanteil in diesen Gremien bei unter 20 %. Seit die Frauen­quote für Aufsichtsräte großer Unternehmen gilt, sind deutlich mehr Frauen in die Chef­etagen eingezogen: Während der Frauenanteil in Aufsichtsräten, die nicht von der Quote betroffen waren, jährlich um 1,6 % stieg, legte er in börsennotierten und mitbestimmten Unternehmen um 2,6 % zu. Und er stieg auch noch dann, wenn die Quote bereits erfüllt war. Heute liegt er im Schnitt bei rund 36 %. Ein voller Erfolg.

Darüber hinaus wirkte sich die Quote für den Aufsichtsrat auch positiv auf den Frauenanteil in den Vorständen dieser Unternehmen aus, dieser stieg überproportional an. Das weckt die Hoffnung, dass auch die aktuell beschlossene Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen nicht nur auf den Frauen­anteil in diesem Gremium wirkt, sondern Impluse im Unternehmen darüber hinaus setzt.

 

„Während 2015 lediglich 6,6 % bzw. 7 Vorstandsmitglieder der umsatzstärksten Chemieunternehmen weiblich waren, zählen wir heute 17 Vorstandsfrauen, das entspricht einem Anteil von 17,5 %.“

 

Mehr Frauen in die Vorstände der Unternehmen zu bringen, ist jedoch kein Selbstläufer und mit einer gesetzlichen Quote alleine ist es nicht getan – auch weil der Pool an möglichen Vorstandskandidatinnen wesentlich kleiner ist als für Aufsichtsrätinnen, für die externe Expertinnen, auch aus der Wissenschaft, rekrutiert werden können. Vorstandsmitglieder haben in der Regel langjährige Management­erfahrung und sind die Hierarchieebenen des Unternehmens durchlaufen. Jüngstes Beispiel: Melanie Maas-Brunner (Bild 2), die zum 1. Februar 2021 als Chief Technology Officer und Arbeitsdirektorin in den Vorstand der BASF berufen wurde. Die Chemikerin trat im Jahr 1997 in das Unternehmen ein und war seitdem in acht Positionen für den Konzern tätig. Maas-Brunner ist neben Saori Dubourg (Bild 1), die zweite Frau im Vorstand der Ludwigshafener. Mit einem Frauenanteil von 33 % im Vorstand ist das Unternehmen Vorreiter unter den 20 umsatzstärksten deutschen Chemieunternehmen. Lediglich der Vorstand von B. Braun Melsungen ist ebenfalls zu einem Drittel mit Frauen besetzt, zudem wird das Familienunternehmen seit April 2019 von einer Frau, Anna Maria Braun (Bild 11), geführt. Diesen Schritt geht in Kürze auch das Darmstädter Familienunternehmen Merck. Hier wird Belén Garijo (Bild 7), die bereits seit 2015 der Geschäftsleitung des Unternehmens angehört, zum 1. Mai 2021 den Vorsitz der Geschäftsleitung und die Rolle des CEO von Stefan Oschmann übernehmen. Damit wird sie die erste Frau sein, die einen Dax-Konzern alleine führt.

 

Die deutsche Chemie wird weiblicher

Die Personalentscheidungen bei BASF, Bayer und Merck haben eine Signalwirkung in der Branche. Doch wie ist es allgemein um Frauen in Führungsposition in der Chemie bestellt? Werfen wir hierzu einen Blick in die Januar-Ausgabe des CHEManager: Auf zwei Dutzend Seiten finden sich Portraits von 23 Männern und vier Frauen. ­CHEManager-Leserinnen, die uns gelegentlich auf dieses Ungleichgewicht hinweisen, antworten wir dann meist: Wir bilden in unserer Zeitung nur die Realität und den Ist-Zustand der Branche ab und sind stets auf der Suche nach Expertinnen und Managerinnen in der Chemie. Aber Hand aufs Herz – was wäre, wenn ich mir künftig eine Zielvorgabe für den Anteil weiblicher Gesprächspartnerinnen setzen würde...?

Genau das müssen alle börsennotierte oder paritätisch mitbestimmten Unternehmen bereits seit Einführung des ersten Gesetzes Frauen in Führungspositionen aus dem Jahr 2015 tun. Eine ­CHEManager-Analyse der Entwicklung in den Führungsetagen der 20 umsatzstärksten Unternehmen belegt, die Maßnahme zeigte Wirkung. Während im Januar 2015 lediglich sieben von 106 Vorstandsmitgliedern (6,6 %) dieser Unternehmen weiblich waren (­CHEManager 5/2015, bit.ly/3qA53s3), zählen wir heute 17 Vorstandsfrauen unter 97 Vorstandsmitgliedern, das entspricht einem Anteil von 17,5 %. Damit liegt die Branche deutlich über dem Wert des branchenübergreifenden Women-On-Board-Index der Initiative Fidar (Frauen in die Aufsichtsräte) vom September 2020, der einen durchschnittlichen Frauenanteil von 11,8 % in den Vorständen aller börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen ermittelt.

Maßgeblich für die positive Entwicklung der Geschlechterbalance in der Chemie sind vor allem die freiwilligen Zielsetzungen, die sich die Unternehmen seit einigen Jahren geben. So will z.B. BASF den Anteil weiblicher Führungskräfte auf allen Führungsebenen und weltweit auf 30 % steigern. Ein besonderes Augenmerk richtet das Unternehmen dabei auf die drei Ebenen unterhalb des Vorstands (Frauenanteil 2019: 15,8 %). Denn als Multiplikatoren tragen diese Führungskräfte überdurchschnittlich stark zur weiteren Entwicklung einer vielfältigen Unternehmenskultur bei und helfen BASF, als Arbeitgeber für alle attraktiv zu sein. Und nicht zuletzt erhofft sich der Konzern eine positive Wirkung auf das Geschäft: „Uns geht es darum, Frauen und ihre Fähigkeiten im Führungsteam von BASF stärker einzubinden. Als forschungsgetriebenes Unternehmen wissen wir um den Wert vielfältiger Denk- und Arbeitsweisen. Durch unterschiedliche Perspektiven entstehen innovative Ideen und Lösungen für unsere Kunden“, bringt es BASF-Vorstandsvorsitzender Martin Brudermüller auf den Punkt.

Autorin: Andrea Gruß, CHEManager

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