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Forschung braucht Kreativität

CHEManager fragte Forscher: Welchen Platz hat Intuition in der modernen, anwendungsgetriebenen Chemieforschung?

07.12.2011 -

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang A. Herrmann, Präsident, TU München: Neues können wir nur schaffen, wenn wir die Grenzen alten Wissens überschreiten. Dabei spielt die Intuition eine wichtige Rolle. Doch nur dort, wo sie mit einem durch solide Ausbildung geschaffenen fundierten Wissen zusammentrifft, kann sich die flüchtige Idee in nachhaltigen Fortschritt verwandeln.

Dr. Werner Breuers, Mitglied des Vorstands, Lanxess: „Forschung ist ja per Definition die zielgerichtete Suche nach Innovationen. Da aber immer mehrere Wege zum Ziel führen, bedarf es letztlich der Intuition, um zu entscheiden, welcher Weg nun einzuschlagen ist.

Dr. Georg Wießmeier, Chief Technology Officer, Altana: Ich halte individuelle Bildung und individuelles Wissen für eine sehr wichtige Voraussetzung, um individuelle Intuitionen auszulösen. Für noch erfolgversprechender halte ich allerdings die kollektive Intuition: Mehr Erfindungen erzielt ein Unternehmen dadurch, dass es das Wissen der Mitarbeiter über Netzwerke verknüpft und dadurch Problemlösungen fördert. Diese kollektive Intuition, man könnte durchaus den Begriff, Schwarmintelligenz anführen, ist einzigartig für jedes Unternehmen und wird künftig die Einzelintelligenz und die daraus resultierenden Glücksfunde immer mehr ergänzen, womöglich sogar ablösen. Nur mit vernetztem Denken und Handeln können wir zu Innovationen kommen. Eine entsprechende Innovationskultur im Unternehmen ist dafür Voraussetzung.


Dr. Andreas Kreimeyer, Mitglied des Vorstands, BASF: Intuition, Neugierde und Kreativität bringen die jungen Spitzenforscher schon mit, die wir jedes Jahr bei der BASF einstellen. Unser Beitrag besteht darin, ihnen ein attraktives Arbeitsumfeld zu bieten, in dem sich diese Fähigkeiten optimal entfalten können und zu konkreten Resultaten führen.

Prof. Dr. Wolfgang Plischke, Mitglied des Vorstands, Bayer: Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Innovationen sind die exzellenten Wissenschaftler bei Bayer und unser Vertrauen in diese. Dazu müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen - bei uns mit einem F&E-Etat von 3 Mrd. € und rund 900 Kooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen. Unser Leitbild „Science For A Better Life gibt so den Forschern in der Startphase von Projekten Raum für Intuition, die der Vorstand ideell und finanziell, z.B. auch über einen „Emerging Technology Fund, unterstützt.

Prof. Dr. Thomas Müller-Kirschbaum, Leiter Forschung und Entwicklung, Unternehmensbereich Wasch- und Reinigungsmittel, Henkel: Wer erfolgreich Innovationen entwickeln und auf den Markt bringen will, der braucht Kreativität und Intuition. Und zwar nicht in erster Linie Intuition im Sinne einer plötzlichen Eingebung eines einzelnen Forschers, aus der vielleicht eine geniale Neuentwicklung entsteht. Vielmehr ist Intuition für uns eng verbunden mit dem Erforschen und Erkennen von Wünschen und Bedürfnissen der Verbraucher, die oft unbewusst vorhanden sind und nicht unmittelbar zum Ausdruck gebracht werden können. Produkte zu entwickeln, die genau diese Ansprüche erfüllen, das ist es, was letztlich den Unterschied macht.

John Jackson, Mitglied der Geschäftsleitung, 3M Deutschland: Intuition in Forschung und Entwicklung: Das bedeutet Nichtoffensichtliches verbinden, um Offensichtliches zu schaffen. Es liegt zunächst einmal nicht auf der Hand, unzusammenhängende Technologieplattformen miteinander und mit verschiedenen Märkten zu verknüpfen, um so neuen Nutzen für den Kunden zu schaffen. Aber für eine starke, engagierte, vernetzte und wissbegierige Forschungs- und Entwicklungsgemeinde ist ein hohes Maß an Intuition der Ausgangspunkt für Lernwillen und den Wunsch, ungewöhnliche Verbindungen herzustellen.

Dr. Martin Vollmer, Chief Technology Officer, Clariant: „Die Herausforderung der anwendungsgetriebenen Chemieforschung besteht darin, Marktbedürfnisse und häufig komplexe Problemstellungen in geeignete Produktlösungen, d.h. die richtige Chemie, zu übersetzen. Um im Spannungsfeld aus Kosten, Performance und Nachhaltigkeit die richtige Antwort zu finden, ist Kreativität gefragt, die insofern eng mit Intuition zusammenhängt, als bei der Planung von Laborexperimenten die richtigen Fragen gestellt und auch unerwartete Ergebnisse korrekt interpretiert werden müssen. Indem die Intuition die wissenschaftliche Neugier antreibt und hilft, Erfindungen nicht nur zu machen, sondern auch zu erkennen, kann sie durchaus Startpunkt für bedeutende Innovationen sein. Eine ausgewogene Mischung aus Intuition, Instinkt und rationaler, faktenbasierter Erkenntnis ist indes die beste Grundlage, um tragfähige Entscheidungen zu fällen und Markterfolge zu erzielen.

Dr. Peter Nagler, Chief Innovation Officer, Evonik: Wir bei Evonik sehen Kreativität als Grundlage für innovative Produkte und Lösungen. Denn Forschung braucht Kreativität. Intuition ist ein Teil dieser Kreativität - sie hilft uns solche Zusammenhänge, Themen oder Situationen zu erfassen, die zunächst nicht immer rational ableitbar sind. Auch in der anwendungsgetriebenen Chemieforschung folgen wir durchaus unserem „Bauchgefühl, oder ein „Geistesblitz hilft uns bei scheinbar festgefahrenen Überlegungen weiter. Gerade die anwendungs- bzw. marktgetriebene Forschung braucht ein gutes Verständnis der Kundenbedürfnisse, bei dem auch emotionale Faktoren eine große Rolle spielen können. Hier kann eine intuitive Herangehensweise das durch Fakten und Zahlen getrieben Handeln hervorragend ergänzen.

Dr. Thomas Geelhaar, Chief Technology Officer Chemicals, Merck: Bei der anwendungsgetriebenen Chemieforschung am Beispiel der Flüssigkristalle erfordern die immer kürzer werdenden Innovationszyklen beim Formulieren von Multikomponenten-Mischungen eine hohe Kreativität, um bei einer Vielzahl von Anwendungsparametern immer wieder kleine Verbesserungen zu erzielen. Größere Durchbrüche können aber nur bei entsprechenden Freiräumen für neue Technologie-Plattformen durch interdisziplinäre Zusammenarbeit von Chemikern und Anwendungstechnikern entstehen, wobei die Intuition der Synthetiker und der Pragmatismus der Anwendungstechniker sich gegenseitig befruchten. Darüber hinaus kommen Kooperationen entlang von Wertschöpfungsketten sowie Hochschulkooperationen eine immer wichtigere Bedeutung zu.

Prof. Dr. Gerhard Sextl, Leiter Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC, Würzburg: Für den Erfolg von Projekten der angewandten Forschung und Entwicklung ist Intuition ein nicht zu unterschätzender Faktor. Intuition aktiviert Wissen um Ergebnisse und Zusammenhänge, über das man zumeist unbewusst verfügt. Fehleinschätzungen sind bei Mitarbeitern mit ausreichend Erfahrung selten. Auch wenn intuitive Entscheidungen kein Ersatz für systematisches Vorgehen bei der Produkt- und Prozessentwicklung sind, können sie dabei helfen, Entwicklungsprozesse abzukürzen. Intuition fördert zudem die Kreativität und führt oft zu besseren (auch wirtschaftlicheren) Ergebnissen. Intuition hilft dabei, festgefahrene Denkprozesse zu überwinden und neue Problemlösungswege aufzuzeigen.

Dr. Fridolin Stary, Bereichsleiter Konzernforschung, Wacker: Intuition ist ein Teil kreativer Entwicklungen und von sehr hoher Bedeutung für die Forschung. Letztlich besteht die Kunst in der Forschung und Entwicklung darin, die richtige Balance zu wahren zwischen der Kreativität unserer Forscher, für die sie ihre Freiräume brauchen, und dem stringenten Einhalten von Prozessen zum effizienten Projekt- und Portfoliomanagement. Das ist eine Herausforderung, der wir jeden Tag auf's Neue begegnen und der wir uns stellen müssen.

Dr. Hubert Jäger, Leiter Konzernforschung, SGL Group: Systematisches Denken und Intuition ergänzen sich: Wir arbeiten bei der SGL Group unternehmensweit nach der Six Sigma Methode. Diese Methode hat sich gerade bei neuen Entwicklungsprojekten bewährt, weil sie uns hilft, gute Ideen auch umzusetzen. Freiräume, Eigenverantwortung und Austausch der Entwickler untereinander sind die Voraussetzungen dafür, dass neue Ideen und Lösungsansätze überhaupt entstehen können. Auch wenn sie wie eine Gabe erscheint, gründet sich Intuition immer auf Erfahrung, Breitenwissen und intensivem Denken.‬‪

Thomas Gründemann, Geschäftsführender Gesellschafter, Ferak Berlin: Die forschungsgetriebene Intuition, also das sogenannte „Bauchgefühl" jedes Chemikers, ist bei der Entwicklung unserer Produkte oftmals das letzte Quäntchen „Glück", das fehlt, um ein neues Produkt im Markt zu etablieren. Die Fähigkeit unserer Chemiker, vergangenes aber selbst erarbeitetes Wissen in neue Produkte einfließen und damit der Intuition freien Lauf zu lassen, hat sich in den letzten Jahren immer wieder als entscheidendes Moment in der Produktentwicklung erwiesen.

Dr. Peter Müller, Geschäftsführer, Miltitz Aromatics, P-D ChemiePark Bitterfeld-Wolfen: „Welchen Platz hat Intuition in der Chemieforschung?, das ist eine interessante Frage. Mein früherer Chef meinte dazu immer: Es kommt nur aus dem Gehirn raus, was schon mal reingestopft wurde. Je länger ich mich damit beschäftigt habe, umso mehr muss ich mich dem anschließen. Intuition ist für mich Verknüpfung von Wissenssträngen in synergetischer Weise und zum richtigen Zeitpunkt. Der springende Punkt dabei ist, die Synergie zu erkennen und dann auch als völlig neue Idee auszubauen und zu nutzen. Einfach gesagt geht es darum zu erkennen, dass 1+1= 2,1 sein kann - unter bestimmten Umständen und Rahmenbedingungen.

Dr. Wolfgang Wienand, Head R&D, Siegfried, CH-Zofingen: Für offene und komplexe Entscheidungssituationen sind wir auf die Analyse der Fakten als ersten Lösungsversuch trainiert - was allein aber nicht immer ausreicht, weil die Fakten nicht immer eindeutig sind. Und was dann? An guten Tagen kann der Chemiker mit Hilfe seines bewussten und unbewussten Wissens aus einer Vielzahl von Optionen intuitiv die richtige wählen. Und das können dann großartige Abkürzungen zur besten Lösung sein, für die man mit reiner experimenteller Empirie sehr viel größeren Aufwand hätte treiben müssen. Für forschende Unternehmen ist es wichtig, dieser vermeintlichen Irrationalität ausreichend Raum zu geben.