Finanzkrise: Europas Chemieindustrie im Sinkflug
14.09.2011 -
Europas Chemieindustrie im Sinkflug. Die Finanzmarktkrise hat zum Jahresende 2008 den globalen Abschwung deutlich verschärft. Zwar greifen inzwischen die Rettungsmaßnahmen für den Bankensektor, und der Zusammenbruch des Finanzsystems konnte verhindert werden, dennoch setzte sich die Talfahrt der Realwirtschaft beschleunigt fort. Bürger und Unternehmen sind gleichermaßen verunsichert. Zudem sorgt der Kursverfall an den internationalen Börsen für knappe Kassen. Konsum und Investitionen werden auf breiter Front eingeschränkt. Die Güternachfrage sinkt, und der internationale Handel verliert an Dynamik.
Der Abwärtssog erfasst besonders die Automobilindustrie und ihre Zulieferer. Dementsprechend ist die Nachfrage nach Chemikalien rückläufig. Diesen weltwirtschaftlichen Turbulenzen konnte sich die europäische Chemieindustrie nicht entziehen. Sie blickt insgesamt auf ein wenig erfreuliches Chemiejahr 2008 zurück: Die Chemieproduktion stagnierte. In den klassischen Chemiesparten war sie sogar rückläufig. Hohe Rohstoffpreise mussten an die Kunden weitergegeben werden. Angesichts der drohenden Rezession und hoher Preise hielten sich die Kunden zuletzt mit Chemikalienbestellungen deutlich zurück. Dies dämpfte das Umsatzwachstum der europäischen Chemieindustrie. Auch bei den Exporten schwächte sich die Dynamik ab (Grafik 1).
Produktion sinkt zum Jahresende
Der Aufschwung im europäischen Chemiegeschäft ist vorbei. Seit Beginn des Jahres 2008 befindet sich die Branche im Sinkflug. Der Abwärtstrend bei der Chemieproduktion setzte sich zum Jahresende beschleunigt fort. Im vierten Quartal sank die Chemieproduktion um knapp 2 % (Grafik 2). Damit lag die europäische Chemieproduktion im Gesamtjahr 2008 nur noch 0,2 % höher als ein Jahr zuvor. Ohne das Wachstum der konjunkturunabhängigen Pharmasparte wäre die Jahresbilanz noch schlechter ausgefallen. Während die Pharmaproduktion im Jahr 2008 voraussichtlich um 2,4 % ausgeweitet werden konnte, verfehlte die Produktion der übrigen Chemiesparten das Vorjahresniveau bereits um 0,6 % (Grafik 3). Besonders stark traf die Konjunkturabkühlung die konsumnahen Chemikalien sowie die Hersteller von Fein- und Spezialchemikalien. In beiden Sparten wurde die Produktion deutlich zurückgefahren. Im Gesamtjahr 2008 lag sie rund 1,4 % bzw. 1,3 % niedriger als ein Jahr zuvor. Auch die Polymerproduktion war 2008 rückläufig (–0,9 %). Die anderen beiden Grundstoffsparten meldeten ein leichtes Produktionsplus von 0,3 %.
Auf und Ab bei den Chemikalienpreisen
2008 war ein Jahr ungewöhnlich volatiler Chemikalienpreise. Im Zuge der erneuten Rohstoffpreis-Hausse wurden die Preise für chemische Erzeugnisse zunächst bis zum dritten Quartal 2008 kräftig angehoben. Dann setzte bei vielen chemischen Grundstoffen ein kräftiger Preisverfall ein, sodass die Chemikalienpreise insgesamt im vierten Quartal deutlich nachgaben (Grafik 4). Die starken Preisabschläge der letzten Monate dürften dafür verantwortlich sein, dass über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg die Lagerbestände deutlich verringert wurden. Für das Gesamtjahr 2008 steht aber trotz der Korrekturen zum Jahresende ein Preiszuwachs von rund 5 % zu Buche.
Nachfrageflaute zum Jahresende
Der Umsatz der europäischen Chemieunternehmen konnte 2008 zwar weiter zulegen. Der Aufwärtstrend flachte sich jedoch im Jahresverlauf ab. Im vierten Quartal sank der Branchenumsatz angesichts einer schwachen Nachfrage und rückläufiger Preise deutlich. Er lag daher nur noch rund 1 % höher als ein Jahr zuvor. (Grafik 5). Für das Gesamtjahr ergibt sich damit ein Plus von 4,5 %. Allerdings darf dieser Wert nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschäfte in weiten Teilen des Jahres nicht rund liefen. Während die verkauften Mengen nahezu konstant blieben, konnten allein die Preise zulegen.
Das Auslandsgeschäft blieb zwar eine Stütze der europäischen Chemiekonjunktur, der Zuwachs fiel jedoch deutlich schwächer aus als in den vorangegangenen Jahren. Die Verkäufe der Branche jenseits der EU-Grenzen legten 2008 lediglich um rund 2 % zu. Die Verkäufe an europäische Kunden wuchsen demgegenüber dynamischer. Der Branchenumsatz innerhalb der Europäischen Union stieg um 5 %. Aber auch in Europa brach der Absatz zum Jahresende ein.
Chemiegeschäfte bleiben schwierig
Angesichts des zuletzt deutlichen Produktionsrückgangs und einer sich von Tag zu Tag eintrübenden Konjunktur hat sich die Stimmung der Branche zum Jahresende verschlechtert. Die Unternehmen rechnen damit, dass sich die schwierige Lage bis weit in das kommende Jahr hinein fortsetzen wird. Das konjunkturelle Umfeld ist für das europäische Chemiegeschäft denkbar ungünstig. Die Rezession hat die USA, Japan und viele europäische Länder fest im Griff. Die Verunsicherung durch die Finanzkrise hält an. Viele Industriezweige müssen im kommenden Jahr ihre Produktion drosseln. Die Nachfrage nach Chemikalien wird daher weiter zurückgehen.
Im November hat der europäische Chemieverband Cefic seine Wachstumsprognose für das Geschäftsjahr 2009 auf –0,3 % gesenkt. Rechnet man die Pharmaproduktion heraus, beträgt der Rückgang sogar 1,3 %. In den klassischen Chemiesparten sinkt damit im zweiten Jahr in Folge die Produktion. Es bestehen weiterhin erhebliche Risiken für die Weltkonjunktur und das europäische Chemiegeschäft.