Euro: Rettung oder Rezession?
Chemieindustrie bleibt trotz europäischer Schuldenkrise optimistisch
Am 29. September 2011 hat der Bundestag den vergrößerten Euro-Rettungsfond (EFSF) gebilligt. Ist der Euro damit gerettet? Dr. Andrea Gruß befragte dazu Dr. Henrik Meincke, Chefvolkswirt des Verband der Chemischen Industrie (VCI), zur Schuldenkrise in Europa.
CHEManager: Wird der erweiterte Rettungsschirm ausreichen?
Dr. Henrik Meincke: Das ist umstritten. Um einzelne Länder der Eurozone vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren, hat die Eurozone beschlossen, hochverschuldete Länder gegen Auflagen mit zinsgünstigen Krediten zu versorgen. Hierzu wurde im vergangenen Jahr die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, kurz EFSF, gegründet. Dieser Rettungsfonds soll nun vergrößert werden. Der gestärkte Fonds erhält von den Euro-Staaten ein größeres Finanzvolumen und neue Möglichkeiten, um schneller auf Schuldenprobleme einzelner Euro-Staaten reagieren zu können. So kann er künftig auch Anleihen geschwächter Staaten kaufen - sowohl von Regierungen als auch von Investoren. Auch können Euro-Länder Geld bekommen, um angeschlagene Finanzinstitute zu stützen. Damit der Rettungsfonds das Kreditvolumen von 440 Mrd. € absichern kann, soll der Garantierahmen auf 780 Mrd. € erhöht werden. Mit dieser Bürgschaft sichern die Euro-Länder, dass sich der EFSF-Fonds günstig selbst Geld leihen kann.
Welche Euro-Länder sind gefährdet?
Dr. Henrik Meincke: Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass die Eurozone insgesamt stabiler ist als andere Industrieländer. Der durchschnittliche Schuldenstand liegt mit rund 85 % des Bruttoinlandproduktes (BIPs) in der Eurozone deutlich niedriger als in den USA (100 %) oder Japan (233 %). Im Gegensatz zu den USA hat die Eurozone dabei eine ausgeglichene Leistungsbilanz. Seit der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise sehen die Finanzmärkte die Eurozone jedoch nicht mehr als Einheit. Sie bewerten nun jedes einzelne Land bezüglich seiner Kreditwürdigkeit. Je höher das Risiko eines Zahlungsausfalles ist, desto höhere Zinsen muss das betroffene Land für seine Staatsschulden zahlen. Im Extremfall findet ein hochverschuldetes Land keine Abnehmer mehr für seine Staatsanleihen. Bisher mussten Griechenland, Irland und Portugal auf Rettungsschirme zurückgreifen. Gefährdet sind darüber hinaus Spanien und Italien.
Hans Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts, hat Griechenland als „ein Fass ohne Boden" bezeichnet. Lässt sich eine Insolvenz noch vermeiden?
Dr. Henrik Meincke: Ich fürchte Prof. Sinn hat Recht. Im Fall von Griechenland ist eine Insolvenz nicht nur denkbar, sondern sehr wahrscheinlich. Bereits vor der Krise lag die Verschuldung Griechenlands bei rund 100 % des BIPs und damit nicht nur deutlich höher als der Maastricht-Vertrag vorsieht (60 %), sondern auch höher als die von den Ökonomen als kritisch angesehene Grenze von 90 %. Bis zum Jahr 2008 stellte dies für das Land scheinbar kein Problem dar, denn Griechenland konnte sich zum gleichen, niedrigen Zinssatz wie Deutschland finanzieren. Statt die Bürger mit Steuern zu behelligen, lieh man sich billiges Geld und gewährte großzügige Lohnzuwächse und Renten. Mittlerweile verlangen die Kapitalmärkte von Griechenland hohe Risikoaufschläge bei den Zinsen. Hohe Zinsen, die Rezession und hohe Staatsdefizite ließen die Schuldenquote Griechenlands innerhalb von drei Jahren auf über 160 % des BIP ansteigen. Um die Schuldenquote wieder auf ein stabiles Niveau abzusenken, benötigt Griechenland mindestens 20 Jahre. In dieser Zeit müsste das Land eisern sparen und gleichzeitig durch Strukturreformen die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft erhöhen. Angesichts der Verwaltungsstrukturen Griechenlands und der Proteste gegen Sparmaßnahmen ist zweifelhaft, ob dieses gelingt.
Angenommen Griechenland wird zahlungsunfähig und tritt aus der Eurozone aus. Wäre das der Anfang vom Ende des Euros?
Dr. Henrik Meincke: Der Euro ist eine stabile Weltwährung. Die zerbricht nicht, wenn ein wirtschaftlich unbedeutendes Land die Währungsunion verlässt. Dennoch stützt Europa Griechenland mit Hilfe der Rettungsschirme. Das geschieht weniger aus Gründen der Solidarität oder der Bedeutung Griechenlands für den Euro, sondern weil es im europäischen Vertragswerk keine Regelungen für einen Zahlungsausfall eines Landes der Eurozone gibt. Experten befürchten, dass eine ungeordnete Insolvenz Griechenlands andere Schuldenländer, wie Portugal, Irland und letztlich auch Italien und Spanien in eine schwierige Lage bringt. Die dadurch ausgelöste Finanz- und Bankenkrise würde die Realwirtschaft erneut in eine schwere Rezession stürzen. Um dies zu verhindern, wurde die EFSF eingerichtet. Ohne den erweiterten europäischen Rettungsschirm drohen vermutlich unkalkulierbare Folgen für die Europäische Union und die gemeinsame Währung.
In Deutschland sehen dies aber viele anders. Werden wir durch die Garantien in die Schuldenkrise hineingezogen?
Dr. Henrik Meincke: Ich kann die Bürger gut verstehen. Es ist nicht akzeptabel, dass der deutsche Steuerzahler dauerhaft für die Schulden und Versäumnisse anderer Länder haftet. Deshalb ist es so wichtig, dass die Kredite der EFSF nur mit strengen Auflagen bezüglich der Reformanstrengungen und der Haushaltsdisziplin der Schuldner vergeben werden. Es kommt also darauf an, dass in diesem Punkt keine Kompromisse gemacht werden. Nicht allein die Haushaltsdisziplin der Kreditnehmer ist gefragt, es müssen alle Staaten der Eurozone mit einem konsequenten Sparkurs zum Gelingen beitragen. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass auch Deutschland hoch verschuldet ist. Auch hierzulande muss gespart werden. Noch profitiert Deutschland von extrem niedrigen Zinsen. Dies wird aber nicht so bleiben. Irgendwann werden die Zentralbanken wegen der Inflationsgefahren die Zinsen anheben. Zudem muss Deutschland wegen der Bürgschaften für den Rettungsfonds mit Risikoaufschlägen auf seine Zinsen rechnen. Grund genug, die Konsolidierung konsequent voranzutreiben.
Unmut gibt es auch darüber, dass die Banken nicht angemessen an der Stabilisierung beteiligt werden...
Dr. Henrik Meincke: Die Finanzmärkte haben erheblich zum Entstehen der Schuldenkrise beigetragen. Lange Zeit verzichteten sie, trotz erkennbarer Fehlentwicklungen in einigen Ländern, auf Risikoaufschläge. Vielen Staaten wurde es daher zu leicht gemacht, sich zu verschulden. Zudem versagten die Ratingagenturen, die nicht in der Lage waren, die Risiken rechtzeitig zu erkennen. Es ist daher unbedingt notwendig, dass die Gläubiger an den Kosten der Rettung beteiligt werden. Zunächst ist jedoch nur eine freiwillige Beteiligung der Banken vorgesehen. Die EFSF soll 2013 durch einen dauerhaften Krisenfonds, den Europäischen Stabilitätsmechanismus, abgelöst werden. Dann sollen die Gläubiger stärker beteiligt werden. Dies ist dringend notwendig.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert einen „neuen Vertrag für den Euro". Was halten Sie davon?
Dr. Henrik Meincke: Man kann nur zustimmen. Der bisherige Stabilitätspakt hat nicht funktioniert. Daher fordert der BDI zu Recht einen neuen Vertrag für den Euro. Dabei gilt es, die Schwächen der bisherigen Rettungsschirme zu beheben. Es ist auf Dauer nicht gut, wenn mangelhafte Haushaltsdisziplin mit niedrigen Zinsen belohnt wird. Wir brauchen ein neues Regelwerk und neue Institutionen, die die Stabilität der Eurozone langfristig sichern.
Der Euro ist für Europa eine Erfolgsgeschichte. Neben dem Dollar hat sich der Euro mittlerweile als Leitwährung auf den Finanzmärkten etabliert und Europas Rolle als Wirtschaftsmacht gestärkt. Mit seiner Einführung entstand ein großer Binnenmarkt mit einer einzigen Währung und ohne Wechselkursschwankungen. Das brachte Europa Wachstum und Wohlstand. Hiervon konnte die deutsche Industrie in besonderem Maße profitieren. Ein stabiler Euro wird durch die globalen Herausforderungen in Zukunft sogar noch wichtiger.
Die Schuldenkrise verunsichert die Märkte. Das Institut für Weltwirtschaft sieht Europa bereits in der Rezession. Wie ist die Lage im Chemiegeschäft?
Dr. Henrik Meincke: Die meisten Chemieunternehmen sehen bisher kaum konkrete Signale für einen Konjunktureinbruch. Im Gegenteil, die aktuelle Lage wird weiterhin sehr positiv eingeschätzt. In Teilen des Chemiegeschäftes gibt es nach wie vor Kapazitätsengpässe und Materialmangel. Dennoch spüren die Unternehmen, dass die Nachfrage nach Chemikalien nachlässt. Die Kunden sind verunsichert und versuchen die Lagerbestände niedrig zu halten. Daher bestellen sie geringere Mengen. Andere Kunden hoffen angesichts sinkender Rohstoffpreise auf Preissenkungen und halten daher ihre Bestellungen noch zurück. Dies sind aber keine Anzeichen für einen bevorstehenden Abschwung. Dennoch kühlt sich die Konjunktur spürbar ab. Die Abschwächung im Chemiegeschäft kommt nicht überraschend. Nach der raschen Erholung musste sich das Tempo des Wirtschaftswachstums deutlich abschwächen. Es geht jedoch weiter aufwärts. Angesichts der Turbulenzen an den Finanzmärkten sind aber auch Rückschläge nicht auszuschließen. Vorsorglich rechnet man in den Konzernzentralen bereits Szenarien für eine Rezession durch. Die Branche wäre also auch für diesen Fall gerüstet.
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