Diebstahlrisiko von Pharmaprodukten unterschätzt
Verstärkte Notwendigkeit der vertraglichen Absicherung der Haftungsrisiken in der Pharmalogistik
Aktuell erreichen die Branche nun aber alarmierende Informationen aus der Versicherungsbranche über stark gestiegene Quoten von Ladungsdiebstählen bei pharmazeutischen und chemischen Produkten. Während diese Produkte in Zeiten vor der Covid-19-Pandemie kaum im Fokus von Kriminellen standen, machen diese nach Auskunft des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) bereits in 2022 7 % der Ladungsdiebstähle aus!
Dies führt zwangsläufig einerseits zu der Notwendigkeit besonderer Sicherheits- und Präventivmaßnahmen, anderseits muss auch ein verstärkter Fokus auf die vertragliche Haftungsabsicherung gelegt werden.
Welche Art der Leistung – welcher Vertragstyp?
Die Haftung orientiert sich grundlegend an der Frage der rechtlichen Zuordnung der vereinbarten Leistung. Im Logistikbereich wird es sich in der Regel um Transport-, bzw. Lagerverträge handeln, bei welchen dann das Fracht- bzw. Lagerrecht Geltung hat. Oft kommen aber auch kombinierte Verträge und sonstige Mischformen vor, seltener „klassische“ Speditionsverträge. Regelmäßig kommen „speditionsunübliche“ Zusatzleistungen (Value Added Services) hinzu, welche in Bezug auf die Haftung separat betrachtet werden müssen.
Grundlagen der Haftung im Bereich der Lagerung
Nach § 475 Handelsgesetzbuch (HGB) haftet der Lagerhalter für Schäden, die durch Verlust oder Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Lagerung bis zur Auslieferung entstehen, grundsätzlich unbegrenzt. Die sich hieraus ergebende Vollhaftung stellt insbesondere bei hohen Einzelwerten bzw. Gesamtlagerwerten – wie z.B. regelmäßig im Pharmabereich – für den Lagerhalter ein erhebliches Risikopotenzial dar.
Grundlagen der Haftung im Bereich des Transports
Uneinheitlich ist die Situation im Bereich des Transports. Je nachdem, welche Transportmittel (kombiniert) verwendet werden und ob es sich um rein nationale oder grenzüberschreitende Transporte handelt, sind unterschiedliche Gesetze bzw. internationale Konventionen einschlägig und teilweise zwingend anwendbar.
Diese auf den Transport anwendbaren verschiedenen Haftungsregimes enthalten durchgängig standardmäßige Haftungsbegrenzungen. Nach § 431 Abs. 1 HGB ist die Haftung wegen Verlust oder Beschädigung auf 8,33 Sonderziehungsrechte (SZR) (aktueller Wechselkurs ca. 10,22 EUR) je kg des Sendungsgewichts begrenzt. Die für den grenzüberschreitenden Straßengütertransport anwendbare Vereinbarung CMR legt den gleichen Wert zugrunde. Abweichend davon ist die Regelhaftung bei Lieferfristüberschreitungen im Geltungsbereich des HGB auf das Dreifache der Fracht (meint: Transportvergütung) bzw. das einfache der Fracht (CMR) beschränkt.
Das Montrealer Übereinkommen (MÜ) für den internationalen Lufttransport legt eine einheitliche und deutlich höhere Haftungsbegrenzung für Zerstörung, Verlust, Beschädigung oder Verspätung auf einen Betrag von 22 SZR pro kg fest. Daneben existiert noch eine Vielzahl weiterer Spezialregelungen für den See-, Binnenschifffahrts- und Schienentransport.
Bis auf das MÜ sehen alle transportrechtlichen Regelungswerke vor, dass diese Haftungsbegrenzungen dann nicht gelten, wenn der Schaden durch ein besonders schweres Verschulden in Form eines grob fahrlässigen/leichtfertigen bzw. vorsätzlichen Verhaltens verursacht wurde. Eine solche „Haftungsdurchbrechung“ ist in Anbetracht der von der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten sehr strengen Maßstäbe ein regelmäßig realistisches Szenario.
Bei „logistikunüblichen“ Dienstleistungen außerhalb des Anwendungsbereichs dieser speziellen transportrechtlichen Regelungen (z.B. Montage- und Reparaturleistungen, Regalservice, (Um)-Verpackung usw.) besteht nach deutschem Recht grundsätzlich eine unbegrenzte Haftung.
„Wichtig ist insbesondere bei der Pharmalogistik die konkrete Festlegung besonderer Rahmenbedingungen.“
Optionen individueller Anpassungen der Haftung
Bei Lagerung und Transport pharmazeutischer Produkte spielt die Haftung aufgrund des regelmäßig hohen Werts der Produkte eine wesentliche Rolle. Dabei ist auf der einen Seite für den Dienstleister das Risiko einer unbegrenzten Haftung bedrohlich und auf der anderen Seite für den Verlader die Festlegung eines zur Wahrung dessen Interessen geeigneten Haftungsniveaus erforderlich.
Grundsätzlich gilt Vertragsfreiheit. Teilweise verbieten aber das Gesetz bzw. internationale Konventionen vertraglich abweichende Regelungen bzw. lässt solche nur konkret begrenzt zu. Generell zu beachten ist, dass nach deutschem Recht eine Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus ausgeschlossen werden kann.
Im Bereich der Lagerhaftung besteht weitgehende Regelungsfreiheit. Es ist in der Praxis üblich, Haftungsbegrenzungen zu vereinbaren, häufig analog der transportrechtlichen Regelungen auch gewichtsbezogen.
Im Pharmabereich ist aufgrund eines regelmäßig sehr hohen Kilogrammwerts ein solch niedriges Haftungsniveau aus Sicht des Verladers regelmäßig problematisch. In der Praxis werden stattdessen häufig individuell angepasste wertbezogene Haftungsbegrenzungen vereinbart, wobei eine Haftung von mehreren Zehntausend Euro pro Packstück keine Seltenheit darstellt.
Im Bereich der Transporthaftung sind die Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkter. So sind die – soweit einschlägig, zwingend anwendbaren – Haftungsregelungen der CMR und des MÜ nicht disponibel, was eine Haftungsreduzierung anbetrifft. Eine Haftungserhöhung ist im Rahmen der CMR nur über eine individuelle Wertdeklaration bzw. Angabe eines besonderen Interesses mit besonderen formalen Anforderungen (Eintragung im Frachtbrief) möglich. Das MÜ bietet neben der Option der Wertdeklaration auch die Möglichkeit der vertraglichen Vereinbarung höherer Haftungsbeträge.
Allgemein schränkt das deutsche AGB-Recht die Gestaltungsspielräume stark ein. So ist jeder vorformulierte Vertrag als AGB zu qualifizieren, soweit der Inhalt nicht „im Einzelnen ausgehandelt“ ist. Im Rahmen von AGB ist u.a. ein Ausschluss der Haftung für grobe Fahrlässigkeit unwirksam. Außerdem ist gemäß § 449 Abs. 2 HGB im Rahmen von AGB eine Anpassung der Standard-Haftungsbegrenzung von 8,33 SZR nur innerhalb eines sog. „Haftungskorridors“ von 2 bis 40 SZR zulässig. Eine darüber hinaus gehende Haftungsbegrenzung muss in wirksamer Form individuell vereinbart werden.
Im Falle von unwirksamen vertraglichen Vereinbarungen finden die gesetzlichen Regelungen Anwendung, welche in der Regel zum Nachteil des Verladers nur ein erheblich niedrigeres Haftungsniveau bieten.
Weitere haftungsrelevante Gestaltungsfaktoren
Generell erforderlich ist die möglichst genaue Festlegung von Haftungsübergängen/der Abgrenzung der Verantwortlichkeiten, zwecks Klärung, wann überhaupt eine Haftung des Dienstleisters besteht. Das Gesetz hält insoweit keine detaillierten Definitionen bereit.
Wichtig ist insbesondere bei der Pharmalogistik die konkrete Festlegung besonderer Rahmenbedingungen: Einhaltung logistikrelevanter gesetzlich/regulatorischer Anforderungen (GDP, AMWHV usw.), Einhaltung bestimmter Temperaturkorridore (Temperaturführung bzw. -kontrolle mit geeigneter Dokumentation, Verwendung geeigneter Verpackung, Bestehen eines QM-Systems, Vorliegen von Zertifizierungen usw.). Verstöße gegen solche Anforderungen sind direkt oder zumindest mittelbar haftungsrelevant.
Des Weiteren ist es generell sinnvoll festzulegen, in welchem Umfang im Falle einer Haftung der Schaden konkret zu berechnen ist. In der Praxis führt dies regelmäßig zu Diskussionen.
Fazit
Insbesondere im Hinblick auf die dargestellten aktuellen Entwicklungen besteht in der Pharma- und Chemielogistik die dringende Notwendigkeit der vertraglichen Gestaltung individueller geeigneter Haftungsregelungen und weiterer haftungsrelevanter Rahmenbedingungen. Der Verzicht hierauf kann für beide Vertragspartnerseiten zu erheblichen und oft vermeidbaren Risiken führen.
Autor: Andreas Fuchs, Rechtsanwalt, Arnecke Sibeth Dabelstein Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB, Frankfurt am Main
„Bei Lagerung und Transport pharmazeutischer Produkte spielt die Haftung aufgrund des regelmäßig hohen Werts der Produkte eine wesentliche Rolle.“
Zur Person
Andreas Fuchs, ist – nach einer Tätigkeit als Syndikus eines Pharmalogistikers – seit 2014 als spezialisierter Rechtsanwalt auf dem Gebiet des Transport- und Logistikrechts für die Rechtsanwaltskanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein tätig. Mit einem besonderen Fokus auf die Pharmalogistik berät Fuchs sowohl die Auftraggeberseite, als auch in- und ausländische Logistikunternehmen. Beratungsschwerpunkte sind vertragliche und regulatorische Themen sowie In- und Outsourcing-Projekte.
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