Chemie & Life Sciences

Die Petrochemie der Zukunft

Basis für hochwertige Kunststoffe und Hightech-Materialien wird sich von fossilen Rohstoffen loslösen

13.09.2023 - Die DGMK ist die Deutsche Wissenschaftliche Gesellschaft für nachhaltige Energieträger, Mobilität und Kohlenstoffkreisläufe und fungiert als Plattform für den technisch-wissenschaftlichen Austausch zwischen akademischer und industrieller Forschung.

Die DGMK ist die Deutsche Wissenschaftliche Gesellschaft für nachhaltige Energieträger, Mobilität und Kohlenstoffkreisläufe und fungiert als Plattform für den technisch-wissenschaftlichen Austausch zwischen akademischer und industrieller Forschung. Die Abkürzung DGMK geht auf den ehemaligen Namen ‚Deutsche Gesellschaft für Mineralölwissenschaft und Kohlechemie‘ zurück und bringt zum Ausdruck, dass das Tätigkeitsgebiet des gemeinnützigen Vereins ursprünglich auf den fossilen Energieträgern basierte. Der aktuelle Name ist ein Bekenntnis zur Energie- und Rohstoffwende, zum nachhaltigen Umgang mit fossilen Rohstoffen und zur Transformation zu nachwachsenden Rohstoffen und zur Kreislaufwirtschaft, den die Gesellschaft durch verschiedene Aktivitäten fördern will. Michael Reubold und Birgit Megges befragten Gesa Netzeband, Geschäftsführerin und Leiterin der Abteilung Petrochemie der DGMK, zu den Zukunftsstrategien und -perspektiven der Petrochemie.

CHEManager: Frau Netzeband, die DGMK befasst sich traditionell mit fossilen Roh-, Treib- und Brennstoffen und machte das in der Vergangenheit auch durch ihren Namen deutlich. Wann haben Sie den Namen geändert und was wollen Sie damit ausdrücken?

Gesa Netzeband: Die Klimakrise stellt uns vor die Aufgabe, Lösungen für eine nachhaltige Energie- und Rohstoffversorgung zu finden. Als wissenschaftliche Gesellschaft wollen wir natürlich aktiv an der Transformation mitarbeiten und dies auch nach außen deutlich machen. Da­rum war ein neuer Name notwendig. Die Namensfindung war tatsächlich nicht leicht, aber unsere vielfältigen Themen haben schon lange nicht mehr unter den alten Namen gepasst. Seit ihrer Gründung 1933 hat sich die DGMK immer wieder gewandelt und neue Themen aufgegriffen, die Petrochemie wurde zum Beispiel erst 1991 Fachbereich der DGMK. In unserem neuen Namen spiegeln sich die Themen wider, in denen wir aktiv sind. Bei den Energieträgern ist unser Ziel, fossile Energieträger durch klimaneutrale Alternativen zu ergänzen und zunehmend zu ersetzen. Mobilität und Transport brauchen CO2-neutrale Kraftstoffe und neue Schmierstoffe. Industrielle Kohlenstoffkreisläufe, also zirkuläre anstelle linearer Wertschöpfungsketten, sind ein wesentlicher Baustein für eine Net-Zero-Wirtschaft.

Kritiker könnten die Namensänderung als ‚Greenwashing‘, also Etikettenschwindel bezeichnen. Wie trägt die DGMK der neuen Ausrichtung inhaltlich Rechnung?

G. Netzeband: Wir sind ja nicht erst seit zwei Jahren in Themen wie Nachhaltigkeit oder Kreislaufwirtschaft unterwegs. Gerade an unseren Petrochemie-Tagungen lässt sich das gut ablesen, Circular Economy ist seit über 20 Jahren immer wieder zentrales Tagungsthema gewesen. Dieses Jahr treffen wir uns unter dem Motto ‚C1 Building Blocks for Future Chemistry‘. Im Subsurface-Bereich sind neben Erdöl- und Erdgasproduktion auch Untergrundspeicher, auch im Kontext mit Wasserstoff, und Geothermie bei uns im Fokus. Im Downstream-Bereich beschäftigen wir uns mit Synfuels und mit neuen Schmierstoffen, zum Beispiel für Elektromobilität. Zudem spielt Wasserstoff natürlich auch eine große Rolle.

„Die Klimakrise stellt uns vor die Aufgabe, Lösungen für eine nachhaltige
Energie- und Rohstoffversorgung zu finden:“


Sie leiten die Abteilung Petrochemie. Dieser Begriff ist untrennbar mit fossilen Rohstoffen verknüpft. Wie stellen Sie sich Petrochemie in einer fossilfreien Zukunft vor? Oder anders gefragt: Hat die Petrochemie eine Zukunft?

G. Netzeband: Der Begriff drückt eine Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen aus, aber die Chemie dahinter ist viel vielfältiger. Oder anders gesagt: Natürlich hat die Petrochemie eine Zukunft, wir brauchen die Produkte, die hochwertigen Kunststoffe und Hightech-Materialien, die Medikamente und die Outdoorjacken, um nur zwei Beispiele aus dem Alltag zu nennen. Aber die Basis dafür wird in zunehmendem Maße aus nachwachsenden Rohstoffen oder im chemischen Recycling gewonnen werden. Ob wir dafür dann einen neuen Namen finden oder ob der Begriff Petrochemie bleibt und in 50 Jahren einfach völlig anders belegt ist, wer weiß?

Welche Szenarien oder Wege gibt es, um fossile Kohlenstoffträger zu reduzieren und langfristig vollständig zu ersetzen?

G. Netzeband: Das ist die ganz große Frage: Wie lösen wir uns von fossilen Kohlenstoffträgern, die mit ihrer hohen Energiedichte und vielseitigen Verwendbarkeit so praktische Rohstoffe sind?
Es gibt unzählige Wege, jede Branche, jedes Unternehmen hat unterschiedliche Einsatzbereiche von – bisher – Öl und Gas und daher auch unterschiedliche Anforderungen und Möglichkeiten für Alternativen. Und welche Verfahren und Feedstocks sich am Ende durchsetzen, wird nicht nur von technologischen Entwicklungen abhängen, sondern auch von wirtschaftlichen Randbedingungen. 

Eine wesentliche Rolle im gesamten System wird natürlich Wasserstoff spielen.  Bei der DGMK laufen derzeit verschiedene Projekte, die sich um Untertagespeicherung drehen, also zum Beispiel um Wasserstoff-Verträglichkeit von entsprechenden Spezialbauteilen oder um Nachnutzung/Repurposing und Monitoring von derzeitigen Erdgasspeichern für Wasserstoff. Auf der Anwendungsseite haben wir zum Beispiel ein Projekt, das sich mit maßgeschneiderten Schmierölen für H2-Anwendungen auseinandersetzt.

Neben Wasserstoff werden voraussichtlich auch Methanol und Ammoniak zunehmend relevant als Commodity. Die chemischen Verfahren zur Weiterverarbeitung sind prinzipiell bekannt, weniger erforscht ist die Umsetzung der Verfahren im Industriemaßstab bei unterschiedlichen Prozessparametern. Wir haben daher bei der DGMK ein Projekt initiiert, das den Einfluss von Betriebsbedingungen und Katalysatormaterialien auf das Methanol-to-Gasoline-Verfahren und die Qualität des Endprodukts untersucht.

Im Bereich der Schmierstoffe bietet der Einsatz von wasserbasierten Kühlschmiermitteln eine Alternative zu fossil-basierten Produkten. Aber auch hier muss noch die Eignung für die jeweiligen Einsatzgebiete geprüft werden. Ganz konkret untersuchen wir derzeit den Einsatz bei der Verarbeitung von Verbundwerkstoffen, das heißt Auswirkungen auf die Verbundhaftung, mögliche Quellung der Kunststoffe, Lack- und Klebfestigkeit etc.

Unsere Projekte spiegeln nur einen kleinen Ausschnitt des Themas wider, bei unseren Tagungen ist die Bandbreite der wissenschaftlich-technischen Ansätze noch deutlich größer.

Werden künftig also auch nachwachsende beziehungsweise erneuerbare Rohstoffe als Kohlenstoffquellen zu den Themen der DGMK zählen?

G. Netzeband: Nicht erst künftig! Nachwachsende Rohstoffe sind seit langem ein Thema in der DGMK, beginnend im Bereich der Kraft- und Brennstoffe – ‚Bio-Diesel‘, später auch Fragen im Zusammenhang mit Biomassevergasung in Blockheizkraftwerken oder Pyrolyse von Biomasse. Auch die chemische Verwertung von nachwachsenden Rohstoffen wurde schon vor vielen Jahren betrachtet, zum Beispiel bin ich vor kurzem in unserem Archiv auf einen Diskussionsbeitrag aus dem Jahr 2012 zu Aromaten aus fossilen und nachwachsenden Rohstoffen gestoßen.

Mitte Oktober findet die von der DGMK-Abteilung Petrochemie mitorganisierte Konferenz ‚C1 Building Blocks for Future Chemistry‘ statt. Um welche Themen wird es dabei gehen?

G. Netzeband: Wir spannen den Bogen über verschiedene Prozesse zur Erzeugung von Basischemikalien. Konkret widmen wir uns auf der Tagung Fischer-Tropsch-Prozessen, Methanol-to-X, Hydroformylation, Carbonylierung, Syngas-Produk­tion und ganz allgemein dem Thema Redukton des CO2-Fußabdrucks. 

Kohlenstoff ist ein unverzichtbarer Baustein nicht nur der biologischen, sondern auch der materiellen Vielfalt. Von Dekarbonisierung kann man also nur bei der Energieerzeugung sprechen. Wie gelingt es, die die industrielle Produktion zu defossilisieren, ohne essenzielle Wertschöpfungsketten zu unterbrechen?

G. Netzeband: Die Wertschöpfungsketten werden sich ändern. Das Ziel kann nur sein, diese Transformation möglichst wenig disruptiv zu gestalten. Kohlenstoff kann perspektivisch nur aus nachwachsenden Rohstoffen oder aus Recycling – hier ist CO2 mitgemeint – gewonnen werden. Wie sich die Produktion darauf einstellen wird, welche Verfahren sich am Markt durchsetzen, welche Zwischenprodukte gehandelt werden – auch global – und welche Infrastruktur dafür aufgebaut wird, werden wir sehen. Da ist noch vieles offen.

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Zur Person

Gesa Netzeband ist seit November 2020 Geschäftsführerin und Leiterin der Abteilung Petrochemie der DGMK Deutsche Wissenschaftliche Gesellschaft für nachhaltige Energieträger, Mobilität und Kohlenstoffkreisläufe. Die promovierte Geophysikerin begann ihre berufliche Laufbahn Anfang 2009 bei RWE-DEA und war insgesamt fast zwölf Jahre im DEA-Konzern, zuletzt Wintershall-DEA, in unterschiedlichen Funktionen und mehreren Auslandseinsätzen tätig, bevor sie zur DGMK wechselte.

Veranstaltungshinweis: C1 Building Blocks for Future Chemistry 

  • Konferenz der DGMK-Abteilung Petrochemie 
  • Datum: 11. bis 13. Oktober 2023
  • Ort: Haus der Kirche – Dreikönigskirche, Dresden
  • Weitere Infos: www.dgmk.de/veranstaltungen

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GrafikDGMK im Wandel der Zeit

Die Wurzeln der DGMK reichen zurück ins Jahr 1933, als in Berlin die Deutsche Gesellschaft für Mineralölforschung (DGM) gegründet wurde. Nach dem 2. Weltkrieg fand 1948 die Neugründung unter dem Namen „Deutsche Gesellschaft für Mineralölwissenschaft und Kohlechemie“ (DGMK) statt, die als wissenschaftliche Querschnittsgesellschaft die interdisziplinäre Zusammenarbeit ihrer Mitglieder und den wissenschaftlichen Nachwuchs fördert, Ansprechpartner für Auslandsgesellschaften und in die internationale Zusammenarbeit eingebunden ist. Im Zuge einer Neuausrichtung wurde 1986 der Name unter Beibehaltung der etablierten Abkürzung in „Deutsche Wissenschaftliche Gesellschaft für Erdöl, Erdgas und Kohle“ geändert, um die drei wichtigen fossilen Rohstoffe im Namen zu führen und die wichtige Rolle von Wissenschaft und Technik zum Ausdruck zu bringen. 

Nun richtet sich der derzeit knapp 1.350 persönliche Mitglieder und 190 Mitgliedsorganisationen umfassende Verein mit seinem aktuellen Namen – Deutsche Wissenschaftliche Gesellschaft für nachhaltige Energieträger, Mobilität und Kohlenstoffkreisläufe – inhaltlich auf die Herausforderungen der Zukunft aus.

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