Die Achillesferse jeder Exportindustrie
Schweizer Volkswirtschaft muss Offenheit gegenüber Innovationen und Weltmärkten bewahren
Ein Blick in die Außenhandelsstatistik belegt die eindrückliche Stellung der chemisch-pharmazeutischen Industrie innerhalb der Exportindustrien der Schweiz. Im vergangenen Jahr exportierten die Mitgliedunternehmen des Schweizer Wirtschaftsverbands Chemie Pharma Biotech (Scienceindustries) hochwertige Produkte für über 94 Mrd. CHF, was einen Zuwachs gegenüber 2015 von über 11% entspricht. Unsere Industrie verantwortet damit nicht weniger als 45% des gesamtschweizerischen Exports. Davon gingen 2016 über 51 Mrd. CHF in die EU-Länder. Im Gegenzug haben auch die europäischen Zulieferanten ein hohes Interesse am Wohlergehen der schweizerischen Chemie-, Pharma- und Biotechindustrie, konnten Sie doch für über 34 Mrd. CHF chemische Rohstoffe, Basis- und Zwischenprodukte in die Schweiz liefern. Diese Zahlen verdeutlichen die gegenseitige Bedeutung des europäischen Binnenmarktes für die chemisch-pharmazeutische Industrie.
Was für die Mitgliedunternehmen erfreulich ist, entwickelt sich auf der anderen Seite immer mehr zu einem Klumpenrisiko für die Schweizer Volkswirtschaft und zeigt gleichzeitig auch die Achillesferse jeder Exportindustrie. Ohne Offenheit der Gesellschaft gegenüber Innovationen und fremden Märkten kann sie nicht gedeihen.
Die Schweiz verfügt nur über wenige natürliche Ressourcen und einen bescheidenen einheimischen Absatzmarkt. Der internationale Handel war für die Schweiz von Anfang eine zwingende Voraussetzung, um im eigenen Land Wohlstand zu schaffen. Nur so konnten die nötigen Rohstoffe beschafft und die wertschaffenden Produkte verkauft werden. Dazu kommen verschiedene Stärken der Schweiz, wie stabile politische Verhältnisse, ein sicheres und durchsetzbares Rechtssystem, ein ausgezeichnetes Bildungssystem, ein flexibler Arbeitsmarkt und eine weitgehend arbeitswillige und fleißige Bevölkerung.
Um die Offenheit der Gesellschaft gegenüber Innovationen und Märkten mittel- bis langfristig sicher zu stellen, braucht es für den Erfolg der Scienceindustries, also der Branchen Chemie, Pharma und Biotech, zwei wesentliche Rahmenbedingungen: den Schutz des geistigen Eigentums und offene Märkte.
Schutz von Erfindungen durch Patente ist zwingend nötig
Das Verantwortungsbewusstsein der Branche Chemie Pharma Biotech gegenüber der Gesellschaft zeigt sich über die seit Jahren gelebten, zukunftsgerichteten Investitionen in die Innovation. So investierte die Schweizer Chemie Pharma Biotech im 2016 weltweit für über 21 Mrd. CHF in Forschung und Entwicklung. Davon gingen rund 7 Mrd. CHF in den Forschungsplatz Schweiz, was langfristig rund 70.000 hochproduktive Arbeitsstellen sichert. Denn bekanntlich investieren Unternehmen nur dann in Forschung und Entwicklung, wenn der erwartete betriebswirtschaftliche Ertrag der Innovation deren Kosten übersteigt.
Wissenschaftliche Erkenntnisse und Produktideen eines forschenden Unternehmens stiften einen volkswirtschaftlichen Zusatznutzen. Ohne staatlichen Schutz des geistigen Eigentums würde den forschenden Unternehmen kein Ertrag zufallen. Das Instrument des Patentes ändert dies. Es sichert während einer zeitlich beschränkten Dauer den forschenden Unternehmen einen ausreichenden Anteil an den gesamtwirtschaftlich anfallenden Erträgen der Innovation. Als Zusatzleistung für die Gesellschaft fördert die vom Patentrecht vorgeschriebene Publikation der Erfindung die wissenschaftliche Forschung und den Innovationswettbewerb. Gerade für unsere Industrie ist der weltweite Schutz des geistigen Eigentums durch Patente eine zentrale Grundvoraussetzung ihrer Geschäftstätigkeit. Dabei muss dieser Schutz in der heutigen globalen Wirtschaft selbstverständlich nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit durchgesetzt werden. Nach Ablauf des Patentschutzes steht dann die Innovation den Nachahmern zur Verfügung und wird der Gesellschaft zu Herstellungskosten der Produkte zur Verfügung gestellt. Darin liegt in der Regel der größte Nutzen für die Gesellschaft.
Offene Märkte sind für Chemie Pharma Biotech unabdingbar
Viele Mitgliedunternehmen sind mit ihren spezialisierten Produkten Weltmarktführer. Seit Jahrzehnten setzt sich unser Wirtschaftsverband deshalb für die Vertiefung des internationalen Marktzugangs mittels multilateraler, plurilateraler oder bilateraler Instrumente ein. Dabei war es immer ein zentrales Anliegen, dass diese Abkommen international anerkannten Standards im Bereich des Zollabbaus und, wie vorangehend erwähnt, des geistigen Eigentums genügen. Als kleines Land ohne strategische Partner ist die Schweiz auf Gedeih und Verderb auf rechtssichere Handelsverträge und verbindliche, durchsetzbare globale Regelwerke angewiesen. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich weitere hochstehende Freihandelsabkommen mit Ländern wie Brasilien, Russland, Indien und den USA.
Diese Außenwirtschaftsstrategie schuf die Voraussetzungen für eine langjährige und erfolgreiche Entwicklung in der Schweiz und weltweit. Nicht ohne Sorge stellen wir heute fest, dass in zahlreichen westlichen Ländern zunehmend protektionistische Maßnahmen ins Auge gefasst werden. Das bewährte Erfolgsmodell der Globalisierung wird immer häufiger zum Sündenbock aller möglichen negativen Entwicklungen in Umwelt, Gesellschaft und Politik gebrandmarkt. Der Ruf nach strengeren Grenzkontrollen, einem höheren Binnenmarktschutz oder mehr nationaler Souveränität ist aus weltoffener Sicht kritisch zu hinterfragen. Zwar sind diese Forderungen politisch verführerisch, zielführend sind sie aber nicht.
Erfreulicherweise hat die Schweiz bisher der süßen Versuchung durch das Gift des Protektionismus in vielen Bereichen - leider nicht in allen - widerstanden. Dies alleine hilft aber nichts, wenn andere Länder nationale Schranken hochziehen oder regionale Verhandlungen wie bspw. das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA in Frage stellen. Eines bleibt gewiss: Wer eine nachhaltige Beschäftigung in einem Land sichern will, kann dies nicht mit protektionistischer Abschottung erreichen, sondern muss die Menschen mit einer klugen Bildungspolitik für Neues befähigen und die Offenheit und Flexibilität dieser erhalten. Deshalb war in der Schweiz Ende 2016 die Priorisierung der Staatsausgaben im Bereich der öffentlichen Bildung und Forschung 2017-2020 sowie die zeitgerechte und notwendige Ratifizierung des EU-Förderprogramms für Forschung und Innovation (Horizon 2020) so wichtig.
Als führende Exportindustrie muss Chemie Pharma Biotech diese fundamentalen Zusammenhänge und Werthaltungen der lokalen Bevölkerung immer wieder erklären. Offenheit gegenüber Innovationen und den Weltmärkten müssen jeden Tag von neuem erkämpft werden. Nur so können die Schweiz und Europa ihre Wirtschaftsstandorte und den hohen Lebensstandard ihrer Bürgerinnen und Bürger im globalen Wettbewerb langfristig sichern.